# taz.de -- Triumphale Rückkehr von James Blake: Fragmente einer Sprache der L… | |
> Am Freitag erscheint „Overgrown“, das neue Album des britischen Musikers | |
> James Blake. Unser Autor hat ihn in Berlin getroffen. | |
Bild: Hat jetzt die Liebe gefunden: James Blake. | |
Vielleicht wären wir alle gerne wie James Blake. So groß und dabei sanft im | |
Auftreten, so ausschweifend bescheiden in der Geste, so erfolgreich mit | |
dem, was man gerne tut. Mit Anfang Zwanzig war James Blake all dies. Zu | |
seinem Debütalbum haben ein paar Hunderttausend Menschen geträumt, gelitten | |
und geliebt. | |
Zwei Jahre ist das her, zwei Jahre, in denen Blake die Welt betourte, mit | |
Stars wie Kanye, Jay-Z und Joni Mitchell abhängen durfte und die große | |
Liebe gefunden hat. Zwei Jahre, nach denen eigentlich nur der Absturz | |
folgen kann. The harder they come, the harder they fall? Aber zuerst ist da | |
ein neues Album: „Overgrown“ heißt es und der Titel legt eine falsche | |
Fährte. | |
Auf seinem Debüt ließ Blake sein rudimentäres Songwriting noch von Echo und | |
Hall überwuchern, auf „Overgrown“ haben die Sound- und Akkordfolgen mehr | |
Raum zum Nachklang. Die Arrangements sind gewachsen, die Details sind | |
feiner ausgearbeitet. „Overgrown“ ist nun das Album, das sein Debüt hätte | |
werden sollen. | |
„Die beiden Songs, mit denen ich bislang am meisten Erfolg hatte, – ’Limit | |
to your Love‘ und ’The Wilhelm Scream‘ – waren nicht meine Songs“, er… | |
Blake beim Gespräch in Berlin. „Also musste ich herausfinden, wie man Songs | |
schreibt, die die gleiche Wirkung bei meinen Hörern hinterlassen würden, | |
aber von mir selbst komponiert wurden.“ | |
## Jungenhaftes Organ | |
Immer dabei ist seine Stimme, dieses jungenhafte Organ, das so gerne ein | |
ganzer Gospelchor wäre. Auf der ersten Singleauskoppelung „Retrograde“ | |
croont Blake ein zart verhalltes „HmmmHmmmHmHm“, bevor ein paar Handclaps | |
den Takt vorgeben. Darüber legt er eine Synthesizerdrone, die er mit seiner | |
Stimme solange umkreist, bis sich beide in einem Crescendo treffen. | |
Ungewohnt klar klingt sie mittlerweile, Blakes Stimme, unberührt von | |
Modulation und Autotune. Stattdessen schmiegt sie sich sanft an die | |
Arrangements. In „Life Round Here“ variiert ein Piano über ein paar sich | |
wiederholenden Sätzen Blakes, auf „Voyeur“ loopt er die eigene Stimme um | |
einen House-Rhythmus. Und dann ist da noch „Digital Lion“, das er zusammen | |
mit Brian Eno aufgenommen hat. „Wir sind in Enos Haus gefahren, haben Tee | |
getrunken, ein paar Platten gehört und gelacht“, erzählt Blake. | |
„Digital Lion“ beginnt als dahin geworfene Collage aus Stimmfetzen und | |
Synthesizersprengseln, bevor eine Drummachine eine lose Ordnung vorgibt und | |
sich ein nonchalanter Ambient-Sound herausbildet, der bis zum Ende des | |
Stücks immer ein wenig unfertig wirkt. „Eigentlich weiß ich gar nicht mehr | |
so genau, was passiert ist, um ehrlich zu sein. Wir haben rumgesessen und | |
es fertig produziert.“ | |
Das interessanteste Stück auf „Overgrown“ ist aber „Take a Fall for Her�… | |
Hier öffnet Blake seine Arrangements für andere Stimmen, in dem er sich auf | |
ein paar Stimmfetzen reduziert, vor deren Hintergrund Wu-Tang-Mastermind | |
RZA einen rauchigen Rap abliefert, der dem frisch verliebten Blake eine | |
Weisheit über die Geduld der Liebe mit auf den Weg gibt. | |
## Glück ist eine Fernbeziehung | |
Überhaupt – die Liebe. James Blake hat sie gefunden. Sie ist Musikerin und | |
wohnt in Los Angeles: „Liebe hat mein Songwriting enorm beeinflusst“, | |
erzählt er. „Man hat etwas, worüber man reden möchte, einen Horizont, einen | |
Grund, enorm glücklich und zur gleichen Zeit traurig zu sein. Die Liebe | |
gibt einem Abstand und Intimität zugleich.“ So sprudelt es aus ihm heraus. | |
Kokettiert da einer mit der eigenen Erziehung des Herzens? „Ich wollte, | |
dass meine Hörer Gefühle für die Songs aufbauen – die Gefühle, die ich be… | |
Schreiben hatte.“ Und wenn einem die Gefühle des Sängers verschlossen | |
bleiben, weil sich die eigene Vorstellung von Liebe vielleicht anders | |
anfühlt als der Klang einer schmachtenden Stimme, die vor Piano und | |
Retina-Macbook sitzt? „Dann kann ich auch nicht weiterhelfen.“ | |
