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# taz.de -- Debatte Berufssoldaten in den USA: Frieden schaffen mit Wehrpflicht
> Für seine aggressive Strategie in Afghanistan und dem Irak wurde der
> ehemalige US-General McChrystal hart kritisiert. Nun will er mit
> Wehrpflicht Kriege verhindern.
Bild: Auf zack! Haudegen Stanley McChrystal 2009 in Afghanistan.
Frieden schaffen ohne Waffen, Schwerter zu Pflugscharen, Make Love not War
und Give Peace a Chance: Gesellschaften sind sich trotzdem weitgehend
einig, dass der Staat ein Militär braucht. Ganz neue Probleme stellen sich,
wenn der Staat beschließt, das Kämpfen und Töten auf Berufsstreitkräfte zu
verlagern.
In den USA hat nun ausgerechnet der ehemalige General Stanley McChrystal,
wegen seiner aggressiven Strategie umstrittener Befehlshaber im Irak und in
Afghanistan, zum Nachdenken über die Wiedereinführung der Wehrpflicht
aufgerufen. Die US-Berufsstreitkräfte seien eine „außerordentliche
Kampfmaschine“, so McChrystal, aber Amerika sollte „verteidigt“ werden von
Soldaten, die „repräsentativ sind für die Bevölkerung“.
Und was macht Deutschland, das Land mit der Wehrpflicht? „Deutschland
verneigt sich vor ihnen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel im April 2010
bei einer Trauerfeier für in Afghanistan gefallene Bundeswehrsoldaten.
Verteidigungsminister Thomas de Maizière äußerte sich dagegen etwas anders
in seinem viel kommentierten Interview in der Frankfurter Allgemeinen
Sonntagszeitung (vom 23. 2.): Manche Soldaten hätten einen „oft
übertriebenen Wunsch nach Wertschätzung“, „sind vielleicht geradezu süch…
danach“. Zwischen den Aussagen von Kanzlerin und Minister steht wohl ein
gewisses Unbehagen und eine Unsicherheit, vertuscht bei de Maizière mit
ministerieller Arroganz.
## Die Gefühle der Bevölkerung
Deutschland will offenbar mehr und mehr mitspielen bei den Militäreinsätzen
der Großen. Es gibt praktische und wirtschaftliche Gründe zum Umstellen auf
Berufsstreitkräfte. Doch unter dem Strich: Der Staat bezahlt die Leute, die
Krieg machen sollen. Das sollen sie dann auch tun. Wehrpflicht ja oder nein
– der Rest der Bevölkerung soll nicht unbedingt fühlen, dass weit in fernen
Ländern Menschen ihr Leben riskieren. Und töten.
Es ist ein Skandal der „modernen“ Kriege, Irak, Afghanistan plus der
Drohnenkriege: Nationen führen Krieg irgendwo weit weg, und es tut nicht
weh. Über die Opfer weiß man ohnehin wenig, will man auch wenig wissen:
Nicht einmal die Zahl der Toten im Irak ist bekannt. Nur wenige Bürgerinnen
und Bürger und erst recht nicht die politischen Entscheidungsträger sind
persönlich betroffen. 2004 hat Regisseur Michael Moore in „Fahrenheit 911“
im US-Capitol in Washington nur einen Politiker gefunden, dessen Sohn oder
Tochter damals Militärdienst im Irak leistete.
Die Wehrpflicht wurde in den USA 1973 abgeschafft. Es ging damals offenbar
nicht mehr anders. Richard Nixon war Präsident, Außenminister Henry
Kissinger bekam den Friedensnobelpreis, der Vietnamkrieg ging zu Ende,
Veteranen warfen ihre Orden und Medaillen über den Zaun des Weißen Hauses.
