# taz.de -- Debatte US-Befehlshaber in Afghanistan: Neues Personal, alte Politik | |
> Der US-Präsident hat seinen Kommandeur auf dem Hindukusch gefeuert. An | |
> der Strategie der Aufstandsbekämpfung ändert das nichts. | |
Der Krieg in Afghanistan, der bei uns nicht so genannt werden darf, dauert | |
inzwischen länger als die Beteiligung der USA am Vietnamkrieg - und wenig | |
spricht dafür, dass Washington und seine Verbündeten dort erfolgreicher | |
sein werden als seinerzeit in Indochina. Möglicherweise gelingt es ihnen | |
allerdings, eine Niederlage der Öffentlichkeit heute besser als damals zu | |
verkaufen. Vielleicht sogar als Sieg. | |
Stanley McChrystal, der als oberster US-Kommandeur in Afghanistan mit | |
Schimpf und Schande entlassen wurde, ist durch David Petraeus ersetzt | |
worden. Ein Personalwechsel sei das, sagte US-Präsident Barack Obama, aber | |
kein Politikwechsel. "Das exakt ist das Problem", schreibt dazu Rolling | |
Stone. Ein Musikmagazin, dessen durchaus ernst zu nehmende politische | |
Artikel eine breitere internationale Öffentlichkeit erst dann überrascht | |
zur Kenntnis nahm, als ein glänzend recherchiertes Porträt über McChrystal | |
und dessen Verachtung der regierenden Zivilisten in Washington zu dessen | |
Entlassung führte. | |
Und nun? Nun soll, wie Präsident Barack Obama bemerkenswert offenherzig | |
einräumte, im Prinzip alles weitergehen wie bisher. Ist jemand überrascht? | |
Dass der US-Präsident gerade auf dem Feld der Militärpolitik auf | |
Kontinuität setzt, ist bekannt. Sein Verteidigungsminister Robert Gates ist | |
bereits 2006 auf sein Amt vereidigt worden - also noch unter George W. | |
Bush. | |
Es ist in den USA durchaus gute Praxis, dass der Präsident zumindest einen | |
Politiker der gegnerischen Partei auf seinem Posten belässt oder ihn | |
überhaupt erst dahin beruft. Aber ausgerechnet den Verteidigungsminister - | |
zu einem Zeitpunkt, zu dem die USA einen Zweifrontenkrieg führen? Das ist | |
dann doch ein bisschen mehr als Höflichkeit gegenüber dem politischen | |
Gegner. Das ist Programm. | |
Während seines Wahlkampfs hat Obama immer wieder betont, er wolle so | |
schnell wie möglich die US-Truppen aus dem Irak zurückziehen. Jene seiner | |
Anhänger, die ihn für einen Friedensfürsten hielten - oder halten -, waren | |
entzückt. Sie überhörten geflissentlich den zweiten Teil der Aussage: dass | |
Obama den Rückzug vor allem deshalb befürwortete, weil er mehr Truppen für | |
den Krieg in Afghanistan zur Verfügung haben wollte. | |
Er hat das ernst gemeint, und er beweist es mit seiner Personalentscheidung | |
für Petraeus. Der hat, wie Rolling Stone schreibt, die US-Strategie der | |
"Aufstandsbekämpfung" erfunden. Und nicht nur die: "Vor allem ist er ein | |
Meister der Schilderung, die US-Amerikaner besonders gern hören. Er hat | |
viele Insider in Washington praktisch im Alleingang davon überzeugt, dass | |
seine Truppenaufstockung im Irak zu einer Art größerem Sieg in Mesopotamien | |
geführt hat - eine Vorstellung, die vergleichbar ist mit der Behauptung, | |
dass Pizza Hut gute Pizzas hat." Das erreicht zu haben, ist ein grandioser | |
PR-Erfolg. | |
Aber es gibt nicht nur Werbung, es gibt auch das reale Leben. Die Pizzas | |
bei Pizza Hut sind nicht gut, und die USA haben im Irak keinen | |
