| # taz.de -- Über den Wolken: Tower one to five Romeo | |
| > „Runway Zero Eight Right“ – wenn Piloten im Flugzeug-Cockpit reden, | |
| > klingt das meist unverständlich. Es hat aber alles seinen Sinn. | |
| Bild: Cockpit einer Boeing 787: Viele Knöpfe, viele Lichter, viel Gerede. | |
| Von den Flügen der Geschäftsleute, der Anzugträger, Smartphoneträger, | |
| Laptoptaschenträger, von denen der Kurzreisenden, drei Tage, Berlin, Big | |
| Ben, Berlin, von denen der Urlauber, zwei Wochen Strand, acht Wochen | |
| Backpacken, sind vielleicht die am schönsten, die einen Abschied bedeuten. | |
| Durch Glasscheiben hat man noch Menschen gesehen, die einen hierher | |
| gebracht haben, ihre Gesichter, dann ihre Hände, wie sie hinter anderen | |
| Händen verschwinden, während man selbst auf Rolltreppen weggeschoben wird. | |
| Bildschirme leiten zu Terminals und Gates und Sitzen, in denen | |
| Sicherheitshinweise klemmen und Kataloge und Schwimmwesten. | |
| Schließlich das Rauschen des Triebwerks und das automatisierte Lächeln der | |
| Stewardess, we wish you a pleasant flight. Dieses Gefühl, dass einem zu | |
| warm ist, die Unterarme aber frieren, wenn man den Pulli hochkrempelt. | |
| Hinten klappert Metall auf Metall, abgepacktes Essen, das gleich seinem | |
| Geruch folgt und durch zu schmale Gänge gerollt kommt, Zeitungsrascheln, | |
| Orangensaft, Tomatensaft, in der Mitte schreit ein Baby und man merkt, | |
| trotz Abschied und womöglich der Angst vor dem, was jetzt so kommt: Man | |
| funktioniert. | |
| Kennen Sie das, Herr Pointner? | |
| Er trägt Uniform, und wie immer bei Uniformen stellt sich die Frage, ob sie | |
| einen zu dem machen, was man ist - oder ob man auch ohne sie ist, was man | |
| ist. Nikolai Pointner jedenfalls ist Pilot und sieht mit seinem | |
| dunkelblauen Anzug und den Goldknöpfen am Hemdärmel, „Lufthansa“ daneben | |
| eingestickt, auch wie einer aus: Mitte fünfzig, graues Haar, helle Augen | |
| und Bügelfalte - Typ George Clooney. | |
| Pointner - „Verkehrsflugzeugführer“ sein korrekter Titel - sitzt links im | |
| Cockpit, setzt seine Sonnenbrille, Ray-Ban, und seine Kopfhörer, | |
| Sennheiser, auf. Neben ihm sein Copilot; neben, vor und über ihm: ein | |
| DJ-Pult im Paul-Kalkbrenner-Format. Dreihundert Bedienelemente. Knöpfe, | |
| Schalter, Pfeile, Kreuze, Kompasse, FUEL, ELEC, AIR COND, FIRE, SPEED | |
| BRAKE, PARKING BRAKE, FLAPS, ANTI ICE, LIGHTING, AP1, AP2, COCKPIT DOOR | |
| UNLOCK NORM LOCK. | |
| ## 73.500 Kilo Startgewicht | |
| Am Morgen kam er aus Stuttgart, als nächstes fliegt er die Route | |
| Berlin-Frankfurt-Frankfurt-Paris. Sein Airbus ist ein A320-200, Länge 37,6 | |
| Meter, Spannweite 34,1 Meter, Geschwindigkeit 840 Kilometer pro Stunde, | |
| maximales Startgewicht 73.500 Kilo, viel, viel Kerosin. | |
| Pointner zieht die Schultern hoch. „Merken Sie gar nicht“, sagt er, „ob da | |
| jetzt Passagiere drin sind oder Fracht.“ Wie viele Passagiere sind denn | |
| drin? Wieder zieht er die Schultern hoch. „Hundertfuffzich?“ Die Zahl | |
