# taz.de -- Die SPD vor ihrem Bundesparteitag: Auf verlorenem Posten | |
> Peer Steinbrück soll Kanzler werden? Die Sozialdemokraten wirken | |
> inzwischen, als gäben sie den Wahlkampf bereits verloren. | |
Bild: Zu Beginn des Wahlkampfs steht Peer Steinbrück einsam da. | |
BERLIN taz | Auch Kanzlerkandidaten müssen Namensschilder tragen. „Peer | |
Steinbrück“ steht auf dem weißen Kärtchen an der Brust von Peer Steinbrüc… | |
Ordnung muss sein, wenn die deutschen Feuerwehren zum abendlichen Fest in | |
einer umgebauten Feuerwache laden. Der SPD-Mann sieht etwas deplatziert | |
aus, im schlichten dunklen Anzug zwischen den vielen Männern und wenigen | |
Frauen in ihren blitzenden Uniformen. | |
Minutenlang steht Steinbrück allein vor der Bühne, auf der er gleich eine | |
Rede halten soll: über den Wert von Zusammenhalt, von Solidarität. Dabei | |
ist ihm die Ironie seiner Worte vermutlich bewusst. Zusammenhalt und | |
Solidarität mit ihrem Kandidaten zeigt die SPD derzeit kaum. Zu Beginn des | |
Wahlkampfs steht Steinbrück einsam da. | |
Endlich darf der Kandidat auf die kleine Bühne. „Ich finde diese | |
Veranstaltung so nahe am Kanzleramt sehr gut“, sagt Steinbrück. Gelächter | |
im Publikum. Die Feuerwache Berlin-Tiergarten ist nur ein paar hundert | |
Meter von dem Ort entfernt, in den der Kandidat nach der Wahl einziehen | |
will. Und doch scheint er für ihn im Frühjahr 2013 schier unerreichbar. In | |
Umfragen steigt die Union auf bis zu 40 Prozent, die Sozialdemokraten | |
dümpeln zwischen 24 und 29 Prozent. | |
Die Euroschuldenkrise spielt der Amtsinhaberin in die Hände, so oder so. | |
Beruhigt sich die Lage, wird es Merkel zugeschrieben. Wird alles noch | |
schlimmer, meiden Wähler einen Führungswechsel. Hört man in dieser Lage in | |
die SPD hinein, entsteht der Eindruck, als gebe eine mutlose Partei die | |
Wahl schon verloren. Ihr Kandidat steht auf verlorenem Posten. | |
Michael Donnermeyers Job ist es, diesen Eindruck zu verhindern. Er hat es | |
nicht leicht. Das Büro des 53-Jährigen liegt im vierten Stock des | |
Willy-Brandt-Hauses. Von außen ähnelt die SPD-Zentrale einem Schiffsbug. | |
Ein Bollwerk der stolzen Sozialdemokratie soll es sein, ein Symbol für | |
Siegesgewissheit und Einigkeit. Hier sagt er Sätze, die seiner Partei Mut | |
machen sollen, etwa: „Weibliche Wähler respektieren Merkel sehr, weil sie | |
sich einfach durchgesetzt hat, aber bei den Themen liegt die SPD vorn.“ | |
Kommen die Sozialdemokraten mit Inhalten gegen eine weit verbreitete | |
Stimmung an? Na klar, urteilt Donnermeyer: „Wenn Steinbrück bei Reden über | |
den Equal Pay spricht, über die Quote oder über die Vereinbarung von Beruf, | |
Familie und Karriere, dann ist ihm der Beifall der Frauen sicher.“ | |
## Überall Fettnäpfchen | |
Aber als Donnermeyer das Wort „Fettnäpfchen“ hört, reibt er sich das | |
Gesicht, legt den Kopf in den Nacken. Ach ja, die Fettnäpfchen. Die weißen | |
Bücherregale in seinem Büro sind, abgesehen von einer ungeöffneten | |
Weißweinflasche, leer. Die hat ihm ein Freund geschenkt: zur Erinnerung an | |
