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# taz.de -- Zypern nach der Einigung: Fassungslos und gleichmütig
> Angst und Sorge gehen im griechischen Teil Zyperns um. Massenproteste
> gegen den europäischen Rettungsplan bleiben derweil aus.
Bild: Zuschauer am Unabhängigkeitstag: Nikosia am Montag.
NIKOSIA taz | Wenige Stunden nach der Entscheidung von Brüssel beginnt in
den Straßen von Nikosia eine Großdemonstration. Tausende Schulkinder
laufen, fein gemacht mit Schlips und Kragen, hinter den Emblemen ihrer
Lehranstalten und Sportvereinen her. Einige tragen grüne, an Uniformern
erinnernde Kleidung, andere weiße Handschuhe. Das Publikum steht dicht
gedrängt am Straßenrand. Dazu dröhnt Marschmusik vom Band.
Nein, dies ist kein Protest dagegen, dass Zyperns Banken Abschied nehmen
müssen von Größe und internationalen Anlegern. Hier geht es um den
griechischen Unabhängigkeitstag, der auch im von Hellas weit entfernten
Zypern mit Pauken und Trompeten begangen wird. Fast scheint es so, als
reagierten die griechischen Zyprioten darauf, dass ihre Banken und die
Finanzindustrie ihre besten Tage hinter sich haben, mit Gleichmut.
Wären da nicht fünf einsame junge Frauen und Männer und ein gelbes Plakat.
„Zypern, wache auf!“ haben sie darauf geschrieben. Sie protestieren gegen
die Brüsseler Beschlüsse. „Wir sind weder links noch rechts“, sagt ein Ma…
mit Vollbart, der seinen Namen nicht nennen möchte. „Wir können unseren
Kindern nicht mehr in die Augen blicken“, erklärt eine rothaarige Frau. Sie
meint die Zukunft ihres Landes. „Wir wollen Merkel nicht“, sagt Chris. Er
ist erst 15 Jahre alt.
Tatsächlich steht Zyperns Finanzindustrie für mindestens 50 Prozent der
Einnahmen der Insel. Schneidet man, wie in Brüssel geschehen, diese
Industrie zusammen, dann ist das etwa so, als müssten Deutschlands
Autobauer aus Gründen des Klimaschutzes allesamt ihre Betriebe schließen.
Schlecht für die Arbeitsplätze.
## Rote Augen vom Dauerfernsehen
Das wissen auch die Zuschauer des Umzugs zum griechischen
Unabhängigkeitstag. Viele von ihnen haben rote Augen vom Dauerfernsehen der
vergangenen Nacht, als sämtliche Kanäle sich darin überboten, einheimische
Experten zu befragen. „Wir haben Angst, was nun passieren wird“, sagt
Sotira Athimodorou, während ihr Mann Doros neben ihr steht. Der hat Schecks
der Laiki-Bank über 25.000 Euro, die er für sein kleines Unternehmen
einlösen will, wenn die Banken wieder öffnen. Doch die Laiki-Bank wird
aufgelöst, und Doros weiß nicht, ob die Schecks noch mehr wert sind als ein
paar Stücke Papier. Wie soll er nächste Woche seine Angestellten bezahlen?
„Es schmerzt“, sagt Jiannis, der mit seiner Frau und den zwei Kindern
gekommen ist. Der Lkw-Fahrer ist schon seit zehn Monaten ohne Arbeit. Das
Arbeitslosengeld ist ausgelaufen. Noch verdient seine Frau Jioanna als
Supermarktkassiererin Geld. „Die Arbeitslosigkeit wird noch mehr steigen“,
sagt Jiannis, und schiebt den Kinderwagen mit dem Jüngsten weiter. Am Rande
der griechischen Jubelfeiern streitet Jiannis mit den Umstehenden darüber,
ob das Brüsseler Ergebnis nun noch schlimmer sei als der ursprüngliche
Plan, alle Sparer zu belasten. Viele meinen: Ja.
