| # taz.de -- Kolumne Besser: Schön warnen, mahnen, fordern | |
| > Wie kriege ich es hin, dass mein Scheiß gedruckt wird und nicht der eines | |
| > anderen? Eine Handreichung für junge Journalisten. | |
| Bild: Der hessische Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) bei der Mahn-Arbeit. | |
| Liebe Kinder, | |
| ganz gewiss habt ihr im Laufe eurer Ausbildung sämtliche 854 Standardwerke, | |
| die der große Wolf Schneider zur deutschen Sprache verfasst hat (u.a. | |
| „Deutsch für Profis“, „Deutsch für Kenner“, „Deutsch für Penner“… | |
| letzten Fußnote studiert. Bei ihm, dem Sprachpapst bzw. Stilpapst bzw. | |
| Journalistenpapst, habt ihr gelernt: Verben super, Adjektiv kacke. Noch | |
| mal: Verben super, Adjektive kacke. Und alle zusammen: Verben super, | |
| Adjektive kacke. | |
| Aber – Obacht, liebe Kinder, dieses Aber, das ihr gerade gelesen habt, war | |
| kein Allerwelts-, sondern ein echtes Profi-Aber; eines von der Sorte, mit | |
| der Journalisten gern in Anlehnung an eine dramaturgische Figur, welche | |
| Franz Kafka („Der Prozess“) einst eingeführt und Eduard Zimmermann („Der | |
| kurze Prozess“) später zur Vollendung gebracht hat und derzufolge es das | |
| Idyll, das gleich von schrecklichem Unheil heimgesucht werden wird, | |
| zunächst kurz, wirklich nur ganz kurz, zu schildern gilt, sodass der | |
| Schmerz über dessen unwiderrufliche Zerstörung noch schmerzhafter wird, | |
| ihre Geschichten präsentieren; ein Aber, das man, damit es seine volle | |
| Wirkung entfalten kann, gedanklich in die Länge ziehen muss, und das bei | |
| Profis etwa so klingt: | |
| „Sommer, Sonne, Sonnenschein. Aaaaaaaber über dem Nordatlantik braut sich | |
| ein Tief zusammen.“ Oder: „Sommer, Sonne, Sonnenschein. Aaaaaaaber die | |
| Sonnenstrahlung birgt eine unterschätzte Gefahr. Aaaaaaaber der Herbst | |
| steht schon ante portas. Aaaaaaaber was ist mit den Kindern in Afrika? | |
| Aaaaaaaber wer soll das bezahlen?“ | |
| ## Die Top-Verben des deutschen Zeitungswesens | |
| ## | |
| Nach diesem ebenfalls lehrbuchhaften Exkurs wenden wir uns also mit genau | |
| so einem und keinem anderen Aber den Weisheiten des Wolf Schneider zu: | |
| Verben super, Adjektive kacke. | |
| Aaaaaaaber welche Verben muss ich benutzen, damit mein Geschichte a | |
| G’schicht wird, damit meine Nachricht einen Nachrichtenwert bekommt, kurz: | |
| damit mein Scheiß gedruckt wird und nicht der eines anderen, der auch nicht | |
| besser ist als ich? | |
| Wie die meisten Dinge im Leben ist auch das keine Ansichtssache, sondern in | |
| unzähligen Studien aus dem Institut für Studien erforscht und mit Zahlen | |
| und Daten und Grafiken und Tabellen belegt. | |
| Und hier sind sie, die Top-Verben des deutschen Zeitungswesens: | |
| 1. Warnen: Experten warnen vor schlechtem Sex. Experten warnen vor | |
| schlechtem Essen. Experten warnen vor schlechter Laune. Von selbst würde | |
| nämlich niemand darauf kommen, dafür gibt’s schließlich Experten. Ihr müs… | |
| nur einen finden, der vor irgendwas warnt, ganz gleich vor was, die 100 | |
| Zeilen und das Lob des Abteilungsleiters sind euch sicher. | |
| 2. Mahnen: Weicher als das Warnen, aber moralisch wertvoller und für | |
| jedermann zu haben: Hausmeister mahnen zur Ordnung. Lehrer mahnen zur Ruhe. | |
| Apotheker mahnen, die Packungsbeilage zu beachten. | |
| 3. Fordern: Irgendein Wichtigtuer, der dit oder dat fordert, findet sich | |
| immer. In der größten Not macht ihr es wie die Profis. In der größten Not | |
| fragt ihr Hans-Olaf Henkel. | |
| 4. Empören: Wenn ihr Henkel nicht kriegt, macht ihr es wie die Profis. Wenn | |
| ihr Henkel nicht kriegt, fragt ihr Sahra Wagenknecht. Achtung: Dann nicht | |
| vergessen, das Verb anzupassen! Aber etwas fordern kann jeder geistlose | |
| Bürokrat. Um sich zu empören, bedarf es schon Herz. Oder einer schrillen | |
| Stimme. | |
| 5. Klagen: Wie Empörung, nur in Moll. Gerne benutzt bei Eltern, Anwohnern | |
| und [1][Bügelopfern aller Art]. Extrem hoher Emofaktor! | |
| Besser: Verben benutzen. | |
| 16 Jul 2013 | |
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| ## AUTOREN | |
| Deniz Yücel | |
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