| stimmt fast, das andere völlig: Im Cockpit sitzt es sich zwar auch mit | |
| wenig Fußraum gut, aber abgeschottet von den standardisierten Gesten und | |
| Ansagen, die im hinteren Teil des Flugzeugs Vertrauen schaffen sollen, | |
| bitte prägen Sie sich die Notausgänge ein. | |
| Es ist ein bisschen, wie es in einer Raumschiffkapsel sein muss, zumindest | |
| wie in der, die Peter Schilling in seinem Schützenfestschlager „Major Tom“ | |
| besungen hat - losgelöst. | |
| „Schauen Sie mal, da auf dem Kasten, auf dem Oxygen mask steht.“ So geht | |
| Pointners Ansage. „Da drücken Sie im Notfall drauf und dann kommt da eine | |
| Maske raus. Aufsetzen, weiteratmen.“ Und dann? „Dann gehen wir hier zur Tür | |
| raus, unser Fluchtweg.“ | |
| Aus dem DJ-Pult kommt ein Fax. Pointner zieht einen Zettel aus einem | |
| Schlitz zwischen den Schaltern, sagt, „Passenger Information List, kommt | |
| per Satellit über Singapur.“ Über Singapur? „Über Singapur. Daran können | |
| Sie ablesen, welche Passagiere von Frankfurt weiterfliegen und wohin.“ | |
| Paris, Florenz, Philadelphia, San Francisco, London Heathrow, Innsbruck, | |
| Kairo. „Oft stehen auch Städte drauf, die kaum ein Mensch kennt.“ Er deutet | |
| auf Siem Reap. „Kambodscha!“ | |
| - Strom abziehen? | |
| - Strom kann ab. | |
| Man kann sich schnell abgewöhnen, die Geheimsprache im Cockpit decodieren | |
| zu wollen. Man muss einfach mal mitfliegen, eigentlich nur den Start | |
| miterleben, um zu wissen: Sie ist Vogelgesang schon insofern ähnlich, als | |
| sie nur der Luftsprache Mächtigen zur Verständigung dienen kann. Den Funk | |
| der Bodenstation hört man übrigens über den Knopf VHF1. Cockpit-Internes | |
| über INT. | |
| - Cabin Crew ready. | |
| - On engine. | |
| Eine von hier unsichtbare Kraft zieht die Maschine rückwärts, LH 181/22 MAR | |
| TXLFRA 09:45, vorbei an Wald, Finnair, Air Berlin, Lufthansa, Edelweiss | |
| Air, Lufthansa, auf der Landebahn winkt ein Mann in Neongelb, Berlin-Tegel. | |
| - Full up. Full down. | |
| - Tower one to five Romeo. | |
| - Runway Zero Eight Right. | |
| Vorneweg rollt eine SAS, Scandinavian Airlines, hebt ab und verschwindet im | |
| Blau. Pointner lehnt den Kopf in seinem Sessel zurück, als starte er sein | |
| Auto, eine Hand am Gashebel, es rüttelt, wird schnell, sehr schnell, | |
| „gleich gehts los, alle angeschnallt?“ | |
| - You have control. | |
| - I have control. | |
| - Take-off. | |
| Ein Gefühl wie im ersten Wagen der Achterbahn, kurz vor der ersten Abfahrt. | |
| Das Blut steigt in den Kopf, du vergisst den Moment, in dem es losgeht, | |
| bereits in dem Moment, in dem es losgeht, das Zeitempfinden reicht für eine | |
| solche Geschwindigkeit nicht aus, die Nerven rutschen in den Magen, es ist | |
| steil, steiler als erwartet, go rotate, 3.000 Fuß, 6.000 Fuß, Berlin unter | |
| dir, ein verschneites Labyrinth. Du bist im Himmel. | |
| „Marzahn.“ Pointner zeigt aus dem Fenster und schaut auf | |
