# taz.de -- Politik-Besucher in Berlin: Reichstag und Butterstulle | |
> Dreimal im Jahr können Bundestagsabgeordnete Besucher für eine | |
> Stippvisite nach Berlin laden. Was machen diese Polittouris da? | |
Bild: Programmpunkt Reichstagskuppel. Dann der Hackesche Markt. Zwischendurch w… | |
BERLIN taz | Auf dem Parkplatz vor dem Berliner Hauptbahnhof warten | |
zahlreiche Reisebusse. Die Besuchergruppe, die gerade mit dem ICE 859 aus | |
dem Westen der Republik angekommen ist, muss aufpassen, nicht den falschen | |
zu erwischen. Zettel in den Windschutzscheiben weisen den Weg. Auf ihnen | |
prangen Namen von Bundestagsabgeordneten. Die knapp 40 Frauen und Männer | |
aus dem Zug steigen bei „Birkwald“ ein. | |
Woche für Woche spielt sich das gleiche Schauspiel ab: Als wären nicht | |
ohnehin schon genug Touristen in der Stadt, schlängeln sich auch noch | |
Dutzende von Abgeordnetenbesuchergruppen durch die unzähligen Baustellen | |
Berlins. Doch was machen diese Polittouris da eigentlich? Ein viertägiger | |
Selbstversuch gibt Auskunft. | |
Die kleine Gruppe aus dem Rheinland ist auf Einladung des | |
Linkspartei-Abgeordneten Matthias W. Birkwald nach Berlin gekommen. Sie | |
wird im Bus von Sabine Wiehmert begrüßt. „Die Programmpunkte sind | |
Pflichttermine“, sagt die Mitarbeiterin des Presse- und Informationsamtes | |
der Bundesregierung streng. | |
„Nicht, dass Sie denken, das ist freiwillig hier.“ Diesem Irrtum war | |
unlängst eine gute Bekannte erlegen, die sich auf vier schöne Urlaubstage | |
mit ihrer Freundin gefreut hatte - und dann irritiert feststellen musste, | |
dass es sich nicht nur der Ankündigung nach um eine „politische | |
Informationsfahrt“ handelte, zu der sie das Büro des Grünen Volker Beck | |
eingeladen hatte. | |
Dreimal im Jahr kann ein Abgeordneter bis zu 50 Besucher zur Stippvisite in | |
die Bundeshauptstadt einladen. Kost und Logis übernimmt das | |
Bundespresseamt. 23,6 Millionen Euro stehen dafür im Haushalt zur | |
Verfügung. Besonders in Vorwahlzeiten nutzen Parlamentarier gerne die Trips | |
für „politisch Interessierte“ als Instrument der Wahlkreispflege. „In | |
dieser Woche sind rund 60 Besuchergruppen im Rahmen der Informationsfahrten | |
in Berlin“, gibt das Bundespresseamt Auskunft. | |
## Standardrepertoire Stadtrundfahrt | |
Das ist auch für das Programm verantwortlich. Zum Standardrepertoire gehört | |
eine Stadtrundfahrt, „an politischen Punkten orientiert“, und ein Besuch | |
des Reichstags. Dort trifft die Reisegruppe auch „ihren“ Abgeordneten: Im | |
Fraktionsraum der Linkspartei referiert Birkwald über Rentenpolitik. Egal, | |
welche Frage ihm gestellt wird, immer wieder kommt der rentenpolitische | |
Sprecher auf sein Lieblingsthema zurück. Darüber könnte er Stunden | |
sprechen, sagt der 51-Jährige. Aber er hat nur eine einzige - und überzieht | |
die Zeit. | |
Als er ausgeredet hat, ist es zu spät für das angekündigte Gruppenfoto auf | |
der Dachterrasse des Reichstags. Ein schnelles Bild vor dem Fraktionsraum | |
muss reichen. Presseamtsmitarbeiterin Wiehmert drängelt: Es wartet schon | |
die Führung durch das Berliner Abgeordnetenhaus. Im dortigen Festsaal wurde | |
1919 die KPD gegründet. | |
Offizieller Zweck der Informationsfahrten ist es, Bürgern die Funktions- | |
und Arbeitsweise von Parlament, Bundesrat und Bundesregierung näher zu | |
bringen und vertiefte Einblicke in die neuere deutsche Zeitgeschichte zu | |
ermöglichen. | |