militärischen Sieg errungen. Die New York Times kommentierte dieser Tage | |
die Lage dort ironisch: "Der Rückzug, der die Zahl der amerikanischen | |
Truppen auf 50.000 verringern wird - von 112.000 zu Beginn dieses Jahres | |
und von knapp 165.000 auf dem Höhepunkt der Aufrüstung -, ist eine | |
logistische Meisterleistung, die höchste Bewegung von Wehrmaterial seit dem | |
Zweiten Weltkrieg." Es ist außerdem eine Übung in Semantik. | |
"Was Soldaten heute als Kämpfe bezeichnen würden - die Jagd auf | |
Aufständische, gemeinsame Kommandounternehmen von irakischen | |
Sicherheitskräften und US-amerikanischen Spezialkräften, um Bewaffnete zu | |
töten oder zu verhaften -, das wird künftig als ,stabilisierende Maßnahme' | |
bezeichnet werden." Klingt vertraut. Die Hoffnung, ein Problem ließe sich | |
damit lösen, dass man es nicht mehr als das bezeichnet, was es ist, kennen | |
Bundeswehrangehörige ja aus Afghanistan. | |
Die Form der "Aufstandsbekämpfung", die Petraeus erfunden und die eben auch | |
McChrystal umgesetzt hat, bedeutet vor allem: dem Militär kommt eine | |
unvergleichlich größere Bedeutung zu als zivilen Institutionen - eine | |
Entwicklung, gegen die sich US-Diplomaten seit Monaten vergeblich gewehrt | |
haben. Soldaten agieren nicht als verlängerter Arm der Politik, sondern | |
sind selbst zuständig für die politische Aufgabe der Vertrauensbildung. | |
Überall. Nicht nur an den wichtigsten Kriegsschauplätzen, sondern auch in | |
abgelegenen Dörfern. Und da so etwas schwierig, langwierig und | |
personalintensiv ist, werden zunächst einmal mehr Soldaten gebraucht. | |
Die Öffentlichkeit muss also Truppenverstärkungen akzeptieren - und, | |
wichtiger noch, eine zunächst steigende Zahl von Toten. In der Logik dieser | |
Strategie der Aufstandsbekämpfung muss es zunächst schlimmer kommen, bevor | |
es besser werden kann. Ob es am Ende dann tatsächlich besser wird - das ist | |
eher eine Glaubensfrage als eine Überzeugung, die sich auf empirische Daten | |
stützen kann. | |
Barack Obama scheint zu glauben, dass es funktioniert. Seine | |
Personalentscheidung für das Oberkommando in Afghanistan bedeutet: Er | |
opfert den Primat der Politik einer vagen Hoffnung auf - im Wortsinne - | |
fabelhafte Fähigkeiten des Militärs. Die irgendwie alles gleichzeitig sind: | |
Helfer, Soldaten, Diplomaten. Die Personalentscheidung bedeutet auch: Er | |
hat sich zwar über Stanley McChrystal und dessen respektlose Bemerkungen | |
geärgert. Aber er ist nach wie vor nicht der Meinung, dass irgend etwas | |
grundsätzlich schiefläuft in Afghanistan und einer Kurskorrektur bedarf. | |
Wäre das anders, er hätte keine bessere Gelegenheit finden können als | |
diese. Wie oft hat ein Präsident schon die Gelegenheit, mitten im Krieg | |
einen Kommandeur auszutauschen und sich dabei der Zustimmung der | |
Öffentlichkeit gewiss sein zu können? Fast nie. Aber Obama hat die | |
Gelegenheit offenbar nicht herbeigesehnt, und ganz gewiss hat er sie nicht | |
in etwas verwandelt, was über den reinen Austausch von Köpfen hinausgeht. | |
Alles bleibt also, wie es ist. Wie hätte die Weltpresse wohl eine solche | |
Entscheidung von George W. Bush kommentiert? | |
5 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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