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# taz.de -- Asyl-Kunstprojekt in Augsburg: Flüchtlinge ins Grandhotel
> Künstler und Aktivisten bauen in Augsburg eine besondere Herberge für
> Reisende und Asylsuchende. Doch Extrarechte für Flüchtlinge werden kaum
> gewährt.
Bild: Eins der Zimmer im Grandhotel, bunt bemalt
AUGSBURG taz | Ausgerechnet im für seine strenge Flüchtlingspolitik
berüchtigten Bayern werden Asylsuchende bald in einem Grandhotel leben. Na
ja, einige jedenfalls: Rund 60 Flüchtlinge sollen in bester Lage mitten in
der Augsburger Innenstadt, mit Café, Restaurant und Kulturprogramm ab April
im „Grandhotel Cosmopolis“ unterkommen.
Das Cosmopolis vereint Asylbewerberheim, Hotel und Kulturraum. Nach dem
Vorbild der Grandhotels vergangener Zeiten soll es eine Begegnungsstätte
für Einheimische und Reisende aus aller Welt sein, ein Ort für Kunst – und
ein Ort, an dem Flüchtlinge am sozialen Leben teilhaben.
Mit dieser Idee wandten sich vor zwei Jahren drei Augsburger an die
Diakonie, die sowieso gerade neue Nutzungsmöglichkeiten für ein
leerstehendes Seniorenheim suchte. Der Kulturaspekt galt dort als
integrativ: „Wir wollten das Umfeld nicht überfordern, keine Ängste vor
Abwertung des Viertels schüren“, sagt Fritz Graßmann, Vorstand des
Diakonischen Werks Augsburg.
Der Deal: Die Künstlerinnen und Künstler renovieren das Hotel, 300.000 Euro
Sachkosten zahlt dafür die Diakonie. Die Zimmer der Flüchtlinge mietet der
Landesbezirk Schwaben, der wie gewöhnlich die Versorgung der Flüchtlinge
übernimmt. Die Künstler zahlen nachher ermäßigte Mieten.
Die Zahl dieser selbst ernannten Hoteliers wuchs rasch auf jetzt etwa 20,
die nun in Eigenregie und gemäß Plenumsbeschlüssen Wände einreißen und
Sanitäranlagen renovieren. „Natürlich haben wir uns anfangs Sorgen wegen
des Gelds gemacht. Aber mittlerweile hat sich gezeigt, dass die Gruppe ein
verlässliches Konzept hat“, erzählt Fritz Graßmann.
## „Teil einer sozialen Skulptur“
„Wir basteln hier unentgeltlich an der Veränderung der Gesellschaft“,
erläutert Aktivist Johannes Meyer. Doch gibt es später auch etwas zurück:
In 18 Räumen für Kulturschaffende entstehen Ateliers, Foto- oder
Tonstudios, deren Kosten später der Hotelbetrieb decken soll. 20 bis 100
Euro könnte eine Nacht in einem der Zimmer mit Gemeinschaftsbad kosten.
„Die Gäste werden für die Dauer ihres Aufenthalts Teil einer sozialen
Skulptur“, lautet das Konzept. Gemälde, Skulpturen und Installationen
schmücken die Hotelzimmer: ein Bettgestell teils aus Waschmittelkartons,
Tische mit Kinderschuhen an den Beinen. Viele der Materialien sind
Bau-„Abfälle“ oder Spenden.
Räumlich getrennt vom Hotelbereich befinden sich in den unteren Stockwerken
die Ateliers und die Zimmer der Asylsuchenden. Sie sind einfacher gehalten,
aber auch hier sollen statt der üblichen Metallstockbetten schönere Möbel
stehen. Wer möchte, kann sein Zimmer künstlerisch selbst gestalten –
zusammen mit dem Mitbewohner, denn auch im Grandhotel wird es für die
Flüchtlinge Zweibettzimmer mit der üblichen Quadratmeterzahl geben.
„Obwohl Modellprojekt, wird das keine Luxusunterkunft“, meint Graßmann. Die
Kulturschaffenden versuchen aber, durch „freundliches Bohren“ etwa
Breitband-WLAN-Verbindung statt Satellitenfernsehen zu erringen. Wo sie
nichts erreichen konnten, wie etwa bei den viel kritisierten Essenspaketen,
sollen solche Missstände angeprangert werden. Die Ausgabe der Essenspakete
in der Hotellobby soll darauf aufmerksam machen, dass auch im Grandhotel
die Flüchtlinge sich ihre Nahrung nicht aussuchen können.
## Den Staat entlasten
Da an manchen Vorgaben der Regierung nicht zu rütteln ist, setzen die
Vereinsmitglieder auf „Freunde statt Sozialpädagogen“, wie der Aktivist
Benedikt Gleißl zusammenfasst. Im Idealfall sind die Flüchtlinge in
Hausgemeinschaft und Nachbarschaft integriert: „Wir wollen hier eine Heimat
für die Menschen aufmachen, denn eigentlich sind wir hier alle
Flüchtlinge.“ Geflohen vor Krieg in Afghanistan, wie der Kalligraph und
Maler Sayed Adi Bahrami, vor der wirtschaftlichen Lage in Griechenland wie
Stavros oder vor den gesellschaftlichen Verhältnissen in Deutschland wie
Gleißl.
Um der Augsburger Gesellschaft das Projekt nahezubringen, haben im
Grandhotel bereits über 50 Konzerte, Lesungen und dergleichen
stattgefunden. „Von Claudia Roth bis zum Lions Club haben viele Menschen
ein Hotelführung mitgemacht. Lokalpolitiker aller Parteien scheinen hinter
dem Projekt zu stehen“, gibt Pfarrer Graßmann erleichtert zu Protokoll.
Die Kulturschaffenden nehmen bewusst in Kauf, dass sie den Staat mit ihrem
Engagement von seinen Aufgaben entlasten. Sie hoffen, dass sie Nachahmer
finden und Flüchtlingspolitik irgendwann ganz anders gemacht wird. Für die
Bezirksregierung Schwaben hingegen ist das Ganze erst mal ein Versuch. Ende
offen: Ob das Projekt günstiger oder teurer kommt als reguläre Unterkünfte,
ob es ausgeweitet wird, muss sich noch zeigen.
5 Mar 2013
## AUTOREN
Franziska Haack
## TAGS
Flüchtlinge
Bayern
Asylsuchende
Augsburg
Jude
Flüchtlinge
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