# taz.de -- Behindertenberater an Uni gekündigt: „Barrierefrei“, aber ohne… | |
> Die Hochschule Lausitz wollte keine Sehbehinderten mehr immatrikulieren. | |
> Als der Behindertenberater protestierte, wurde er gekündigt. | |
Bild: Die Hochschule Lausitz wirbt mit ihrem „barrierefreien Studium“ | |
SENFTENBERG taz | Ein Mitarbeiter der (Fach-)Hochschule Lausitz in | |
Senftenberg wurde fristlos entlassen, weil er sich für die Interessen von | |
behinderten Studenten einsetzte. Diplom-Ingenieur Ingo Karras war seit 2004 | |
als Mitarbeiter im Zentrum für barrierefreies Studium tätig. | |
Dort gehörte es zu seinen Aufgaben, sich um behinderte Studenten zu kümmern | |
und ihnen ein möglichst gleichwertiges, problemloses Studium zu | |
ermöglichen. Die Arbeit machte Karras großen Spaß und die Studenten freuten | |
sich über sein großes Engagement. Doch genau das wurde ihm jetzt zum | |
Verhängnis. Er wurde gekündigt, weil er seinen Job machte – und sich für | |
behinderte Studenten einsetzte. | |
Im vergangenen Jahr erfuhr er davon, dass der Senftenberger Studiendekan | |
des Studiengangs Physiotherapie zukünftig keine sehbehinderten Menschen | |
mehr zulassen wollte. Er beabsichtigte, einen Immatrikulationsstopp für | |
Studenten mit diesem Handikap zu verhängen. | |
Ingo Karras war empört darüber und machte intern auf diese geplante | |
Diskriminierung sehbehinderter Studenten aufmerksam, sowohl beim | |
Fakultätsrat als auch beim Präsidenten der Hochschule Lausitz. Günter H. | |
Schulz antwortete, dass er in dem beabsichtigten Studienverbot kein | |
Versäumnis des Studiendekans Sven Michel erkennen könne. Eine seltsame | |
Antwort – immerhin wirbt die Hochschule Lausitz mit ihrem „barrierefreien | |
Studium“. | |
## Ministerium verwundert | |
Karras wandte sich auch ans Brandenburger Wissenschaftsministerium – | |
gemeinsam mit Professoren und Studenten –, um auf die drohende | |
Benachteiligung sehbehinderter Studenten aufmerksam zu machen. Antwort: Das | |
Verhalten des Studiendekans Sven Michel sei sehr bedenklich. | |
Der Studiendekan nahm das geplante Immatrikulationsverbot für sehbehinderte | |
Menschen dennoch nicht zurück. Behindertenberater Karras ließ sich aber | |
nicht ruhigstellen. Er kritisierte, dass die Stelle des | |
Behindertenbeauftragten unbesetzt sei. Und er monierte, dass laut neuer | |
Prüfungsordnung behinderte Studenten für einen Nachteilsausgleich extra | |
eine Bestätigung vom Amtsarzt benötigen – trotz ärztlicher Bescheinigung im | |
Schwerbehindertenausweis. Die interne Kritik verhallte. | |
Schließlich machte er öffentlich auf die geplante Diskriminierung | |
sehbehinderter Menschen an der Fachhochschule Lausitz aufmerksam – das war | |
zu viel. Am 2. November 2012 berichtete die örtliche Tageszeitung über | |
Karras’ Kritik. Am 6. November 2012 erhielt der Mann für Behinderte die | |
außerordentliche fristlose Kündigung überreicht. | |
Karras musste sofort die Hochschule verlassen und erhielt auch noch | |
Hausverbot. Begründung für die fristlose Kündigung: „Sie haben sich […] … | |
die Öffentlichkeit gewandt und durch Behauptung falscher Tatsachen die | |
Hochschule diskreditiert.“ | |
## Hochschule handelt | |
Außerdem beseitigte die Hochschule Lausitz inzwischen die von Karras | |
öffentlich kritisierten Missstände. Noch im November wurde die Stelle des | |
Behindertenbeauftragten neu besetzt, das Immatrikulationsverbot für | |
sehbehinderte Studenten im Studiengang Physiotherapie wurde aufgehoben und | |
behinderte Studenten müssen nun nicht mehr extra eine Begutachtung vom | |
Amtsarzt über sich ergehen lassen – die zudem auch noch mit hohen Kosten | |
verbunden war. | |
Ingo Karras hat mit seiner mutigen Kritik bewirkt, dass bestehende und | |
geplante Diskriminierungen von behinderten Studenten an der Fachhochschule | |
Lausitz beseitigt wurden. Statt eines Dankeschöns erhielt er drei weitere | |
„vorsorgliche“ Kündigungen – für den Fall, dass die fristlose Kündigun… | |
6. November 2012 unwirksam sei. | |
Der Landtagsabgeordnete Jürgen Maresch (Linke), der zutiefst schockiert und | |
empört ist über die Kündigung des engagierten Mitarbeiters, erklärt | |
gegenüber der taz: „Offenkundig soll hier ein Exempel statuiert werden, | |
nach dem Motto: Wer aufmuckt und Kritik wagt, fliegt raus. Es ist aber | |
wichtig, dass es solche engagierten Menschen wie Ingo Karras gibt.“ | |
23 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Silke Milius | |
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