„Die einzelnen Programmpunkte, die wir dem Bundespresseamt vorschlagen, | |
orientieren sich an der jeweiligen Gruppe, die wir einladen“, erläutert | |
Gisela Stahlhofen, die Wahlkreismitarbeiterin Birkwalds. Mal werden | |
verdiente Parteiaktivisten bedacht, mal sozial benachteiligte Jugendliche, | |
mal Hartz-IV-Empfänger, die sich sonst keine Reisen leisten können. „Das | |
nächste Mal kommen IG-Metall-Gewerkschafter“, sagt Stahlhofens Kollege Udo | |
Spitzl-Zimny. | |
Diesmal ist der Kreis eher ungewöhnlich: Es handelt sich in der Mehrzahl um | |
frühere Jungdemokraten. Wie die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth oder der | |
SPD-Bundestagsabgeordnete Christoph Strässer war auch der Linksparteiler | |
Birkwald in seinen jungen Jahren Mitglied der radikaldemokratischen | |
Jugendorganisation, die sich nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition | |
1982 von der FDP getrennt hat und seitdem parteiunabhängig ist. | |
## Die PR-Frau kommt ins Schwitzen | |
Das Altersspektrum der Teilnehmer reicht von Mitte 30 bis Mitte 70. | |
Mitglied der Linkspartei sind nur wenige, bürgerrechtlich orientiert jedoch | |
alle. Deshalb gibt es für sie Informationsgespräche beim Bundesbeauftragten | |
für Datenschutz und Informationsfreiheit sowie im Bundesinnenministerium, | |
wo die nach wie vor äußerst disputfreudigen Alt-Jungdemokraten die PR-Frau | |
des Ministerium schwer ins Schwitzen bringen. | |
Am letzten Tag stehen mehrere Führungen „auf den Spuren jüdischen Lebens | |
rund um den Hackeschen Markt“ auf dem Programm. Am Donnerstagabend geht es | |
zurück ins Rheinland. Als Wegration gibt es ein Lunchpaket vom Restaurant | |
Butterstulle. | |
Ohnehin bestand all die Tage nie die Gefahr, zu verhungern. Frühstück im | |
Hotel, dann mittags und abends Essen in wechselnden Restaurants: Die | |
Bundestagsreisen sind offenkundig auch ein Beitrag zur Förderung der | |
Berliner Gastronomie. „Wenn ich zurück in Köln bin, habe ich mindestens | |
zwei Kilo zugenommen“, sagt eine Teilnehmerin zum Abschluss. Das gilt | |
leider nicht nur für sie. | |
23 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
Anja Krüger | |
## TAGS | |
Bundestag | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
Claudia Roth | |
Verdi | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
Dieter Janecek | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
FDP | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ortstermin Berliner Umverteil-Kongress: Wie war das mit der Solidarität? | |
Der Umverteil-Kongress von Verdi und Attac hatte am Wochenende rund 750 | |
Besucher. Sie vereinte der Wille zur Veränderung. | |
Der Zettelwahlkampf der SPD: Peers Traum | |
SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück postet auf Facebook Fotos von | |
handgeschriebenen Zetteln. Das soll Ehrlichkeit und Spontaneität | |
demonstrieren. | |
Wahlkampfthemen der Grünen: Frösche sind wichtig! | |
Spitzengrüne wie Katrin Göring-Eckardt werben für den Laubfrosch. Hat die | |
Partei endlich ihr Topthema für den Wahlkampf gefunden? | |
Grüne im Bundestagswahlkampf: Topthema Laubfrosch | |
Mit viel Aufwand lässt die Partei ihre Basis über „Schlüsselprojekte“ f�… | |
eine künftige Regierung abstimmen. Doch was, wenn die Basis falsch | |
entscheidet? | |
Persiflage der liberalen Werbekampagne: Die wahren Erfolge der FDP | |
Die Liberalen sind der parteigewordene Running-Gag. Immer auf sie | |
einzudreschen gebietet sich nicht, doch diesmal sorgte die FDP selbst | |
dafür. |