# taz.de -- Bundesparteitag der Piraten: Online-Demokratie zur Geisterstunde | |
> Die Piraten wollen die Internetpartei sein. Doch die Anträge zur | |
> Einführung von Online-Parteitagen führen zu grotesken Debatten. | |
Bild: Eh die ganze Zeit online: Piraten beim Real-Life-Parteitag. | |
NEUMARKT taz | Gegen Mitternacht geraten auch die letzten | |
Selbstverständlichkeiten ins Wanken. „Ein Nein ist ein Nicht-Ja. Hat das | |
jemand nicht verstanden?“, fragt der Wahlleiter von der Tribüne herab. Seit | |
Stunden jagt ein Geschäftsordnungsantrag den nächsten. Hinter den zwei | |
Saalmikrophonen warten immer noch Dutzende Piraten in langen Schlangen. | |
Beim Bundesparteitag im bayerischen Neumarkt steht die Zukunft der | |
Demokratie auf dem Programm: Wollen die Piraten künftig als erste Partei | |
der Republik ihre Programmbeschlüsse auch online treffen, jenseits von | |
Großversammlungen wie diesen? | |
Auf den ersten Blick eine simple Frage. Doch unter Piraten tobt seit Jahren | |
ein Glaubenskrieg um die „Ständige Mitgliederversammlung“ (SMV) – wie die | |
Internet-Parteitage offiziell heißen. Ein Flügel der Partei hält sie für | |
einen längst überfälligen, visionären Schritt, eine zeitgemäße Alternative | |
zum Delegiertensystem der großen Parteien. Der andere warnt vor | |
Manipulationsgefahren und Datenschutzproblemen. Beide Lager sind sich in | |
treuer Feindseligkeit verbunden. | |
Das wird spätestens klar, als Christopher Lauer, der Fraktionschef der | |
Berliner Piraten, den rund 1.000 angereisten Parteikollegen die ersten | |
beiden von insgesamt zwölf Vorschlägen zur Digitalisierung der | |
innerparteilichen Demokratie präsentiert. Lauer hat „volle Kanne | |
Onlineparteitag“ beantragt, „all inclusive – mit allen Soßen und Zwiebeln | |
wie mein Dönermensch sagen würde“. | |
Das heißt: Die Piraten sollen künftig auch zwischen den Bundesparteitagen | |
übers Internet ihr Parteiprogramm und ihre Satzung verändern können. Um | |
Manipulationen zu verhindern, sollen sie nicht anonym abstimmen dürfen, | |
sondern mit vollem Namen votieren. | |
## Keine Bedenkenpartei | |
„Wir wurden nicht dafür gewählt, dass wir Bedenken tragen, sondern dafür, | |
dass wir progressiv sind“, ruft Lauer den Mitstreitern zu. Die | |
Basisdemokratie in der Piratenpartei funktioniere nicht. Die | |
Mitmachverheißung gehe längst nicht mehr auf. Die Piraten müssten endlich | |
ihre Versprechen einlösen. „Lasst uns die anderen Parteien unter Druck | |
setzen, die große Probleme mit ihren Delegiertensystemen haben.“ | |
Auf Einwände anderer Basispiraten, das freie Mandat der Abgeordneten sei in | |
Gefahr, der Datenschutz nicht gewährleistet, die Technik noch nicht sicher | |
genug, reagiert der Berliner Parteipromi aggressiv: „Wir können auch per | |
Brieftauben abstimmen, oder was Du so als Technik hast!“, knallt er einem | |
Mitstreiter vom Podium aus an den Kopf. Er wolle auch keine | |
„Gesinnungsdatenbank“ einrichten. „Wir sind hier nicht in Syrien, wir sind | |
in Deutschland.“ | |
In der Partei sind die Argumente für und gegen die Online-Voten ohnehin | |
längst hundertfach ausgetauscht. Die chaotische Endlosdebatte beim | |
Parteitag in Neumarkt, sie ist letztlich nur noch ein Schaukampf. | |
## Der Alkoholpegel steigt | |
„Wir fummeln jetzt um 23 Uhr an einem Kern unserer Partei herum. Ist das | |
allen klar?“, fragt ein Pirat am Saalmikrofon – und wird vom entnervten | |
Versammlungsleiter abgebügelt: „Das ist keine Frage zum Verfahren.“ Die | |
Schnitzel am Grill vor der Halle sind ausverkauft, der Alkoholpegel drinnen | |
steigt, die Piraten haben noch immer nichts entschieden – außer einer | |
Unzahl von Geschäftsordnungsanträgen. | |
Nach grotesken Debatten über das Abstimmungsprozedere werden die Piraten | |
schließlich an die Wahlurnen gebeten. Um vier Minuten vor Mitternacht | |
verkündet der Wahlleiter schließlich das Ergebnis: Keiner der beiden | |
Anträge zu Online-Parteitagen hat die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit | |
bekommen. Applaus brandet auf. | |
Die Gegner dieser Maximalforderungen sind erleichtert: Programmbeschlüsse | |
übers Internet wird es auch bei den Piraten bis aufs Weitere nicht geben. | |
Doch die Befürworter der Online-Parteitage geben längst noch nicht auf. | |
Schließlich stehen auf der Tagesordnung noch zehn andere, gemäßigtere | |
Anträge zu Internet-Voten. Mit ihnen soll sich der Parteitag nun am | |
Samstagabend befassen, in einer weiteren Nachtschicht, nach neunstündiger | |
Debatte übers Wahlprogramm. | |
11 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Astrid Geisler | |
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