# taz.de -- Politik-Rhetorik auf dem taz.lab: Das verweigerte Gespräch | |
> Der Bürger ist zum Auslaufmodell der politischen Rede geworden. Weshalb | |
> er keine Erwähnung mehr in der Polit-Rhetorik erhält? | |
Bild: Wenn Merkel spricht, hört man zu und nickt geräuschlos ab | |
Wovon lebt die Demokratie? Angela Merkel sagte 2005, Vertrauen sei das | |
Schmiermittel der Demokratie. Im technokratischen Denken der | |
Bundeskanzlerin gilt Vertrauen als geräuschloses Funktionieren der | |
Demokratie. | |
Das ist erstaunlich. Wenn sie sich selbst beobachtete, würde Frau Merkel | |
sehr schnell den blinden Fleck in ihrer Präferenz für wortloses | |
Funktionieren erkennen. Politik lebt vom Gespräch: in Parteigremien, im | |
Koalitionsausschuss, im Vertrauensgespräch für Hintergrundinformationen, im | |
inszenierten Gespräch einer Bundestagsdebatte. Merkel reduziert den | |
politischen Prozess der Demokratie auf das geräuschlose Abnicken. | |
Die Bürger, Einwände und ihr Eigensinn erscheinen aus diesem Blickwinkel | |
als Störung des Betriebsablaufs, nur in kleinster Dosis zumutbar. Im | |
Dienstplan der Macht bleibt für die Bürger die Funktion von Statisten im | |
TV-Studio. Zahllose kluge Artikel, in denen das Fehlen der | |
„Erklärkanzlerin“ (Wulf Schmiese) oder das leere Reden von Merkel (Dirk | |
Kurbjuweit) beklagt wird. | |
In der Sehnsucht nach der großen Rede der Kanzlerin erscheint ein anderer | |
blinder Fleck. Auch Journalisten betreiben politischen Paternalismus, | |
glauben, besser zu wissen, welche Entscheidung die richtige wäre. Warum | |
übersieht die Vierte Gewalt, dass die Bürger in politischen Reden nicht | |
mehr vorkommen? Was Kurbjuweit und Schmiese kritisieren, trifft - aber sie | |
verfehlen den entscheidenden Webfehler des politischen Redens. | |
Das überrascht, in Foren der reichweitenstarken Medien wimmelt es von | |
Einsprüchen, rasender Wut und nachdenklichen Analysen. Alle Formate von | |
offener Rebellion bis zum gut abgehangenen Goethezitat treffen dort | |
aufeinander. Die Diskrepanz ist aus einem weiteren Grund bemerkenswert: | |
Noch nie wurde der Souverän so genau beobachtet, vermessen und gewichtet. | |
Noch nie waren Politik und Medien so gut im Bilde, was die Bürger denken | |
und was sie bewegt. Aber in dem einzigen analogen Format der Politik, in | |
dem die Politik die Lage beschreibt, in den politischen Reden kommen die | |
Bürger und ihr Eigensinn nicht vor. | |
Das führt zu absurden Situationen. Nehmen wir irgendein Thema, wie die | |
Gleichstellung von eingetragenen Partnerschaften mit der Ehe: In jedem | |
„gebauten“ Fernsehbeitrag kommen ein paar Bürger zu Wort - und verschwinden | |
aus dem Kurzzeitgedächtnis, noch bevor zum Kommentar aus Berlin | |
weitergeschaltet wird. Die Stimmen der Bürger degenerieren zu einer | |
Inszenierung des Dabeigewesenseins. | |
Ähnlich sieht es in den Rathäusern aus, in denen die Kanzlerin huldvoll den | |
Dialog mit den Bürgern zu führen scheint - aufwendig inszeniert erheben sie | |
das routinierte Nichtssagen in eine neue Dimension. Solche Veranstaltungen | |
können wir als Symptom eines Phantomschmerzes lesen. Der Schmerz erzählt, | |
was fehlt: die Stimmen und der Eigensinn der Bürger. | |
Dabei lebt die politische Rede von der Idee, das Gespräch mit den Bürgern | |
zu führen, ihre Einwände zur Kenntnis zu nehmen, ihre Fragen zu | |
beantworten, sich an den stärksten Einwänden der Gegner zu messen und so | |
einen Meinungswandel zu ermöglichen. Selbst den Grünen, die in ihrem | |
Wahlprogramm von 2009 für einen neuen Gesellschaftsvertrag plädierten, ist | |
nicht aufgefallen, dass die vertragschließenden Bürger dazu erst am Wahltag | |
gehört wurden. | |
Warum ist das so? Wir können die Antwort darauf in der Rhetorik der | |
Bundeskanzlerin finden. Sie maskiert erfolgreich die dauerhafte Krise als | |
Normalität. Im Befund, dass wir uns in einem langwierigen krisenhaften | |
Ausnahmezustand befinden, ist sich die politische Klasse einig. Deswegen | |
ist es umso wichtiger, die Bürger im Gespräch über die Lage der Nation zu | |
Wort kommen zu lassen. Denn sonst befördert „alternativlose Politik“ in | |
„marktkonformer Demokratie“ das Geschäft sehr unerfreulicher Alternativen. | |
Hans Hütt analysiert im Gespräch mit Ulrich Schulte auf dem taz.lab die | |
Rhetorik von Merkel, Steinbrück und Co. | |
15 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Hans Hütt | |
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