In den Streitkräften war der Widerstand gegen den Krieg eskaliert:
Zehntausende GIs desertieren. Eine Analyse im Armed Forces Journal 1971 kam
zum Schluss: „Die Army in Vietnam steht vor dem Zusammenbruch, einzelne
Einheiten meiden und verweigern den Kampf … sie bringen ihre Offiziere um
…“
## Wehrpflicht wider der Freiheit
Auch wenn es viele Söhne der Elite damals schafften, wegen des Studiums
oder mit Hilfe von Beziehungen „zurückgestellt“ zu werden vom
Militärdienst: 58.000 GIs waren tot, 153.000 verwundet. Insgesamt 3,4
Millionen GIs kamen beim Vietnamkrieg in Südostasien zum Einsatz. Und was
man im Fernsehen sah über die Kriegsgräuel: Da wollte man nicht hin; da
wollte man nicht, dass der Sohn hin musste. In Nixons Arbeitsgruppe zur
Neugestaltung des Militärs soll der Ökonom Milton Friedman („Kapitalismus
und Freiheit“) besonders beeindruckt haben: Die Wehrpflicht, sagte er,
widerspreche den freimarktwirtschaftlichen Grundzügen der Freiheit.
Die 1,4 Millionen US-Uniformierten heute, 15 Prozent davon Frauen, sind
alle Berufssoldaten und -soldatinnen. Das Konzept Profimilitär
funktioniert. Es gab im Irak und in Afghanistan kaum Deserteure, von
Kampfverweigerungen und von Anschlägen auf Offiziere hat man nichts gehört.
Obwohl auch viele Soldaten skeptisch waren. Bei einer Umfrage des Pew
Research Center im Herbst 2011 erklärten 96 Prozent der
Post-9/11-Veteranen, sie seien stolz auf ihren Dienst. Nur 34 Prozent
sagten freilich, die Kriege im Irak und in Afghanistan seien es „wert“
gewesen. 37 Prozent gaben an, sie litten an PTSD (Posttraumatischen
Belastungsstörung).
Heer, Luftwaffe, Marine und Marineinfanteristen haben vergangenes Jahr ihre
Rekrutierungsziele (insgesamt 67.000) locker erreicht. Gemeinsam haben
viele BerufssoldatInnen ihre Familiengeschichten: Etwa die Hälfte stammen
aus Familien, in denen Eltern oder nahe Verwandte Soldaten waren oder sind.
Liest man die Namen der Gefallenen, fällt auf: Heimatorte vieler Toten sind
Dörfer und Kleinstädte. US-Militärs kommen überproportional vom Land, aus
dem Süden und dem Mittleren Westen, aus Regionen, die Sarah Palin als das
„richtige Amerika“ bezeichnen würde.
## Klatschen für die Veteranen
Nur 0,5 Prozent der US-Bevölkerung hat in den Kriegsjahren seit dem Angriff
auf Afghanistan im Jahr 2001 in Uniform gedient. Vielerorts kann man durchs
Leben gehen, ohne einen Soldaten oder eine Soldatin persönlich zu kennen.
De Maizière Ausspruch wäre in den USA freilich undenkbar. Ganz gleich, was
man von den Kriegen hält: Mit einem gelegentlich billigen Patriotismus
betonen Amerikaner, sie hätten größten Respekt vor den Uniformierten.
Flugzeugpassagiere klatschen Beifall, wenn der Pilot verkündet, es seien
Veteranen an Bord. Bei Sportveranstaltungen machen die Ansager auf Fahnen,
Nationalhymne und Lob für „unsere“ Truppen, die manchmal noch Freikarten
kriegen.
Hätte man die Wehrpflicht, so General McChrystal kürzlich in dem
[1][Interview mit] [2][Foreign Affairs], würde man weniger oft in den Krieg
ziehen. Der Trend läuft aber in die entgegengesetzte Richtung. McChrystals
Vorstoß wird also verpuffen. Kriege der Zukunft werden mit Robotern
geführt, mit Drohnen und im Cyberspace. Man braucht weniger Soldaten zum
Ausüben der Macht. Die Versuchung wird groß sein für die Politik, zum
Mittel des Krieges (bzw. „Auslandeinsatzes“) zu greifen.
5 Mar 2013
## LINKS
[1] http://www.foreignaffairs.com/discussions/interviews/generation-kill
[2] http://www.foreignaffairs.com/discussions/interviews/generation-kill
## AUTOREN
Konrad Ege
## TAGS
Wehrpflicht
Schwerpunkt Afghanistan
USA
Krieg
sexueller Missbrauch
Thomas de Maizière
Drohnen
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