# taz.de -- Nachruf auf Andreotti: Göttlicher Giulio | |
> Er war ein bisschen Richelieu, Machiavelli und Don Camillo – außerdem | |
> Freund von Päpsten und Mafiosi. Der italienische Ausnahmepolitiker | |
> Andreotti ist tot. | |
Bild: Ein echter Fuchs: Giulio Andreotti. | |
ROM taz | Nein, ein Staatsbegräbnis wird es nicht geben. Giulio Andreotti | |
zog es vor, so zu gehen, wie er immer Politik gemacht hatte, wie er über | |
Jahrzehnte hinweg zum mächtigsten Politiker Italiens aufgestiegen war: auf | |
leisen Sohlen. | |
Am Montag starb Andreotti 94-jährig, bis zuletzt hatte er als Senator auf | |
Lebenszeit dem Parlament angehört, doch seine wirklich „aktive“ Zeit war da | |
schon lange vorbei. Andreotti: Er war der mächtigste, der am stärksten | |
skandalumwitterte Politiker, der ebenso bewunderte wie umstrittene Star der | |
sogenannten „Ersten Republik“, jener Zeit von 1945 bis 1992, als in Italien | |
ununterbrochen die Democrazia Cristiana (DC) regierte, als die | |
Kommunistische Partei, die KPI, in eiserner Opposition und zugleich ohne | |
jede Hoffnung auf die Macht gegen die DC stand. | |
Dabei hatte – aus Sicht der heutigen Mediendemokratien – der „Divo Giulio… | |
der „göttliche Giulio“, so gar nicht das Zeug zum Star. Schon früh zwang | |
ihm ein Buckel die nach vorn gebeugte Körperhaltung auf. Dazu noch die | |
große Brille im Gesicht, die immer etwas zu leise Fistelstimme ließen ihn | |
nicht gerade attraktiv erscheinen. | |
Ein bisschen Richelieu, ein bisschen Machiavelli, ein bisschen Don Camillo: | |
Andreotti schaffte es dennoch, eine in Italien einzigartige Karriere | |
hinzulegen, mit Päpsten und mit Mafiosi, mit Geheimdienstchefs ebenso wie | |
mit den Anführern der Kommunistischen Partei per Du zu sei, ohne doch je | |
von jenen Skandalen eingeholt zu werden, die ihn immer wieder streiften. | |
Gerade 26 Jahre alt ist Andreotti, als 1945 der Zweite Weltkrieg und damit | |
auch die Macht Mussolinis in Italien endet – und schon hat er die richtigen | |
Kontakte. Den Kontakt zu Alcide De Gasperi beispielsweise, dem | |
italienischen Adenauer, der die Democrazia Cristiana gründet, der bis 1953 | |
als Ministerpräsident regiert – und Andreotti 1947 als Staatsekretär zu | |
sich ins Zentrum der Macht holt. | |
## 50 Prozent Analphabeten | |
Ein tief katholisches, ein bigottes Land ist Italien damals, 40 Prozent der | |
Menschen arbeiten noch in der Landwirtschaft, fast die Hälfte sind | |
Analphabeten. Und Andreotti kümmert sich, schließlich ist er im Amt des | |
Ministerpräsidenten auch für die Zensur von Filmen und Theaterstücken | |
zuständig. Schlüpfrige Szenen lässt er rausschneiden, vor allem aber stört | |
ihn der Neorealismus, der die sozialen Zustände im Land anprangert. | |
„Schmutzige Wäsche wäscht man in der Familie“, verfügt der Politiker –… | |
verbietet immer wieder Werke, die ihm zu „subversiv“ oder rufschädigend f�… | |
Italien erscheinen. | |
Beim Vatikan sammelt er damit Punkte, bei den Wählern setzt der in Rom | |
geborene Andreotti ganz so wie seine Parteikollegen aus der DC auf die | |
eigentümliche Modernisierung, die die Partei dem Land beschert. Da ist | |
vorneweg die „Cassa per il Mezzogiorno“, die staatliche „Südkasse“, ü… | |
