# taz.de -- Kolumne Besser: Danke, Bayer AG! | |
> Lachen. Über Graffiti. Über Demoparolen. Brüllen. Singen. Sprühen. | |
> Lachen. Eine Stadt. Im Ausnahmezustand. Der Abschied von der Republik | |
> Gezi. | |
Bild: Sie schlafen den Schlaf der Gerechten: Gezi-Besetzer. | |
Der Moment, als die letzten paar hundert Leute von der Polizei aus dem | |
Gezipark [1][vertrieben werden]. Dicht aneinandergedrängt und in Schwaden | |
von Reizgas gehüllt, kaum mehr als zwei Meter Sicht, dabei trotzdem darauf | |
achtend, auf den Gehwegen zu bleiben und nicht die selbstgepflanzten | |
Blumenbeete zu betreten. (Klingt kitschig. War aber so.) | |
Einander wildfremde Menschen, die sich nach der Räumung des Platzes | |
irgendwo in der Stadt [2][begegnen] und plötzlich ein gemeinsames Thema | |
haben. Erfahrungen austauschen, die einander ähneln, die davon zeugen, Teil | |
von etwas Wunderbarem gewesen zu sein. Der Blick nach vorn: Wie geht’s | |
weiter? (Es muss doch weitergehen. Das kann nicht alles gewesen sein.) | |
Höchstens 20-jährige Mädchen und Jungs, die dir das Gesicht mit | |
Talcid-Lösungen [3][abwischen], um die Wirkung des Reizgases zu lindern. | |
(Danke, Kinder. Danke, [4][Bayer AG.]) | |
Die Kolleginnen und Kollegen von deutschen Zeitungen, die in einem Hotel am | |
Park ein gemeinsames Büro [5][errichten]. Ohne das übliche Konkurrenzding. | |
Und ohne sich groß um so etwas wie „objektive Berichterstattung“ zu | |
scheren. (Einseitig, gewiss. Aber wenn Polizisten aus zwei Metern | |
Entfernung Gummigeschosse auf Menschen [6][abfeuern], ist das ebenfalls | |
eine ziemlich einseitige Sache.) | |
[7][Lachen]. Über Graffiti. Über Demoparolen. („Nieder mit manchen | |
Sachen!“) Selbst welche erfinden. Brüllen. Singen. Sprühen. Lachen. | |
(Almancılar burada, Tayyip nerede?) | |
Eine Stadt. Im [8][Ausnahmezustand]. Die große Party im Gezipark und auf | |
dem Taksimplatz, das normale Geschäfts- und Nachtleben auf der Istiklal. | |
(Es gibt ein nicht so ganz falsches Leben im Falschen.) | |
Polizisten auf dem Taksimplatz am Rande eines Klavierkonzerts im | |
[9][Gespräch] mit Demonstranten: „Hast du jemals einem Klavierkonzert | |
gelauscht?“ – „Nein, noch nie. – „Und, ist das hier gerade nicht toll… | |
Klavierkonzert auf einem öffentlichen Platz?“ – „Ja, es gefällt mir seh… | |
– „Aber so was wird es in diesem Land nicht mehr geben, wenn ihr diesen | |
Kampf gewinnt.“ (Hat er später weniger Gaspatronen verschossen; hat er in | |
die Luft gezielt anstatt direkt auf Menschen?) | |
Die Jungs von [10][Çarşı], die eine Art Eingreiftrupp bilden, weil sie | |
glauben, du bist in einer schwierigen Situation, und dich da rausprügeln | |
wollen. (War nicht nötig. Trotzdem Danke, Jungs. Ihr seid rührend.) | |
Ein [11][bescheuerter] deutscher Akzent (das R, das nicht rollt), der zum | |
ersten Mal zu etwas nützlich ist. (Was fragst du so, bist du ein Polizist | |
oder zivil? – Schon mal einen Zivilpolizisten mit so einem Akzent gesehen? | |
– Na siehste.) Reden. Mit Linken, mit Kemalisten, mit Kurden, mit Schwulen | |
und Lesben, mit Ultras, mit der 90er-Generation, mit Bankern, Arbeitern, | |
Muslimen. | |
Die endlosen [12][Diskussionen] nach der Räumung des Geziparks. Der Anfang: | |
Einer steht auf und ruft, man solle doch bitte den Müll aufsammeln. (Selbst | |
die Kippenstummel werden mitgenommen. Ist das nicht etwas übertrieben?) | |
Die jungen Leute in der [13][Provinz], die sich freuen, dass jemand | |
gekommen ist, um ihnen zuzuhören. (Nein, zuhören heißt nicht zustimmen.) | |
Die vielen Menschen, bekannte und unbekannte, die ihre Wohnungen öffnen. | |
Manchmal ein Gästezimmer, meist aber Sofas, jede Menge Sofas. (Kommt doch | |
mal zu uns, wir haben auch eins.) | |
Der schwule Freund, der im [14][Baumkostüm] mit pinkfarbenem Helm und | |
Megafon zwei Stunden lang die Menge anführt. (Immer noch nicht müde? – Ich | |
könnte tot umfallen. Mach ich aber nicht.) | |
Der letzte Abend. Endlich Fisch. Endlich Raki. (Şerefine Tayyip.) | |
Ein letzter [15][Text]. Dann noch eine allerletzte Verabredung, ein letzter | |
Abschied. Abends der Flug. | |
Besser: Zurückkehren. Bis dahin: Hoşçakalın çocuklar. | |
2 Jul 2013 | |
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