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# taz.de -- Kolumne Später: Unter der Slackline
> Die Mittfünfzigerin ertappt sich dabei, wie sie gern Männern beim
> Balancieren auf dem Gurtband zuschaut. Ein Fortschritt.
Bild: Slackliner im Schottenrock in – na klar, Schottland
Frauen werden ja angeblich ab 50 irgendwie unsichtbar. Niemand mehr sieht
mich, nimmt mich wahr, schnief! Der gleichaltrige heterosexuelle Mann
schaut durch mich hindurch, ein altes evolutionsbiologisches Programm
angeblich, weil nur das junge, reproduktionsfähige Weibchen den männlichen
Blick … Heul! Doch es gibt Trost. Man muss nur abgeranzte Orte aufsuchen
wie die T-Hall in Neukölln, schon erhellt sich die traurige Perspektive.
„Die Slackline“, sagt Theresa, „ist dir schon aufgefallen, dass da vor
allem Männer drauf laufen?“ Wir lagern auf dem gammeligen Sofa in der
Kletterhalle und blicken nach oben.
Schon länger habe ich festgestellt, dass ich gerne jungen muskulösen
Männern beim Klettern oder Balancieren auf der Slackline zuschaue. Ich
selbst klettere ja nur wegen meines schwachen Rückens und würde es niemals
wagen, auf dem wackligen Gurtband herumzueiern, das in der T-Hall hoch oben
quer über den Raum gespannt ist.
Aber der junge Mann oben macht es wirklich gut, er breitet die Arme aus und
federt in den Knien, darauf kommt es an. Er schafft es bis zum Ende der
Slackline und dreht sich darauf sogar um. „Das liebe ich an der Halle“,
sagt Theresa, „die Männer hier.“ Ich schweife innerlich etwas ab, denn
dieses Sofa ist durchgesessen. Mein Rücken tut ein bisschen weh.
Aber Theresa hat Recht, die Frau in späten Jahren liebt die Gesellschaft
der Männer und schätzt dabei eine gewisse Distanz, so meine Theorie.
Deswegen machen Frauen in diesem Alter mitunter noch den
Motorradführerschein oder schließen sich einem Wüstentreck an. Man will ein
bisschen dabei sein, aber auch ein bisschen für sich. Und viel auch nur
schauen. Das soll ja evolutionsbiologisch gesehen sogar die höhere Position
sein. Denn derjenige, der schaut, abwägt und beurteilt, soll in der
besseren Lage sein als derjenige, der sich herausputzen und herumtanzen
muss, um irgendjemand anderem zu gefallen. Ist auch die Masche von Dieter
Bohlen.
An der rechten Kletterwand fällt mir jetzt der Typ mit den asiatischen
Gesichtszügen auf. Ein hübscher Mensch. Er hangelt sich am Dach entlang.
Das ist die große Kunst, an der Decke zu kleben wie ein Insekt, für das die
Schwerkraft nicht gilt. Der Witz besteht darin, den ganzen Körper unter
Spannung setzen zu können und nicht nur irgendwie an den Händen zu hängen.
Ich betrachte das auch sportwissenschaftlich.
„Das schaffen nur wenige bis zum Endpunkt“, sagt Theresa mit Blick nach
oben, „da brauchst du schon Ehrgeiz, um diesen Muskelaufbau zu erreichen“.
Das müssen wir zum Glück nicht.
Wobei ich es natürlich nett fände, wenn mal ein bisschen mehr gewürdigt
würde, dass ich jetzt immerhin die rote Tour in der Ecke hochkomme, für
eine Mittfünfzigerin durchaus eine Leistung.
Theresa lobt aber immer meine Fortschritte, ein Trost. Unsere früheren
Kletterpartner Pit und Werner haben leider mit dem Klettern irgendwie aus
Altersgründen aufgehört.
Der Typ auf der Slackline hat es geschafft. Er ist wieder ganz sicher auf
der Plattform angekommen und jetzt strahlt er. „Auf geht’s, lass uns mal
die grüne Tour probieren“, sagt Theresa und hängt ihre Karabiner an den
Gurt. Ich liebe diesen metallischen Klang. Es gibt schon noch was zu tun.
12 Mar 2013
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
Barbara Dribbusch
## TAGS
taz.gazete
Später
Männer
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Heizung
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