| Spielzeugplattenbauten, die ehemals größte Großsiedlung der DDR. „Erkennt | |
| man sofort“, sagt er. | |
| Und dann: „Zum Beispiel jetzt.“ Die Maschine senkt sich, liegt gerade in | |
| der Luft. Seatbelts Auto. „Wenn ich jetzt zu Hause wäre, wäre es draußen | |
| grau. Hier bin ich in ein paar Minuten durch der Wolkendecke und die Sonne | |
| scheint.“ Darum, sagt Nikolai Pointner, fliege er. | |
| ## Meggle-Butter, gerollte Servietten | |
| Die Nerven werden ruhiger und der Flottenchef wird gesprächiger, er hat den | |
| Sonnenschutz an zwei Fenstern runtergezogen, der Autopilot - AP1, AP2 - | |
| steuert, der Copilot antwortet dem Funk, und Petra, die | |
| Chefflugbegleiterin, hat Kaffee für den Becherhalter und das | |
| Frühstückstablett gebracht, Hero Strawberry Jam, Meggle-Butter, gerollte | |
| Servietten. | |
| Pointner isst Obstsalat und erzählt vom Fliegen, seit 1985 sei er dabei, | |
| Psychologie und Informatik habe er mal angefangen, dann habe das mit der | |
| Lufthansa geklappt. Zwanzig Stunden am Tag dürfe man fliegen, im | |
| Ausnahmefall, Langstrecke, mit drei Mann. | |
| Wie sich die Zahl zusammensetzt? „Komplexe Regel, bisschen wie bei der | |
| Steuer.“ Früher sei er auch Langstrecken geflogen, „viel Nordamerika, | |
| Südamerika, Rio, São Paulo oder Asien, Bangkok, you name it.“ Heute sei er | |
| bloß noch vier, fünf Stunden am Stück unterwegs, nachts nicht so gern, das | |
| erfordere Kraft. „Wobei“, er verstaut das noch volle Tablett hinter seinem | |
| Sitz, „nachts eine große Stadt anzufliegen natürlich gigantisch ist.“ | |
| ## Keine Flugangst | |
| Und das mit der Familie sei kein Problem, auch wenn er keine habe - man sei | |
| ja nicht mehr zwei Wochen weg, so wie früher. Seine Frau habe weder Angst | |
| um ihn noch irgendwie Flugangst. „Im Gegensatz zu jedem dritten Passagier“, | |
| sagt Pointner. Es gebe nur selten einer zu, nicht mit dem Eindruck | |
| zurechtzukommen, den Fähigkeiten zweier Personen ausgeliefert zu sein, die | |
| man nicht sieht. | |
| „Sehen Sie vor uns das Flugzeug?“ | |
| Nein. | |
| „Das ist anderthalb Kilometer unter uns.“ | |
| Ach so. | |
| Und der Unterschied zwischen einem Taxifahrer und einem Flugkapitän sei | |
| schlichtweg der: „Wenn Sie im Taxi einen Fehler haben, bleiben Sie stehen. | |
| Im Cockpit können wir nicht sagen, wir fahren mal eben rechts ran.“ | |
| - 2.800 Meter. | |
| - Available. | |
| - Die Autobrake low. | |
| Herr Pointner, nehmen Sie Ihre Flugzeugsprache mit auf die Erde? | |
| - 15.000 Fuß. | |
| - Noch mal Direct Lorni eingeben. | |
| - Ist der richtige Localizer. | |
| „Wahrscheinlich schon“, sagt Pointner, den Arm jetzt über das Flight | |
| Management System gelegt wie über ein Armaturenbrett. „Ich requeste | |
| manchmal dieses oder jenes. Ich könnte einfach sagen: Ich möchte dieses | |
| oder jenes.“ | |
| - Auf die Zero Seven Right. | |
| - Identified. | |
| - Frag mal wegen Speed. | |
| „Sehen Sie vor uns die Stadt?“ | |
| Nein. | |
| „Das ist Fulda.“ | |
| - Heading. Heading. Charly auf die VOR zwei. | |
