# taz.de -- Syrien-Experte zu Waffenembargo: „Das wäre in der Tat pervers“ | |
> Nach dem Ende des EU-Waffenembargos gegen Syrien: Europa muss jetzt auch | |
> Staatlichkeit in den von der Opposition kontrollierten Gebieten fördern. | |
Bild: Von Russland nach Syrien: MiG-29 im Formationsflug | |
taz: Herr Perthes, was passiert, wenn Großbritannien und Frankreich Waffen | |
an die syrischen Rebellen liefern? | |
Volker Perthes: Das kommt darauf an, was für Waffen sie liefern. Wenn | |
Flugabwehrraketen dazu gehören, sogenannte Manpads, die „am Mann“ getragen | |
werden, kann das zu einer gewissen Stabilisierung der von Rebellen | |
gehaltenen Gebiete führen. Denn die Luftwaffe von Baschar al-Assad könnte | |
diese nicht mehr so leicht bombardieren. | |
Ist es nicht pervers, wenn der Westen nun Rebellen mit Waffen beliefert, | |
die mit al-Qaida-nahen Gruppen zusammenarbeiten, welche dieselben Waffen | |
demnächst gegen den Westen richten werden? | |
Wenn das so wäre, wäre es in der Tat pervers. Das ist ja auch die große | |
Sorge der Staaten in der Gruppe der „Freunde Syriens“. Ich denke daher, | |
dass London und Paris erst Waffen liefern werden, wenn sie Rebellengruppen | |
ausgemacht haben, die das humanitäre Völkerrecht respektieren und einem | |
zivilen, demokratischen Staat den Weg bereiten wollen. | |
Gegenwärtig starren alle auf Selim Idriss, den Stabschef der Freien | |
Syrischen Armee. | |
Möglicherweise ist die FSA unter General Idriss verlässlich genug. Seine | |
Leute werden mit Unterstützung der USA ausgebildet und haben sich auch | |
schon mit al-Qaida-nahen Gruppen auseinandergesetzt. | |
Angenommen, Idriss wird als vertrauenswürdiger Waffenempfänger ausgemacht, | |
und die FSA hält die Luftwaffe von ihren Gebieten fern. Damit ist der Krieg | |
aber nicht vorbei. | |
Nein, aber dann kann das zu einer militärischen Balance führen, die beide | |
Seiten davon überzeugt, dass ernsthafte Verhandlungen nötig sind. Ein | |
Gleichgewicht der Schwäche, bei der beide Seiten wissen, dass sie weiteres | |
Gelände nicht erobern können und letztlich miteinander verhandeln müssen. | |
Wo hätte das bisher geklappt? | |
Im Libanon waren am Ende alle Seiten so erschöpft, dass sie verhandelten | |
und 1990 den Bürgerkrieg beendeten. | |
Nach 15 Jahren. | |
Es ist in unser aller und vor allem im Interesse der Syrer, es nicht so | |
weit kommen zu lassen. Da eine solche Balance bislang nicht existiert, wird | |
die jetzt geplante Konferenz in Genf bestenfalls der Beginn eines langen | |
Prozesses sein. Wenn aber das Land in einen endlosen Krieg gleitet, wenn | |
Syrien zerfällt, wird das Konzept multikonfessioneller und multiethnischer | |
Staaten im Nahen Osten insgesamt in Frage gestellt werden. Das wird dann | |
keine Implosion, die sich „eindämmen“ lässt, sondern eine Explosion, die | |
die gegenwärtige regionale Ordnung zerstören wird. | |
Explodieren? | |
Kaffehaus-Geostragen malen dann gern Linien auf die Tischdecke und stellen | |
sich vor, wie die neuen Staaten aussehen könnten: ein Kurdenstaat hier, ein | |
Alawitenstaat dort. So hübsch wie im 20. Jahrhundert, als der Engländer | |
Mark Sykes und der Franzose François Georges Picot die Grenzen des Nahen | |
Ostens zeichneten, werden die Dinge sich aber nicht ordnen. Es wird Staaten | |
mit unklaren Grenzen und verschiedenen Warlord-Emiraten geben, die sich | |
über eine Dekade bekriegen werden. | |
Was bedeutet das für Europa? Gerade ist die gemeinsame europäische | |
Außenpolitik erneut gescheitert. Sollte man sich von dieser Idee nicht | |
überhaupt endlich verabschieden? | |
Es gibt in diesen Dingen keinen absoluten Abschied von irgendwas. Natürlich | |
war die Einigung der EU-Außenminister, die Waffenlieferungen aus den | |
Sanktionen herauszunehmen, ein Formelkompromiss. Was aber letztlich | |
wichtiger ist als Waffenlieferungen oder die Debatte darüber: Dass wir den | |
Rebellengebieten beim Aufbau politischer und wirtschaftlicher Strukturen | |
helfen, damit diese Gebiete lebensfähig werden. Hier müssen Schulen, | |
Krankenhäuser, Verwaltung uns Justiz wieder funktionieren. Und hier müsste | |
die Opposition zeigen, dass sie besser regiert als das Regime in Damaskus. | |
Flüchtlinge würden dann übrigens eher in diese Gebiete gehen als über die | |
Grenzen in die Nachbarländer. | |
Der Nahe Osten zerfällt, die USA wenden sich ab, und Sie möchten kein | |
Dauerversagen der EU-Außenpolitik beklagen? | |
Das geht mir zu weit. Da, wo die Europäische Union wirklich etwas tut, gibt | |
es auch Erfolge. Die Lage zwischen Serbien und Kosovo in den Griff bekommen | |
zu haben, das ist schon etwas. | |
In Syrien hat offenbar niemand auch nur an eine Rolle der EU gedacht, die | |
EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton auch nicht. | |
Richtig. Alle Beobachter – ich auch – sind von falschen Voraussetzungen | |
ausgegangen, dachten zunächst, die Dinge würden sich schneller entscheiden. | |
Kaum jemand hat einen so brutalen und so langen Bürgerkrieg erwartet. | |
Insofern kann ich auch Frau Ashton schlecht vorwerfen, sie sei nicht | |
vorbereitet gewesen. | |
Im Ergebnis macht allein Russland fröhlich Geopolitik. | |
In der Tat macht Russland in der Region gerade eine ganz traditionelle | |
Weltpolitik à la 20. Jahrhundert: Man erhält sich einen Klienten durch | |
Waffenlieferungen und Unterstützung im UN-Sicherheitsrat. Aber die | |
Europäische Union muss darauf nicht reagieren, in dem sie ihrerseits 20. | |
Jahrhundert spielt. Das ist auch nicht realistisch, und auch Moskau wird | |
damit nicht viel weiterkommen. Wir werden diese Region nicht von außen | |
ordnen. Sie ordnet sich entweder selber, oder es wird einen langen | |
chaotischen Staatszerfall geben. | |
Und die Europäische Union wartet ab. | |
Die EU und ihre Mitglieder können derzeit nur den Aufbau von Staatlichkeit | |
in den von der Opposition kontrollierten Gebieten fördern. Da sind wir ganz | |
gut drin. Staatsaufbau können wir. Frieden erzwingen nicht. | |
1 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Winkelmann | |
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