| # taz.de -- Afghanistan vor dem Nato-Abzug: Menschenrechtler fürchten Frieden | |
| > Zivilgesellschaftliche Organisationen am Hindukusch fühlen sich vom | |
| > Westen bei der Aufarbeitung von Menschenrechtsverbrechen alleingelassen. | |
| Bild: Anhänger des für seine Brutalität bekannten Warlords Abdul Rashid Dost… | |
| KABUL taz | Die Ausstiegsformel der internationalen Gemeinschaft aus | |
| Afghanistan ist einfach: Weniger Militär, mehr Zivilgesellschaft. Doch was | |
| genau der Westen unter Zivilgesellschaft versteht, daran haben vor allem | |
| afghanische Menschenrechtler immer mehr Zweifel. Sie befürchten die | |
| Hauptverlierer eines möglichen Friedens zu werden. | |
| „Mit der aktuellen Verhandlungsstrategie wird am Ende ein Frieden | |
| herauskommen, der eine Vereinbarung zwischen Kriegsverbrechern sein wird“, | |
| sagt der Aktivist Azaryoun Matin. Sie werden sich untereinander aussöhnen, | |
| aber nicht mit den Opfern des Krieges.“ | |
| Matin leitet die Organisation Focus, die Menschenrechtsaktivisten in den | |
| Provinzen zu koordinieren versucht. Sie sollten mit am Tisch sitzen, | |
| fordert Matin, wenn in Afghanistan über Frieden verhandelt wird. Ohne | |
| Aufarbeitung der Vergangenheit werde es keinen echten Frieden geben, glaubt | |
| er. | |
| Auch Ismail Qasemyar, Mitglied des von Präsident Hamid Karsai eingesetzten | |
| Hohen Friedensrates, ist pessimistisch. Auch er glaubt, dass es ohne | |
| Zivilgesellschaft keine Demokratie geben kann. Zugleich weiß er, dass sich | |
| etliche Mitglieder der heutigen Regierung einer Aufarbeitung der | |
| Kriegsverbrechen in Afghanistan verweigern. | |
| ## Verhandlungen ohne Menschenrechtler | |
| Friedensverhandlungen mit Beteiligung von Menschenrechtlern kann sich | |
| Qasemyar deshalb nicht vorstellen. Die Aktivisten sollten ihre Forderungen | |
| einer Kommission des Friedensrates unterbreiten, schlägt er vor. Dann ließe | |
| sich eventuell das bestehende Amnestiegesetz verändern und die Aufarbeitung | |
| dem Internationalen Strafgericht übertragen. | |
| „Alternativ könnte Afghanistans Menschenrechtskommission ihren Bericht | |
| veröffentlichen, in dem sie die Kriegsverbrechen katalogisiert hat“, sagt | |
| Qasemyar und lacht. Er weiß natürlich, dass der Bericht seit zwei Jahren | |
| unter Verschluss gehalten wird, weil er einen „politisch explosiven Inhalt“ | |
| hat. | |
| Afghanische Menschenrechtler wollen nun ihre Kräfte im Alleingang bündeln, | |
| um den Druck auf die Regierung zu erhöhen. Auf Unterstützung der | |
| internationalen Gemeinschaft zählen sie nicht mehr. „Der Westen will raus | |
| aus Afghanistan“, sagt Matin. Deshalb unterstütze er nur noch Forderungen, | |
| die politisch genehm seien: „Aufarbeitung der Kriegsverbrechen gehört nicht | |
| dazu.“ | |
| ## | |
| Das führt bei Matin und anderen Aktivisten längst zur Ablehnung | |
| finanzieller Hilfen aus dem Westen. „Wenn sie uns Geld geben, wollen sie | |
| auch die Inhalte unserer Arbeit bestimmen“, resümiert er. | |
| Die Arbeit von Focus wird daher konsequent von den Mitgliedern selbst | |
| finanziert, die alle in internationalen Organisationen gut verdienen, | |
| erklärt Matin. Nicht alle afghanischen Organisationen aber können auf | |
| eigenen finanziellen Beinen stehen. | |
| Bei der Forensic Science Organisation (FSO) etwa mangelt es an Geld im | |
| Gegensatz zum Engagement. Die Forensik-Aktivisten analysieren die | |
| Massengräber der verschiedenen Kriege im Land. „Unser Ziel ist es, | |
| Angehörigen wenigstens Überreste ihrer Vermissten zurückgeben“, sagt | |
| FSO-Leiter Sayed Jawid. Auch werden Beweise für mögliche Gerichtsprozesse | |
| gesichert. | |
| Jawid und seine Mitstreiter fahren meist im Schutz der Dunkelheit aufs | |
| Land, damit sie nicht den örtlichen Kriegsverbrechern in die Hände fallen. | |
| „Wir haben versucht, von der EU und den Niederlanden Hilfe zu bekommen, | |
| aber sie fürchten die politischen Folgen unserer Arbeit“, sagt er. Ein | |
| Beamter der EU-Vertretung in Kabul bestätigt, dass es nicht möglich sei, | |
| solche Projekte finanziell zu unterstützen, begründet dies aber | |
| diplomatischer: „Der bürokratische Aufwand wäre genauso hoch wie für ein | |
| Millionenprojekt, wir können daher nur Großprojekte fördern.“ | |
| 4 Jun 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Cem Sey | |
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