Steinbrücks launigen Spruch, eine Flasche Pinot Grigio für „nur fünf Euro�… | |
würde er nicht kaufen. Als der Kandidat das auf einem Podium sagte, saß | |
Donnermeyer im Publikum. Er sah, wie ein Bild-Reporter plötzlich sehr wach | |
wirkte. Da wusste er, die Sache würde schlecht ausgehen. Mittlerweile | |
warten viele Journalisten bloß auf den nächsten Steinbrück-Klopper. | |
Als wäre der Rummel um die blendend bezahlten Redevorträge des | |
Exfinanzministers nicht genug, ließ Donnermeyer Ende Dezember | |
Interviewäußerungen Steinbrücks in der Frankfurter Allgemeinen | |
Sonntagszeitung durchgehen. Im Blatt stand: „Ein Bundeskanzler oder eine | |
Bundeskanzlerin verdient in Deutschland zu wenig.“ Und: „Angela Merkel ist | |
beliebt, weil sie einen Frauenbonus hat.“ Über die Pannenserie urteilte die | |
Zeit: „Seitdem ist Donnermeyer der Erste, den alle anschauen, wenn ein | |
Sündenbock gesucht wird. Und das passiert jetzt öfter.“ | |
Warum läuft der Wahlkampf, noch bevor er richtig begonnen hat, so schief? | |
Mitverantwortlich sind Steinbrücks Berater. Donnermeyer zählt dazu. Aber | |
als Pressesprecher ist er nicht verantwortlich für Konzepte und die | |
Zusammenarbeit mit der Parteibürokratie im Willy-Brandt-Haus. Und er ist | |
kein enger Vertrauter. Den Job als Pressesprecher bot ihm Steinbrück am | |
Telefon an, die beiden kannten einander kaum. Donnermeyer formuliert es so: | |
„Das Verhältnis zu Steinbrück ist gut, professionell und offen.“ Mehr aber | |
auch nicht. „So wie bei Wowi und Franz Müntefering auch.“ Der gebürtige | |
Münsterländer war viele Jahre Sprecher von Berlins Regierendem | |
Bürgermeister Klaus Wowereit. | |
Doch Donnermeyer zum Sündenbock zu stempeln greift zu kurz. Beim Gespräch | |
mit dem Pressesprecher ist es Mitte Februar. Viereinhalb Monate zuvor hat | |
die Parteispitze Steinbrück übereilt zum Kandidaten gekürt. Zu diesem | |
Zeitpunkt gibt es noch immer keine zentrale Wahlkampforganisation. Bevor | |
Gerhard Schröder 1998 Kanzler wurde, lief die später zum Geniestreich | |
verklärte „Kampa“ der SPD seit fast einem Jahr. Diesmal lässt die Partei | |
ihren Kandidaten ein halbes Jahr fast ohne Unterstützung. | |
## Überstürzte Kür | |
Der SPD-Kandidat sollte ursprünglich erst im November gekürt werden, nun | |
geschah es überstürzt knapp zwei Monate früher. Die Bürokratenpartei hat | |
für jeden Politikbereich eine Arbeitsgruppe. Nur für die Spitzenkandidatur | |
hatte sie keinen passablen Plan. | |
Solche Fehler auszubügeln ist der Job grauer Eminenzen. In Steinbrücks Fall | |
heißt sie Heiko Geue. Der 47-Jährige ist sein Wahlkampfleiter und | |
Vertrauter, ein Mann fürs Organisatorische. Als Frank-Walter Steinmeier das | |
Bundeskanzleramt leitete, arbeitete Geue als dessen rechte Hand. Die | |
Süddeutsche Zeitung schrieb: „Heiko Geue ist für Steinbrück das, was Beate | |
Baumann für Angela Merkel ist: Büroleiter und Ratgeber in einer Person.“ | |
Doch anstatt dem Kandidaten das Leben zu erleichtern, bereitet Geue ihm | |
weitere Probleme. | |
Anfang März wurde bekannt: Der 47-Jährige hatte sich von seinem Job als | |
