# taz.de -- Lobbyismus im Europaparlament: Caritas der Sicherheitsbranche | |
> Eigentlich versuchen Interessenvertreter, Einfluss auf Parlamente zu | |
> nehmen. Manche von ihnen aber sind selbst Parlamentarier. | |
Bild: Ein Saal voller Lobbyisten? Das EU-Parlament. | |
BRÜSSEL taz | Martin Ehrenhauser hat eine Menge Arbeit hinter sich. Der | |
fraktionslose Europaabgeordnete aus Österreich hat 41 Seiten | |
zusammengetragen [1][und ins Internet gestellt.] Sie zeigen, wie eng | |
Industrie und EU-Parlament im Bereich Sicherheitsforschung verwoben sind. | |
Ehrenhauser ist sicher: „Das verhindert Entscheidungen, die sich am | |
Allgemeinwohl orientieren.“ | |
Im Zentrum der Veröffentlichung steht der deutsche Abgeordneter Christian | |
Ehler. Der CDU-Politiker aus Brandenburg ist nicht nur Mitglied des | |
Europaparlaments (MdEP), sondern gleichzeitig auch Vorsitzender eines | |
Vereins, der sich für die Interessen der deutschen Sicherheitsforschung | |
einsetzt: „The German European Security Association“, kurz: Gesa. | |
„Ihr Anliegen ist es, deutsche Interessen zu formulieren, gezielt in den | |
europäischen Dialog einzubringen und die deutsche Seite frühzeitig von | |
europäischen Prozessen in Kenntnis zu setzen. Damit sind ein schneller | |
politischer Informationsfluss und ein abgestimmtes Handeln gewährleistet“, | |
heißt es in den Gesa-Leitsätzen. | |
Ehler sieht kein Problem in seiner Doppeltätigkeit. Schließlich sei die | |
Gesa ein „gemeinnütziger Verein wie die Caritas. Viele Abgeordnete | |
engagieren sich für gemeinnützige Belange. Wenn Sie das verbieten, müssen | |
Sie alle Abgeordneten rausschmeißen, die ADAC-Mitglied sind.“ | |
## Nicht öffentliche Mitgliederliste | |
Der CDU-Abgeordnete ist aber nicht nur Mitglied, sondern Chef. „Die Gesa | |
wurde gegründet, um für die deutsche Sicherheitsindustrie EU-Gelder | |
lockerzumachen. Ich verstehe nicht, wie man da nicht von einer Lobby | |
sprechen kann“, sagt der Experte für Sicherheitsforschung der NGO | |
Statewatch, Ben Hayes. | |
Dazu passt, dass die Gesa ihre Mitgliederliste nicht öffentlich machen | |
will. Laut Ehler sind etwa ein Drittel der Mitglieder Unternehmen. Mehrere | |
große Konzerne gehören dazu, zum Beispiel Siemens, EADS, Bosch, Thales | |
Deutschland. Alle sind in der Sicherheitsforschung tätig, teilweise auch | |
mit dem Ziel einer militärischen Verwendung. | |
Die Unternehmen zahlen bis zu 5.000 Euro im Jahr Mitgliedsbeiträge. MdEP | |
Ehler wird zwar für seine Vorstandstätigkeit nicht direkt bezahlt. „Aber es | |
ist doch klar, dass die Unternehmen für ihr Geld eine Gegenleistung | |
verlangen, und zwar eine konkrete Einflussnahme auf die europäische | |
Sicherheitspolitik“, sagt Martin Ehrenhauser. | |
## Das Programm „Horizont2020“ | |
Das nachzuweisen ist aber praktisch unmöglich. Sichtbar ist, dass Christian | |
Ehler sich im Europäischen Parlament für Sicherheitsforschung einsetzt. Er | |
war verantwortlicher Berichterstatter für das Programm „Horizont2020“, in | |
dem die EU-Kommission das Budget für Sicherheitsforschung von 1,4 auf 4,1 | |
Milliarden Euro verdreifacht hat. Das Parlament stimmte zu. Schwer zu | |
glauben, dass Ehler und seine Kollegen dies nicht vehement unterstützt | |
haben. | |
