# taz.de -- Warten auf die Nachtigall: Bald singen sie wieder | |
> Der Gesang der Nachtigallen beflügelt die Literatur. Aber was weiß man | |
> wirklich über den nächtelang singenden Vogel? | |
Bild: Kräftige Stimme: die Nachtigall. | |
Nachtigallen, hey Nachtigallen – noch zwei Wochen, noch drei, bis sie | |
wiederkommen? „Da wetten wir drauf“, sagt Silke Kipper. Wir, die | |
Nachtigallenforscher. „Kommen sie am 17. April? Am 23.? Oder am 28.?“ Und | |
immer liegen die Ornithologen falsch und trotzdem richtig. Kipper ist so | |
eine. Die Biologin sagt: „2013 kommen sie spät.“ | |
Kipper stapft durch den Schnee. Das ist diesen März so. Sie zeigt auf eine | |
der kahlen Platanen, schuppiger graubrauner Stamm, braunes Geäst an der | |
Puschkinallee, die mitten durch den Treptower Park in Berlin geht, darunter | |
Gestrüpp. Dort, ja dort, wo man nichts sieht außer Winterlandschaft, | |
erwartet sie, wird sich auch dieses Jahr ein Nachtigallenpaar einrichten. | |
Und da drüben. Und da drüben. Und da drüben. Sie dreht sich im Kreis. Im | |
Moment hüpfen Grünfinken, Meisen, Kleiber auf den kahlen Ästen herum. „Sie | |
singen schon“, sagt Kipper. Es singen nur Männchen. | |
Nachtigallen sind standorttreu, das weiß man. Deshalb deutet Kipper auf die | |
Bäume entlang der Straße. Und Krach, Verkehrslärm, das ist so eine | |
Forschungserkenntnis, scheint den Vögeln nichts auszumachen. Vielleicht, | |
meint sie, nisten sie entlang der Straße - am Boden, übrigens mitten in | |
Brennnesseln -, weil sie gehört werden wollen. Und warum nisten so viele im | |
Park? Dreißig singende Männchen wurden gezählt. "Vielleicht ist der | |
Standort attraktiv." Das Schöne: dass Forscher immer Antworten finden, die | |
auf die Logik der menschlichen Natur horchen. Standorttreu, attraktiv, | |
lärmaffin. Und warum singen die Vögel? „Ja, warum?“ | |
Eigentlich wollte Kipper über das Lachen forschen. Lachen als | |
Kommunikationsform. Nur sei das so ein einsames Grübeln gewesen, da habe | |
sie sich dem Vogelgesang zugewandt. „Beim Vogelgesang ist die Community | |
riesig.“ Kipper lacht gerne. | |
## Berlin - Nachtigallenhauptstadt? | |
Im Frühjahr verbringt die Nachtigallenforscherin die Nächte im Treptower | |
Park. Es könnte auch ein anderer Park sein in Berlin - der | |
Nachtigallenhauptstadt? Darauf möchte die Juniorprofessorin nicht wetten. | |
„Berlin ist voll, voll. Leipzig aber auch.“ Jedenfalls sind die Vögel in | |
die Städte gezogen, die Intensivlandwirtschaft auf dem Land nimmt ihnen den | |
Lebensraum. | |
Erst kommen die Männchen aus Afrika zurück, suchen sich einen Nistplatz, | |
stimmen sich ein. Eine Woche später die Weibchen. Dann ist der Gesang | |
nächtelang groß. Manche singen nur zwei Tage, manche Wochen - die | |
Junggesellen wohl. | |
Dass die Männchen zuerst kommen, können Kipper und ihre StudentInnen jedes | |
Jahr neu bestätigen, weil sie die Vögel beringen und dann im Frühjahr mit | |
Fernglas im Gras sitzen, um an den Ringen ihr Alter, ihren vorherigen | |
Standort, das Geschlecht zu erkennen. Deshalb wissen sie auch, dass manche | |
Nachtigallenpaare über Jahre zusammen ihre Jungen großziehen. Das heißt | |
nicht, dass die Jungen alle denselben Erzeuger haben, wie die Forscher | |
feststellten, da sie auch das Blut der Tiere untersuchen. „Ein bis zwei der | |
etwa fünf Nestlinge sind nicht vom Nestvater“ | |
Weil das mit dem Geschlechtsakt der Vögel eher ein Mysterium ist, erklärt | |
es Kipper. Vögel haben nur einen Körperausgang, „die Kloake“, die ist bei | |
beiden leicht nach außen gewölbt. Wenn die Weibchen begattet werden wollen, | |
stellen sie ihren Schwanz auf, flattern mit den Flügeln. Kipper beugt sich | |
mit geknickten Knien nach vorne und schüttelt ihre Arme, als sie es | |
erklärt. Das Sperma wird in den Eileitergang gedrückt. Weil die Eier nicht | |
alle gleichzeitig vom Eierstock in den Eileiter wandern, muss das Sperma | |
eine Weile halten. Natürliche Konservierung also. Deshalb gilt der Eileiter | |