Es ist nicht so, als blickten die Zyprer stoisch auf die Ereignisse. Fast
scheint es, als hätten viele von ihnen noch nicht so richtig begriffen, was
da auf sie zukommt.
## Relative Einigkeit
Da ist die Politik schneller. Von den vier großen Parteien gibt es nicht
eine, die auf Nachfrage der taz die Beschlüsse von Brüssel wirklich
gutheißt. Nicholas Papadopoulos von der regierenden Demokratischen Partei
spricht von einem „schweren Schlag für Zyperns Wirtschaft“, ja von einem
„Desaster“. Sein Statement unterscheidet sich kaum von der oppositionellen
sozialdemokratischen EDEK, deren Sprecher eine stark wachsende
Arbeitslosigkeit und eine tiefe Rezession befürchtet. „Aber wozu jetzt noch
demonstrieren“, sagt Edek-Mann Dimitris Papadakis. „Wir müssen uns der
Realität stellen.“
Protestieren will nur die postkommunistische Akel, aber, wohl geordnet und
gut vorbereitet, erst am kommenden Mittwoch. Sprecher Gergios Loukaides
nennt den Brüsseler Beschluss ein „Finanzverbrechen gegen Zypern“ und eine
„kollektive Bestrafung des Volkes“. Seine Partei, die bis vor vier Wochen
noch an der Regierung war und eine Einigung mit Brüssel dabei nicht
unbedingt beförderte, verlangt nun ein Referendum über das Abkommen. „Wenn
sie uns dann aus dem Euro rauswerfen, dann werfen sie uns halt hinaus“,
sagt Loukaides trotzig.
Nur die wenigsten Politiker versuchen, die Brüsseler Einigung als einen
Erfolg darzustellen. „Wir haben eine ungeordnete Staatspleite abgewendet –
mit unabsehbaren Folgen“, lobt Regierungssprecher Christos Stylianides.
Ex-Notenbankchef Afxentis Afxentiou hofft, das es in zwei bis drei Jahren
wieder aufwärts gehen wird.
## Kein zweites Spanien
Doch zunächst einmal, darin sind sich alle einig, drohen
Massenarbeitslosigkeit und wirtschaftliche Rezession. Schon jetzt steht die
Jugendarbeitslosigkeit bei 30 Prozent. Thekla, 24 Jahre alt und arbeitslos,
zählte in der Nacht zum Montag zu den wenigen hundert Menschen, die einem
Aufruf auf Facebook für Demonstrationen vor dem Präsidentenpalast gefolgt
sind. Die schwarzhaarige Frau besitzt zwar ein Master in Management, doch
der hilft ihr nicht weiter. „Sie nehmen uns unser ganzes Geld“, sagt
Thekla.
Sie haben nachts den Kreisverkehr unterhalb des Palastes besetzt, während
sich oben in dem aus Kolonialzeiten stammenden Sitz des Regierungschefs die
Parteivorsitzenden versammelt haben und ebenso gebannt auf die Ereignisse
in Brüssel starren wie das ganze Volk. Einer der Demonstranten unten heißt
Pepe, ist ein baumlanger Mann mit einem für Zyprer ungewöhnlichen Akzent.
Pepe ist Spanier. Der Lehrer ist vor der Arbeitslosigkeit in Spanien nach
Zypern geflüchtet. „Gäbe es so etwas wie hier in Madrid, dann wären
Hunderttausende auf der Straße“, sagt er.
Er ist aber nicht in Madrid sondern auf Zypern, wo die Menschen es nicht
gewohnt sind, auf eigene Faust zu demonstrieren. Schließlich ging es all
die Zeit von Jahr zu Jahr besser.
Der große Pepe trägt ein Plakat mit den Umrissen Zyperns. Darunter hat er
auf Griechisch geschrieben: „Zu verkaufen“. Er fürchtet, schon bald weiter
wandertn zu müssen, im krisengeschüttelten Südeuropa.
25 Mar 2013
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
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