die die Christdemokraten Milliardensummen in die unterentwickelten Regionen | |
Süditaliens pumpen, um dort Industrieprojekte hochzuziehen. Andreotti nutzt | |
den Geldsegen, um sich mit von ihm verteilten und kontrollierten | |
Wahlgeschenken im südlichen Latium – der Hauptstadtregion – zum | |
unumstrittenen politischen Boss zu machen. | |
Von da an ist er eine der echten Größen in der DC, wird erst mehrfach | |
Minister, dann im Jahr 1972 zum ersten Mal Regierungschef. In jener Epoche | |
auch erfolgt sein wirklicher Karrieresprung: Andreotti tut sich mit dem | |
sizilianischen DC-Politiker Salvo Lima zusammen und dehnt seine | |
Parteiströmung auf Palermo und Umgebung aus. Ins Land der Bosse von Cosa | |
Nostra. | |
## Diskreter Mafioso | |
Und einer jener Bosse war – wie man heute weiß – eben Salvo Lima. Als Lima | |
1992 von seinen eigenen Mafiafreunden erschossen wird, tut Andreotti | |
erstaunt. Ob Lima ihm gegenüber nie von Mafia gesprochen habe, wird | |
Andreotti in einem TV-Interview gefragt – und er antwortet allen Ernstes, | |
leise vor sich hin näselnd: „Nein, wissen Sie, Lima war ein sehr diskreter | |
Mann.“ | |
Zu Andreottis besten sizilianischen Kontakten gehörte zum Beispiel auch der | |
Bankier Michele Sindona, Geldwäscher der Mafia, aber auch Mann des | |
Vatikans, der beste Geschäftskontakte zur Vatikanbank IOR pflegte. Sindona | |
stirbt, Jahre nach seiner Verhaftung und seiner Verurteilung als | |
Auftraggeber eines Mordes, 1986 in Haft an einem vergifteten Espresso; | |
Andreotti tut, was er immer in solchen Situationen macht: Er schweigt. Und | |
er regiert. In den Jahren 1972 bis 1992 ist er gleich siebenmal | |
Ministerpräsident, mal gestützt von den Rechtsauslegern im Parlament, mal | |
von den Kommunisten. Seine 1976 bis 1979 amtierenden Kabinette sind | |
„Regierungen der Nationalen Solidarität“, toleriert von der KPI. | |
Denn Italien hat nach dem Modernisierungsschub der 50er und 60er Jahre mit | |
seiner tiefsten Krise zu kämpfen, nicht bloß die Jugendlichen, sondern auch | |
die Fabrikarbeiter rebellieren, die Linksterroristen, vorneweg die der | |
Roten Brigaden, finden breiten Anhang im Land und verüben Dutzende Morde. | |
Da soll es der eigentlich stramm rechte Andreotti richten, dank einer von | |
seinem christdemokratischen Parteikollegen Aldo Moro eingefädelten | |
Regierung. | |
## Illegales antikommunistisches Bollwerk | |
Doch Moro wird am 16. März 1978 von den Roten Brigaden entführt. Und die | |
Regierung Andreotti setzt einen Krisenausschuss von Geheimdienst- und | |
Militärchefs ein, in dem fast alle Mitglieder Angehörige der Geheimloge | |
„P2“ sind, einer Loge mit „atlantischen“ Orientierungen, mit der Hunder… | |
Politiker, Militärs und Spitzenbeamte ein illegal agierendes | |
antikommunistisches Bollwerk errichten wollen. | |
Als Aldo Moro am 9. Mai 1978 von den Roten Brigaden erschossen wird, | |
notiert Andreotti im Tagebuch: „Eine Nacht der Meditation und des Gebets.“ | |
Doch wieder hat er zur Aufklärung der zahlreichen Fahndungspannen, zur | |
merkwürdigen Rolle der P2 schier gar nichts zu sagen. Lieber spinnt er die | |
Fäden der Macht, auch wenn die ihm zahlreiche Skandale eintragen. Gleich | |
27-mal versuchen Staatsanwälte, ihn bis 1992 wegen Korruptions- und anderen | |
