| # taz.de -- Flüchtlinge suchen Obdach: Schlafplatz auf den Gängen | |
| > Die Zahl der Asylbewerber in Berlin liegt deutlich höher als in den | |
| > Vorjahren. Viele Unterkünfte sind überbelegt – und werden wohl trotzdem | |
| > bald geschlossen. | |
| Bild: Eine der wenigen Unterkünfte im Westen: Das frühere Notaufnahmelager Ma… | |
| Franz Allert hat einen der schwierigsten Jobs in Berlin. Er muss für die | |
| Unterbringung von Asylbewerbern sorgen, oft gegen erbitterten Widerstand | |
| der Bezirke. In diesem Jahr ist die Situation so angespannt wie selten | |
| zuvor. 5.400 Flüchtlinge wohnen derzeit in Wohnheimen, die längst | |
| überbelegt sind. „In der Motardstraße in Spandau schlafen die Bewohner zum | |
| Teil auf den Gängen“, berichtet Allert, Präsident des Landesamtes für | |
| Gesundheit und Soziales. | |
| Anders als in den Vorjahren, hat die Zahl der neu einreisenden Asylbewerber | |
| in Berlin zu Jahresbeginn nicht ab-, sondern zugenommen. Vor allem aus den | |
| Krisengebieten in Syrien und Tschetschenien kommen immer mehr Menschen. „Im | |
| Januar und Februar baten 50 Prozent mehr Menschen in Berlin um Asyl als im | |
| Vergleichszeitraum des Vorjahres“, sagt Allert. | |
| Etwa 1.000 Asylsuchende leben derzeit in Notunterkünften, die das Land nur | |
| bis Ende März oder Ende April unter Vertrag hat. Notunterkünfte kann Berlin | |
| gegen den Willen der Bezirke beziehen – aber nur für einen begrenzten | |
| Zeitraum. Nur mit Lichtenberg, Treptow-Köpenick und Pankow konnte Allert | |
| bisher eine längere Vertragszeit vereinbaren. Manche Bezirke versuchen, | |
| Flüchtlingsunterkünfte in Wohngebieten zu verhindern – und werden dabei | |
| mitunter von Bürgerinitiativen unterstützt. | |
| Im Bezirk Spandau betreibt die Arbeiterwohlfahrt zwei Asylbewerberheime: In | |
| der zentralen Erstaufnahmestelle in der Motardstraße wohnen 550 Menschen. | |
| Die maroden Baracken liegen zwischen rauchenden Schloten fernab jeder | |
| städtischen Infrastruktur. | |
| Das zweite Heim liegt ein paar Kilometer weiter, neben Verwaltungsgebäuden | |
| und kleinen Handwerksbetrieben, am Rande eines Wohngebietes. Schule, Ärzte | |
| und Einkaufsmöglichkeiten sind für die 200 Bewohner gut zu Fuß erreichbar. | |
| Aus beiden sollen die Flüchtlinge ausziehen. In der Motardstraße ist | |
| spätestens zum Jahresende Schluss, weil die maroden Gebäude abrissreif | |
| sind. Das zweite Heim soll Ende März geräumt werden. In der freundlichen | |
| Wohnumgebung will Spandau laut Allert keine Flüchtlinge haben: „Der Bezirk | |
| macht planungsrechtliche Hindernisse geltend.“ Spandau habe die Unterkunft | |
| „zur Vermeidung von Obdachlosigkeit“ nur über den Winter geduldet. | |
| Spandaus Bürgermeister Helmut Kleebank (SPD) sieht die Dinge etwas anders: | |
| „Wir haben dem Land nur unsere Rechtsposition mitgeteilt. Das Heim liegt in | |
| einem Gewerbegebiet. Dort ist ein Asylheim planungsrechtlich nicht | |
| zulässig.“ Bei der Motardstraße hingegen handele es sich um ein | |
| Industriegebiet. Auch dort seien Asylheime eigentlich nicht zulässig. „Aber | |
| das Gesetz sieht bei Industriegebieten anders als bei Gewerbegebieten | |
| Ausnahmen vor und wir haben diese Ausnahme gestattet.“ | |
| Auch in Wohngebieten ist die Unterbringung von Flüchtlingen umstritten. Ein | |
| Flüchtlingswohnheim gilt laut Rechtssprechung nicht als Wohnung, sondern | |
| als „Anlage für soziale Zwecke“. Canan Bayram, flüchtlingspolitische | |
| Sprecherin der Grünen, hat Urteile aus anderen Bundesländern gefunden, auf | |
| die sich auch einige Berliner Bezirke berufen: Weil Flüchtlinge beengt | |
| wohnten und ihre Wohnräume nicht abschließbar seien, werde ein Teil der | |
| Wohnfunktionen nach außen verlagert. Dadurch entstünden Lärmemissionen, die | |
| den Nachbarn in reinen Wohngebieten nicht zuzumuten seien. „Reine | |
| Wohngebiete“ – ein Begriff aus dem westdeutschen Planungsrecht aus | |
| Vor-Wende-Zeiten, der im Westteil der Stadt noch immer gilt. Aus diesem | |
| Grund können sich etwa Steglitz-Zehlendorf und Reinickendorf, in denen kaum | |
| Asylsuchende wohnen, so vehement gegen die Ansiedlung von Wohnheimen | |
| wehren. | |
| Neben „reinen“ gibt es auch „allgemeine“ Wohngebiete, in denen neben | |
| Wohnbebauung auch wenige andere Gebäude zulässig sind. Ob hier Asylheime | |
| stehen dürfen, ist umstritten. „Nach unserer Rechtsposition“, so Franz | |
| Allert, „ist das sehr wohl zulässig.“ Das sieht auch Lichtenbergs | |
| Bürgermeister Andreas Geisel (SPD) so, in dessen Bezirk die meisten | |
| Asylsuchenden wohnen. Für ihn ist es eine Selbstverständlichkeit, dass | |
| Menschen, die vor existenzieller Bedrohung geflohen sind, in Wohngebieten | |
| willkommen geheißen und nicht auf Industriebrachen abgeschoben werden. Doch | |
| andere Bezirke sehen das anders. Reinickendorf zum Beispiel. | |
| Hier will die AWO ein nicht ausgelastetes Pflegeheim aufgeben und es in ein | |
| Asylheim umbauen – gegen den erbitterten Widerstand des Bezirks, der | |
| zunächst planungsrechtliche Hindernisse für die Ansiedlung von | |
| Asylbewerbern geltend machte. | |
| Sozialsenator Mario Czaja (CDU) stellte vergangene Woche klar, dass das | |
| Land, wenn nötig, das planungsrechtliche Verfahren wegen der | |
| gesamtstädtischen Bedeutung an sich ziehen werde. Canan Bayram freut sich | |
| darüber. „Damit hat Czaja eine grüne Forderung aufgegriffen. Ich fordere | |
| schon lange, dass der Senat den widerspenstigen Bezirken das Planungsrecht | |
| aus der Hand nehmen soll.“ Ein solches Vorgehen erwägt das Land auch gegen | |
| Mitte, wo der Bezirk die Beziehung eines ehemaligen Hostels durch | |
| Flüchtlinge mit planungsrechtlichen Argumenten verhindern will. In | |
| Reinickendorf hat allein die Drohung gewirkt. „Der Bezirk hat seine | |
| Bedenken aufgegeben“, sagt Snezana Hummel von der AWO. „Wir müssen | |
| lediglich noch Brandschutzunterlagen einreichen. Dann dürfen wir das | |
| Flüchtlingsheim beziehen.“ | |
| 26 Mar 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Marina Mai | |
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