Musik als Schulterschluss – man fühlt es oder man fühlt es nicht. Die | |
Gefühle und Affekte der anderen, derjenigen, die im gleichen Club auf dem | |
anderen Floor tanzen, wo die Musik lauter und die Sneakers etwas greller | |
sind, bleiben für gewöhnlich erstmal unverständlich. Da tut es gut, wenn | |
darüber jemand spricht, der einem ähnlich ist – einer von „uns“, ein | |
’Indietyp‘: intelligent, einfühlsam, aber kompromisslos der Kunst | |
verschrieben. | |
Im Frühjahr 2011 bezeichnete Blake in einem Interview Remixe als | |
„musikalische Prostitution“: „Ich habe damit die Leute gemeint, die nur | |
deshalb Remixe produzieren, weil sie damit zwei Tausender verdienen können. | |
Das ist nichts anderes, als seinen Sound auf den Strich zu schicken“, | |
rechtfertigt Blake heute sein Statement von damals. „Ich kannte zu der Zeit | |
viele Leute, die mehr Remixe als eigene Tracks produziert haben, weil sie | |
damit schnell Geld verdienen konnten.“ | |
## Essstäbchen auf dem Klavier | |
Er selbst würde seine Tracks am liebsten von dem US-Neofolkie Bon Iver | |
(Justin Vernon) remixen lassen. „Justin würde mit Essstäbchen auf dem | |
Klavier spielen oder durch eine Tür hindurch aufnehmen. Das wäre dann kein | |
Remix mehr.“ Dem Guardian erzählte Blake einmal, dass er keine Bassmusik | |
mehr produziert, weil er niemals die Intensität von Dubstep-Pionieren wie | |
den Digital Mystikz erreichen könne. Dazu fehle ihm der Background. | |
Das klingt bescheiden – aber wer, wenn nicht der Klavierschüler aus einer | |
Künstlerfamilie, kann es sich letztlich aussuchen, welche Musik er wo | |
produziert und mit wem er Remixe macht? Sgt. Pokes, der MC der Digital | |
Mystikz, bemerkte dagegen einmal, dass für ihn die Alternative zum | |
Geldverdienen mit Dubstep ein Job im Handwerk gewesen wäre. Aber Herkunft | |
ist nicht das Entscheidende. Schließlich hat Pop auch immer von beiden | |
gelebt – den angriffslustigen Emporkömmlingen, die mit den angriffslustigen | |
Kindern der Mittelschicht gemeinsame Sache gemacht haben. | |
James Blake hat seine Privilegien für ein paar atemberaubende Dancetracks | |
genutzt, um daraufhin ein überschätztes Album als | |
elektronisch-experimenteller Songwriter zu veröffentlichen. Dass die | |
Musikpresse es als „Meisterwerk“ feierte, war geschichtsvergessen, als | |
hätte es Arthur Russell, Talk Talk und Radiohead nie gegeben. Aber Blake | |
macht es einem leicht, ihn zum „Pop-Visionär“ (Spex) zu verklären, so sehr | |
kreist er um seine Musik und diese um ihn. | |
## Mit dem Rücken zur Welt | |
Ist Solipsismus das neue Schwarz? „Ich spüre keine besonderen Verbindung | |
zur britischen Gesellschaft. Ich hoffe, dass ich außerhalb dieses ganzen | |
Mists existieren kann“, meint Blake, wenn man ihn auf seine Heimatstadt | |
London, die Riots in Großbritannien 2012 und die groteske soziale | |
Ungleichheit in der britischen Hauptstadt anspricht. Auch bei der Musik ist | |
Blake sich selbst genug. „Ich besitze nur wenige Platten. Ich kannte kaum | |
Musik von Eno und sicherlich nichts von Roxy Music“, blickt er zurück. Joni | |
Mitchell, HipHop, Sigur Rós – mag er, kennt er aber erst seit kurzem. | |
Verbracht hat er seine Jugend mit Klaviermusik, dem Jazzpianisten Art Tatum | |
und mit Gospelmusik. „Das ist normal, wenn man ein Instrument spielt.“ Ist | |
das kalkuliertes Understatement oder einfach nur Desinteresse? Denn sosehr | |
Blake um sein Selbst kreist, so schwierig ist dieses Selbst zu bestimmen. | |
Er träumt davon, dass ihn Bon Iver remixt, aber ihr gemeinsamer Song „Fall | |
Creek Boys Choir“ ist eine recht orthodoxe Ansammlung von Synthies und | |
pseudo-kauzigem Gesang. Er redet altklug über Grenzen und Möglichkeiten des | |
präparierten Klaviers, aber erzählt gleichzeitig so von der Liebe, als ob | |
vor ihm noch kein Mensch Mitte Zwanzig jemals glücklich verliebt gewesen | |
wäre. | |
James Blake ist verliebt ins Detail und seine Effekte, aber unwissend | |
gegenüber den großen Geschichten, die sie erst hervorgebracht haben – ein | |
Künstler so bipolar wie die Welt um ihn herum. | |
## James Blake, "Overgrown" (A&M/Universal) | |
5 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Christian Werthschulte | |
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