# taz.de -- Schreiblust auf dem taz.lab: „Wen interessiert schon die Realitä… | |
> Das Leben schreibt seine Geschichten nicht von selbst. Man muss „die | |
> ganze Scheiße alleine machen“, weiß Lea Streisand, Autorin der Lesebühne | |
> „Rakete 2000“. | |
Bild: Für Lea Streisand die Erfindung schlechthin: das Telefon – „so richt… | |
taz.lab: Frau Streisand, erfinden Sie Ihre Geschichten? | |
Lea Streisand: Was heißt schon erfinden? Für die Bühne schreibe ich | |
Alltagsbegebenheiten auf. Der Spruch „Geschichten, die das Leben schreibt“ | |
beleidigt mich sehr, weil das Leben keine Geschichten schreibt. Ich muss | |
die ganze Scheiße alleine machen. | |
Was inspiriert Sie zur Scheiße? | |
Es passiert viel und man sucht sich eine Sache raus, die man erzählt. | |
Meistens ist die Realität doch keine fertige Geschichte. Also erfindet man | |
etwas dazu. Manchmal die Hälfte, manchmal auch gar nichts. Wie viel, ist | |
egal. Es geht ja darum, dass es so hätte passieren können. Wen interessiert | |
schon die Realität, wenn es um die Wahrheit geht? | |
Eine Geschichte kann erfunden, aber trotzdem wahr sein? | |
Genau. Es geht nicht darum, etwas zu beweisen, sondern zu erzählen. Man | |
muss Vertrauen in die Geschichte haben, die man schreibt. Bei wirklich | |
guten Texten passiert mir oft, dass ich Jahre später denke: Krass, das | |
steht da schon drin. Habe ich gar nicht gemerkt. Das ist etwas zwischen | |
festhalten und loslassen. Bei kurzen Texten muss man den Blick dafür haben, | |
wo Schluss ist. | |
Was ist für Sie die beste Erfindung in unserem Zeitalter? | |
Das Telefon. Nicht nur, weil mein erster Studentenjob im Callcenter war, | |
sondern auch, weil es als Kommunikationsmedium unheimlich spannend ist. | |
Telefon ist so richtig Alltag. Man trägt es mit sich rum; es ist so klein, | |
dass man es nicht weiter beachtet. | |
Ihre liebste erfundene Geschichte? | |
Harry Potter natürlich. Weil es Alltag ist, erweitert um witzige Einfälle - | |
wie depressive Geister und mythischen Figuren. Erfindungen, die es vorher | |
gab, aber neu zusammengestellt wurden. Letztlich ist es eine | |
Internatsgeschichte um Liebe, Trauer, Tod, Familie, Verantwortung und | |
Pubertät. Das kennen wir doch alle. Harry Potters Welt ist ein um die | |
Hälfte erweiterter Rahmen für alltägliche, zwischenmenschliche Katastrophen | |
und Geschichten. Ich möchte auch mal den neuen Harry Potter schreiben. | |
Wie kamen Sie zum Schreiben? | |
Das wollte ich schon immer. Ich bin ziemlich eitel und eine Rampensau. | |
Deshalb habe ich nie Tagebuch geschrieben. Ich dachte: Wozu die Mühe, wenn | |
das keiner lesen soll? Stattdessen schrieb ich seitenlange Briefe mit | |
Freundinnen, die im Ausland waren. Die habe ich alle aufgehoben. | |
Und die Lesebühnen … | |
… habe ich 2003 entdeckt und gedacht: Das will ich auch machen. Den Alltag | |
zu ästhetisieren hat mir sehr gefallen. Aber von dem „Wir machen hier keine | |
Kunst, wir erzählen nur Geschichten“, habe ich mich schon wegentwickelt. | |
Ich hab schon den Anspruch, Kunst zu machen. Aber da komme ich ja auch her. | |
Wofür sollen Menschen ihren Erfindungsgeist einsetzen - um die Welt zu | |
verbessern oder etwas zu verändern? | |
Die sollen endlich ein Mittel gegen Aids finden! Aber eigentlich bin ich ja | |
eher eine Freundin des Nachdenkens: Ich denke, die großen Probleme können | |
nicht damit gelöst werden, irgendetwas neu zu machen. Ich wünsche mir, dass | |
man weiter diskutiert, sich mehr miteinander beschäftigt und nicht aufhört, | |
sich zu streiten. | |
13 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Mareike Barmeyer | |
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