als Spermathek, in der sich Sperma sammelt - auch das der anderen Männchen, | |
mit denen das Weibchen kopulierte. Kloake, Spermathek. Sonst noch was? | |
„Ja“, sagt Kipper, „die Wölbung an der Kloake heißt Kloakenprotuberanz�… | |
Beim Männchen ist sie etwas größer. | |
Benennen ist das eine, Wissen das andere. „Wir wissen so wenig“, sagt | |
Kipper. Nachtigallen ziehen alleine in die Wintergebiete südlich der | |
Sahara. Jedes Tier für sich. Wie sie aber im Frühjahr wieder | |
zusammenfinden, ob sie sich in Afrika wiedertreffen, wie sie überhaupt den | |
Flug überstehen, was die Weibchen in Afrika tun, das sei nicht bekannt. | |
Warum die Männchen, wenn sie in Afrika ankommen, nur piepsen und dann den | |
Gesang wieder lernen, auch nicht. Warum Nachtigallen - die open ended | |
learners - immer neue Strophen lernen, ebenso wenig. „Erst wenn wir wissen, | |
was die machen, können wir wissen, was sie brauch“ | |
Und warum singen Nachtigallen nachts? Das war auch so eine Frage, | |
deretwegen Kipper jetzt durch den Park stapft und nichts zeigen kann, außer | |
Orte, an denen letztes Jahr und die zehn Jahre zuvor, in denen sie das | |
schon macht, auch Nachtigallen waren. | |
Männchen singen, um Weibchen zu gefallen, das wisse man aus der Forschung | |
mit Kohlmeisen, erklärt Kipper. Dabei hatte man die Weibchen weggesperrt. | |
Sofort fingen die Männchen, die vorher aufgehört hatten zu singen, weil sie | |
ja schon ein Weibchen hatten, wieder an, um auf sich aufmerksam zu machen. | |
Und Vögel singen auch, um ihr Revier zu markieren. Dazu hatte man | |
Kohlmeisen, deren Nistplatz man kannte, am Anfang der Balzzeit gefangen. In | |
manchen der Brutkästen installierte man ein Tongerät, das Meisengesang | |
simulierte, in anderen nicht. Die Kohlmeisen hätten nur die leeren | |
Nistkästen besiedelt. | |
Aber warum die Weibchen auf den Gesang reagieren und nach welchen Kriterien | |
die Weibchen die Männchen auswählen, das wisse man nicht. Warum nicht? | |
Kipper zuckt die Schultern. Für die Weibchen hätte sich die | |
Verhaltensforschung nicht interessiert. Sie singen nicht. Also - eine sich | |
hartnäckig haltende Erklärung - sind sie auch an der Kommunikation nicht | |
beteiligt. Forschung spiegelt Gesellschaft. | |
## Es ist die Nachtigall und nicht die Lerche | |
Der Gesang der Nachtigallen geht ans Herz. „Es ist einfach schön, wenn man | |
hier sitzt, im Dunkeln, und die Gesänge hört.“ Sie freut sich, wenn sie | |
mitkriegt, wie das nächtliche Tirilieren auch Jugendliche, die durch den | |
Park stromern, nicht kalt lässt. „Oh, hörst du Vogel? Hey ich piepse auch.�… | |
Der Nachtigallenmythos ist unschlagbar. Romeo und Julia im Park? Auf ewig | |
Julia, die noch Nachtigallen hört, wo schon die Lerchen singen, damit die | |
Liebesnacht nie zu Ende geht. Das nächtliche Vogelgezwitscher, „romantisch, | |
sehnsuchtsvoll, warm“, sagt Kipper. | |
Und noch einmal zurück: Warum singen Nachtigallen so laut und so viele | |
Strophen? „Es könnte Luxus sein“, meint Kipper. Die Quantität könnte für | |
die Weibchen auch eine Qualität bedeuten. Junge Vögel singen 70 bis 150 | |
Variationen. Ältere schaffen bis zu 250. Den Weibchen, meint die | |
Forscherin, könnte es ums Alter gehen, Variationsreichtum könnte auch ein | |
Zeichen für Gesundheit sein. „Welchen Evolutionsvorteil diese Vielfalt | |
haben soll, wissen wir nicht. Ein Buchfink, eine Amsel, die kommen doch | |
auch prima mit ein bis vier Strophen aus.“ | |
Eine Frage, die sich Kipper, die vor einem Jahr selbst Mutter wurde, | |
ebenfalls stellt: „Könnte es sein, dass der Gesang etwas damit zu tun hat, | |
wie stark das Männchen sich an der Aufzucht beteiligt?“ Ihren Beobachtungen | |
zufolge ist die Arbeitsverteilung fünfzig zu fünfzig. Männchen und Weibchen | |
fliegen gleich oft das Nest an. „Am Ende“, sagt sie, „versteht man nur, | |
dass alles viel komplexer ist“, und eilt nach Hause zu ihrem Kind. | |
1 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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