Ben Hayes von Statewatch beobachtet seit einigen Jahren, dass die | |
Sicherheitstechnologien immer mehr ins Zentrum der EU-Forschung rücken. | |
Gefördert werden von der EU im derzeitigen Programm über 200 Projekte, die | |
die verschiedensten Überwachungstechniken fördern. Ein Beispiel ist | |
Eurosur, ein Projekt zur Überwachung von Europas Außengrenzen. Dabei sollen | |
unter anderen unbemannte Drohnen eingesetzt werden. Über 20 Programme | |
beschäftigen sich mit Biometrie-Technologien. | |
Der Sicherheitsmarkt ist einer der am stärksten wachsenden | |
Wirtschaftsbereiche der Welt. Seit 2001 ist das Marktvolumen von 10 auf | |
rund 100 Milliarden Euro angewachsen. Siemens und EADS gehören zu den | |
größten Profiteuren in der EU. Beide sind mit der Gesa verbunden. Die | |
wiederum arbeitet eng mit ihrer europäischen Schwesterorganisation, der | |
European Organisation for Security (EOS), zusammen. | |
## „Partner der Zusammenarbeit“ | |
Die hat sich – im Gegensatz zur Gesa – ins EU-Lobbyregister eintragen | |
lassen. Zu ihren Mitgliedern gehören große europäische Rüstungskonzerne wie | |
Thales und EADS; aber auch zwei US-Firmen, die die in Europa geächtete | |
Streumunition herstellen. Die Geschäftsführerin der Gesa erklärt, man | |
schätze EOS als „Partner der Zusammenarbeit“. Im Rahmen des | |
EU-Forschungsprogramms gibt es gemeinsame Projekte. | |
Trotzdem will Ehler seinen Verein nicht als Lobby bezeichnen. Immerhin hat | |
er seine Vorstandstätigkeit unter den finanziellen Interessen auf seiner | |
Abgeordneten-Internetseite vermerkt. Doch das reicht nicht, um die Zweifel | |
an der von dem MdEP propagierten Ämtertrennung zu zerstreuen. Nach den | |
Erkenntnissen seines Abgeordneten-Kollegen Ehrenhauser hat Ehler mehrfach | |
seine E-Mail-Adresse im EU-Parlament für Gesa-Belange genutzt, etwa um | |
Industriekommissar Antonio Tajani zu einer Konferenz seines Vereins | |
einzuladen. Die Einladung hat Ehler selbst unterschrieben – in seiner | |
Funktion als Europa-Abgeordneter. | |
Auch Ehlers Assistentin im Parlament verschickte mehrere Gesa-E-Mails. Der | |
von der EU-Kommission dokumentierte Schriftverkehr liegt Ehrenhauser vor. | |
„Wir brauchen eine klare Trennlinie, um zu verhindern, dass Steuergelder | |
für Einzelinteressen verwendet werden“, sagt er. „In diesem Fall ist die | |
Vermischung beider Tätigkeiten eindeutig zu groß.“ | |
Christian Ehler kann sich im Gespräch mit der taz nicht an die Gesa-E-Mails | |
erinnern. Später erklärt er schriftlich: „Wir achten sehr auf die Trennung | |
meiner Abgeordnetentätigkeit und meiner Funktion als Vorstandsvorsitzender | |
der Gesa. Wenn im Einzelfall Gesa-bezogene E-Mails über meine | |
Abgeordneten-Adresse gelaufen sind, war dies nicht beabsichtigt.“ Als | |
Postanschrift auf der Internetseite des Vereins ist Ehlers Bundestagsbüro | |
angegeben. Und der Sitz der Organisation in Potsdam hat dieselbe Adresse | |
wie sein Europa-Büro im Wahlkreis. Im selben Haus sitzt auch die | |
Geschäftsstelle des CDU-Landesverbands Brandenburg. | |
22 Feb 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.ehrenhauser.at/assets/eos_gesa_studie.pdf | |
## AUTOREN | |
Ruth Reichstein | |
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