| - Foxtrott Whiskey. | |
| Foxtrott Whiskey? | |
| Anscheinend naht Frankfurt, die A320-200 sinkt, kaum fünfzig Minuten in der | |
| Luft. Fließbandarbeit? Flaps, flaps two, die Räder werden ausgefahren, ein | |
| bekanntes Geräusch, lauter als sonst. Flaps full. | |
| Der Horizont ist klar und weiß, ein See aus Nichts, er geht in Felder über, | |
| grün, braun, dunkelbraun, schachbrettmusterartig, er weicht den Dörfern, | |
| Dächern, Schornsteinen und - eine Computerstimme gibt den Countdown in | |
| Metern, 400, 300, man will nicht wissen, wie es klänge, wenn es brennt - | |
| 200, 100, 50, landet in einem unwirklichen Konstrukt aus Kontrolltürmen, | |
| Schildern, Transit-Shuttles und Beleuchtungssystemen, das Flughafen heißt. | |
| Fließbandarbeit sieht anders aus. | |
| Nikolai Pointner will, dass man weiß, wie es klänge, wenn es brennt. Er | |
| drückt auf FIRE und löst ein Signal aus, UA-UA-UA-UA-UA-UA, das an | |
| Absturzszenen aus Hollywood erinnert, in denen die Zeiger der Höhenmesser | |
| rasant fallen und Menschen von einem Ende ans gegenüberliegende, vielleicht | |
| ist der Pilot ein Held und dreht seinen Airbus auf den Rücken. | |
| Pointner sagt, er habe mehr Gefährliches auf der Fahrt zum Flughafen als im | |
| Cockpit erlebt. | |
| Herr Pointner, sagen Sie mal in einem Satz, warum ein Flugzeug fliegt. | |
| „Weil es schwerer ist als Luft.“ Er schafft es nicht ganz in einem Satz. | |
| „Weil man es mit technischen Tricks dazu gebracht hat, in Richtung eines | |
| Vogels zu gehen. Man dachte, der Vogel fliegt einfach so. Und hat dann | |
| verstanden, dass er mit seinen Flügeln einen Auftrieb erzeugt, der stärker | |
| ist als sein Eigengewicht. Dadurch kann er fliegen.“ | |
| ## Geschäftsleute, Kurzurlauber | |
| Es geht noch eine Weile so, zwei Routinetouren, Pilot und Copilot werden | |
| nicht mitbekommen, wen sie alles durch die Luft transportiert haben in | |
| diesem Gerät, das sechzig Millionen Euro kostet - ungefähr, echter Preis | |
| Betriebsgeheimnis -, ob Geschäftsleute darunter waren, Kurzurlauber oder | |
| Abschiedsreisende. Sie werden - am Nachmittag dann - ein bisschen aufgeregt | |
| sein im Cockpit, als sie den Eiffelturm im Nebel entdecken, „nein, auf der | |
| anderen Seite!“, rufen, „was da glitzert, wie ne Nadel!“ | |
| Aber jetzt geht es erst zum Zwischenstopp vor das Lufthansa Terminal in | |
| FRA, auf dem die Gesellschaft mit Jetset-Sprüchen wirbt, Boarding. Dining. | |
| Beijing. Frankfurt. Delhi. Daily. Die gelben Linien entlang, die November | |
| Fünf und die Lima Sieben, bis eine Funkdurchsage den bislang so normalen | |
| Ablauf unterbricht: Man solle vorsichtig sein auf der November Sieben. Es | |
| gebe ein Hindernis auf der Fahrbahn. Offenbar handle es sich um Vögel. | |
| - Vögel? | |
| - Muss dort drüben sein, noch vor dem Bobby. | |
| 29 Mar 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Annabelle Seubert | |
| Annabelle Seubert | |
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