Finanzstaatssekretär in Sachsen-Anhalt beurlauben lassen. Nach Auffassung | |
der Landtagsverwaltung ist das aber nicht möglich, schließlich sei diese | |
Beurlaubung nicht im öffentlichen Sinne, sondern nur in dem einer Partei. | |
Das Peinliche: Die Beurlaubung hätte es Geue erlaubt, nach dem Wahlkampf in | |
seinen Staatssekretärsposten zurückzukehren. Der Wahlkämpfer glaubt | |
offenbar selbst nicht an seinen Erfolg. Wütend schickte | |
Landesfinanzminister Jens Bullerjahn, selbst SPD-Mann, Geue in den | |
einstweiligen Ruhestand. | |
Das Schwierigste in Politkampagnen ist es, eine Erzählung, die sich bereits | |
in den Wählerhirnen festgesetzt hat, zu verändern. Zu Beginn des | |
Wahlkampfjahres 2013 lautet die Erzählung so: Bei der SPD geht derzeit | |
nichts zusammen. Sie hat einen rechten Kandidaten, der ein linkes | |
Wahlprogramm vertreten soll. Ein Ministerialbeamter und Urgroßneffe eines | |
Mitgründers der Deutschen Bank soll SPD-Stammwähler mobilisieren. Ein | |
älterer Mann wirbt gegen eine beliebte weibliche Amtsinhaberin um Stimmen | |
junger Frauen. Die SPD trägt ihren Kandidaten nicht. Sie duldet ihn. | |
## Keine Wechselstimmung | |
Die Umfragen sehen düster aus. Eine rot-grüne Mehrheit ist derzeit | |
unwahrscheinlich. SPD und Grüne kommen in Meinungsumfragen gemeinsam auf | |
nur 39 bis 43 Prozent, und auch das nur dank starker Grüner. Eine | |
Wechselstimmung gibt es nicht. Schwarz-Gelb erreicht hingegen 43 bis 45,5 | |
Prozent. Das Merkwürdige dabei: Die Partei ist nicht in Aufruhr, im | |
Gegenteil. Manche profitieren gar von der Lage. | |
Als Sascha Vogt an einem Freitag Ende März aus dem Willy-Brandt-Haus eilt, | |
um etwas zu essen, hat er gute Laune. Wenn der Juso-Vorsitzende lächelt, | |
kräuseln sich seine grauen Augenränder. Es läuft gut für den linken | |
Parteinachwuchs. Am Abend geht der 32-Jährige zur Sitzung der | |
Antragskommission, die am Wahlprogramm arbeitet. Die nächsten Tage sind | |
auch verplant. „Klingt nach ’nem tollen Wochenende, oder?“ Es könnte | |
ernsthaft gemeint sein. | |
„Als Steinbrück nominiert wurde, waren im Verband natürlich nicht alle | |
total begeistert“, sagt Vogt. Die traditionell linken Jungsozialisten | |
sollten für den schnöseligen Parteirechten Plakate kleben, Veranstaltungen | |
organisieren, werben? Die anfängliche Stimmung bei vielen war: Für den | |
mache ich keinen Wahlkampf. | |
In vier Oppositionsjahren ist die SPD programmatisch wieder nach links | |
gerückt. Zugleich ist der Kandidat angeschlagen. Für Parteilinke wie Vogt | |
ist das eine Chance. „Wir Jusos machen Wahlkampf ja nicht nur für eine | |
Person, sondern es kommt uns auf die Inhalte an. Die konnten wir im | |
Wahlprogramm prominent platzieren, wie die Themen Vermögensteuer, Rente und | |
Frauenförderung zeigen. Und hinter diesen Themen steht auch Peer | |
Steinbrück.“ | |
## Slogans und Luftballons | |
Dann muss Vogt zurück ins Willy-Brandt-Haus, weiterarbeiten. Er geht vorbei | |
an Großraumbüros im zweiten und dritten Stock, rote SPD-Slogans kleben an | |
den Wänden, ein paar Luftballons liegen herum. Am Morgen hat Andrea Nahles, | |