Geschichten zu belangen: Immer aber lehnt das Parlament mit der Mehrheit | |
der Christdemokraten und ihrer Koalitionspartner die Aufhebung der | |
Immunität ab. | |
Andreotti steuert nette Bonmots bei, die ihm Lacher eintragen: „Die Macht | |
verschleißt den, der sie nicht hat“, weiß er zum Beispiel, oder auch: „We… | |
man Böses über andere denkt, begeht man eine Sünde – meistens aber liegt | |
man richtig“. Dieser Katho-Machiavellismus scheint 1992 am Ende. Andreottis | |
DC zerbricht, genauso wie die Sozialistische Partei Bettino Craxis, an | |
ungezählten Korruptionsskandalen, und Andreotti selbst findet sich im Staub | |
wieder. | |
## Mord an Enthüllungsjournalisten | |
Er soll über Jahre hinweg der wichtigste Gewährsmann der Cosa Nostra in | |
Roms Politikbetrieb gewesen sein: dies die Anklage der Staatsanwaltschaft | |
Palermo. Und in Perugia muss er sich gar als Auftraggeber des Mordes an | |
einem dubiosen Enthüllungsjournalisten – der auch immer wieder Geschichten | |
über Andreotti und dessen engsten Umkreis in seinem Blättchen hatte – | |
verantworten. | |
In Perugia gibt es einen Komplett-Freispruch, unschöner fällt das Urteil in | |
Palermo aus. Auch da erfolgt keine Verurteilung, doch im Jahr 2004 kommt | |
Andreotti mit dem letztinstanzlichen Urteil nur wegen Verjährung straffrei | |
davon. Die Richter halten in der Urteilsbegründung fest, dass der Politiker | |
bis 1980 der Mafia als zuverlässiger Bündnispartner gedient hat. Italien | |
war das egal: Es feierte das Gerichtsurteil, als sei da ein Freispruch | |
erfolgt. Andreotti durfte seine letzten Lebensjahre als verehrter Elder | |
Statesman genießen – und nimmt seine vielen Geheimnisse rund um Mafia, | |
Terror und Korruption nun mit ins Grab. | |
6 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
## TAGS | |
Nachruf | |
Mafia | |
Vatikan | |
Macht | |
Italien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Korruptionsverdacht im Vatikan: Polizei nimmt Geistlichen fest | |
Im Zuge der Ermittlungen gegen die Vatikanbank ist der Prälat von Salerno | |
festgenommen worden. Ihm werden Betrug, Korruption und Verleumdung | |
vorgeworfen. | |
Verstoßene Diktatorenfreunde: Nicht mal einen Mord wert | |
Wenigstens umbringen hätte man ihn noch können. Warum es tragisch ist, dass | |
Putins Kritiker Beresowski nicht durch fremde Hand starb. | |
Journalistin über Italien-Wahl: „Es schmerzt, belächelt zu werden“ | |
Die Italiener haben nicht aus Trotz Beppe Grillo gewählt. Und sie sind auch | |
nicht deutschlandfeindlich, sagt die Autorin und Journalistin Petra Reski. | |
Soziologe über Italien: "Dies ist ein wahnsinniges Land" | |
Der italienische Soziologe Nando Dalla Chiesa über Straffreiheit für | |
Berlusconi, Montis Chancen, Wulffs Lappalien und den moralischen Spread. | |
Eine Bank unter päpstlicher Aufsicht: Korruption, Bestechung, Geldwäsche | |
Das Istituto per le Opere di Religione (IOR), die Vatikanbank in Rom, war | |
in zahlreiche Finanzskandale verwickelt. Gianluigi Nuzzi hat sie | |
recherchiert. | |
Sorrentinos Film "Il Divo": Eidechse der Macht | |
Dunkel funkelt die Selbstherrlichkeit. Um den italienischen Politiker | |
Giulio Andreotti geht es in Paolo Sorrentinos Burleske "Il Divo - Der | |
Göttliche". |