# taz.de -- Sündenbock Hipster: Das inflationäre Männlein | |
> Wer macht die Miete teuer? Der Hipster. Wer macht den Fußball kaputt? Der | |
> Hipster. Wer behält immer die Mütze auf? Der Hipster. | |
Bild: Hipster hier, Hipster dort: Hipster Winter Cup 2013, Berlin. | |
Kennen Sie auch Hipster? Diese bärtigen Typen, die sich wie Penner | |
anziehen, den ganze Tag melancholische Musik von anderen bärtigen Typen | |
hören und gerne Rimbaud lesen? Dieser Typus hat jetzt auch den Sport | |
erreicht. Christian Spiller von Zeit Online macht sich Sorge um den | |
Fußball, denn [1][„der Lederball-Hipster“] ist da und der macht alles | |
kaputt. | |
Er „verklärt die Vergangeheit, indem er vor der Gegenwart flüchtet“. Und | |
auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung fordert: [2][„Schluss mit dem | |
Hipsterspuk!“] Ein Pamphlet von Daniel Haas, erschienen Anfang März. | |
Hipster hier, Hipster dort, Hipster my ass. Eine endlose Debatte. | |
Wobei „Debatte“ schon zu hoch gehängt ist, denn wie soll über etwas | |
konstruktiv diskutiert werden, wenn schon die Begrifflichkeit das Problem | |
ist? Die Hipster sind die gerade angesagten Hassfiguren. Sie sind an allem | |
schuld, weil sie unpolitisch sind, sich in der Vergangenheit suhlen und | |
Städte gentrifizieren. Haas fragt in seinem FAZ-Essay „Gibt es diesen Typus | |
nun, oder ist er nur ein Gespenst, das durch die Medien geistert?“ Schnell | |
beantwortet er sich die Frage mit Ja. Worüber sonst schreiben? | |
Die Journalisten und Journalistinnen – auch dieser Zeitung – verwenden den | |
Begriff inflationär, weil sie glauben, die Menschen dort draußen wüssten | |
schon, was oder wer gemeint sei. Wissen sie aber nicht. Wie auch? Selbst | |
die Schreibenden haben ja keine Ahnung. Mal ist der Hipster apolitisch, mal | |
Aktivist, mal intellektuell, mal Stulle. | |
## Irgendwie gut aussehen | |
Es gibt Hipster-Magazine (marxistisch: Jacobin, zeitgeistig: Vice), die | |
allenfalls gemeinsam haben, dass sie irgendwie gut aussehen, | |
Hipster-Philosophen (Slavoj Žiźek) zu Wort kommen lassen und Hipstermusik | |
(alles, was gerade so gehört wird und nicht Mainstream ist) rezensieren. Am | |
meisten scheinen sich die Hipster-Interpreten am Äußerlichen zu stören. Der | |
Hipster taucht medial meist als Mann, nein als Männlein auf. | |
Enge Röhrenjeans, Bart, Wollmütze und Werbeagentur-Kastenbrille. „Man würde | |
Mode nach unten kolonialisieren“, schreibt Haas. Der Hipster habe also den | |
Armen und Entrechteten das Outfit geklaut. Dabei haben sich Designer schon | |
immer von der Mode der Straße inspirieren lassen. | |
Menschen, die über das Phänomen Hipster schreiben, fühlen sich gestört von | |
diesen jungen Typen, die vermeintlich keine modische Konventionen einhalten | |
wollen. Der Hipster behält seine Mütze in geschlossenen Räumen auf. | |
Skandal! Haas sieht darin den Wunsch der Hipster, wie ihre Amme auszusehen | |
und – so schlussfolgert er – wie sehr sie sich doch eigentlich wieder | |
zurück in die Kindheit wünschen. Wirklich? Und: Wie viele Menschen werden | |
heutzutage eigentlich noch von Ammen großgezogen? | |
Der Hipster ist eine Projektionsfläche. Fiktion. Als Mark Greif aus New | |
York 2010 sein Buch [3][„What Was the Hipster?“] herausgab, wusste er viel | |
über dieses Phänomen. Er kannte seinen Phänotyp, er wusste, dass er | |
apolitisch ist, was er denkt, hört, fühlt. Was Greif nicht wusste: wer oder | |
was genau ein Hipster ist. | |
## Einige Inkarnationen | |
Bis dahin hatte der Hipster bereits einige Inkarnationen hinter sich: Jack | |
Kerouac beschrieb ihn 1940 als eine Art Tramper mit spirituellem Charakter. | |
Für [4][Norman Mailer] war der Hipster ein amerikanischer Existenzialist, | |
der ein Leben umgeben vom Tod lebt – nachzulesen in seinem Essay „The White | |
Negro“. Was ist von dieser Assoziation geblieben? | |
Heute ist der Hipster hauptberuflich Sündenbock. Seine Liebe zur | |
Vergangenheit. Das Schwelgen in Reminiszenz – sowohl optisch als auch | |
intellektuell. Das wird als Weltflucht gelesen, als Eskapismus. Der Hipster | |
soll stellvertretend für eine junge Generation stehen, die nichts Neues | |
mehr wagt. Wobei sie, wenn überhaupt, Gegenwärtiges und Vergangenes mixt | |
und dadurch etwas kreiert. So schwer zu begreifen ist das nicht in der | |
aktuellen politisch-wirtschaftlichen Lage, die Gegenwart für sich genommen | |
bietet vielen nicht allzu pralle Perspektiven. | |
Was sie auch nicht bietet, sind einfache Erklärungen. Dafür, dass alles | |
immer schlimmer, immer komplexer, weniger eindeutig wird. Der Hipster | |
stellt in diesen Zeiten den idealen Schuldigen dar. Ebenso wenig fassbar | |
wie die Dinge, für die er verantwortlich sein soll, lässt er sich als | |
Lückenfüller dort einpassen, wo eine Erklärung Löcher aufweist und das | |
Nennen der wahren Verantwortlichen zu kompliziert, riskant oder einfach nur | |
langweilig wäre. Schuld sind dann irgendwie alle und niemand. Hipster | |
klingt aber schöner. | |
20 Mar 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.zeit.de/sport/2013-03/fussball-fans-intellektuelle-hipster | |
[2] http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/mode/es-nervt-schluss-mit-dem-hipst… | |
[3] http://www.guardian.co.uk/books/2010/nov/14/what-was-the-hipster-review | |
[4] http://www.dhs.fjanosco.net/Documents/TheWhiteNegro.pdf | |
## AUTOREN | |
Enrico Ippolito | |
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