die Generalsekretärin, die „Kampa“ der Presse vorgestellt. Ein halbes Jahr | |
nach der Kandidatenkür. Nahles leitet offiziell Steinbrücks Wahlkampf – | |
ausgerechnet. Die einstige Ikone der Parteilinken und der ehemalige | |
Grünen-Fresser haben sich aus Not verbündet. Gemeinsam erwehren sie sich | |
Angriffen des SPD-Vorsitzenden. Sigmar Gabriel redet Nahles und Steinbrück | |
immer wieder in die Arbeit hinein, pocht darauf, er als Parteichef habe | |
letztlich das Sagen. Andererseits haben Nahles und Gabriel Steinbrück nach | |
links gedrängt. | |
So verfahren ist die Situation der SPD, weniger als sechs Monate vor der | |
Wahl. Der ärgste Gegner der Partei ist nicht Angela Merkel oder die | |
Wählerstimmung, sondern sie selbst. Auf einem Plakat in der „Kampa“ prangt | |
der Spruch: „Miteinander. Für mehr Solidarität.“ | |
5 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Matthias Lohre | |
## TAGS | |
SPD | |
Peer Steinbrück | |
Wahlkampf | |
Wahlkampf | |
SPD | |
SPD | |
SPD | |
Clowns | |
Peer Steinbrück | |
Kanzlerkandidatur | |
Steinbrück | |
Steinbrück | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Andrea Nahles im „Brigitte“-Interview: Parteisoldatin zeigt sich nahbar | |
Beim „Brigitte“-Interview spricht die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles | |
offenherzig über ihre Gefühle. Sie lacht viel. Aber immer wieder scheinen | |
Verletzungen durch. | |
Genossen feiern Geburtstag: Tausend Jahre SPD | |
Es gibt sie noch: Genossen, die der Partei treu sind. Die ihr Leben an ihr | |
ausrichten. Die Urbans sind Sozialdemokraten in der fünften Generation. | |
Wahlprogramm 2013: Die Wundertüte der SPD | |
Das SPD-Wahlkampfprogramm setzt Schwerpunkte bei sozialen Themen und | |
distanziert sich stellenweise von der Agenda 2010. Der Parteilinken reicht | |
das nicht. | |
Streit in der SPD: Linke Parteifreunde | |
Als roter Rambo ist Ralf Stegner in der SPD bekannt. Nun hat er einen | |
linken „Berliner Kreis“ gegründet, verärgert Genossen und bereitet einen | |
Karrieresprung vor. | |
Die Wahrheit: Fiese Grinsefressen | |
Geschmacksgrenzen sind den unlustigen Clowns fremd. Ohne mit der | |
künstlichen Wimper zu zucken, gehen sie über jede Scherzgrenze. | |
Ärger für Steinbrücks Kampagnenleiter: Vertrauen gestört, Job weg | |
Wieder Ärger im Steinbrück-Team: Der Wahlkampfmanager des | |
SPD-Kanzlerkandidaten verliert seinen eigentlichen Job als | |
Finanzstaatssekretär. | |
Publizist über Steinbrücks Rhetorik: „Charme des Frakturredners“ | |
Berlusconi ein Clown? Das ist doch ein Kosewort, sagt der Publizist Hans | |
Hütt. Eine Analyse der Rhetorik von Steinbrück und Merkel. | |
Kommentar Peer Steinbrück: Unser Beppe | |
Wird Peer Steinbrück unser Beppe Grillo? Das Rezept dafür hat der SPD-Mann | |
jedenfalls schon: Klartext, aufs Diplomatische pfeifen und Populismus. | |
Steinbrück und die Italien-Wahl: Zwei Clowns und ein Eklat | |
Nachdem SPD-Kanzlerkandidat Silvio Berlusconi und Beppe Grillo als „Clowns“ | |
bezeichnet hatte, sagt Italiens Präsident Napolitano ein geplantes Treffen | |
mit ihm ab. |