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# taz.de -- Intellektuelle in Deutschland: Lieber ins Weite denken
> Worin besteht der Job der Philosophen? Eine Erwiderung auf den
> taz-Artikel gegen Adorno und für Richard David Precht.
Bild: Intellektuelle Entdeckerfreude: Die Gedanken sind frei – leicht müssen…
Bei Adorno finden sich Gedanken von brutaler Klugheit. Dass man sich auch
von seiner eigenen Ohnmacht nicht dumm machen lassen soll, beispielsweise.
Und es gibt Stellen, die man tief im Innern bewahrt. Etwa den Abschnitt in
„Minima Moralia“, in dem er erklärt, dass „die blinde Wut des Machens“
nicht zur Emanzipation des Menschen führt, und in dem er eine simple
Version des Glücks dagegenhält: „auf dem Wasser liegen und friedlich in den
Himmel schauen“.
Adorno hat das im Exil in Kalifornien geschrieben, und ich habe mir immer
vorgestellt, dass er in einem Swimmingpool auf einer Luftmatratze liegt und
diesen Satz denkt. Und im nächsten Satz zitiert er Hegel: „Sein, sonst
nichts, ohne alle weitere Bestimmung und Erfüllung.“
Natürlich, es gibt bei Adorno auch Manierismen, Dunkelheiten,
auftrumpfenden Intellekt und Dünkel gegen die Popkultur. Aber, wie soll ich
sagen? Bei Richard David Precht habe ich solche umhauenden Gedanken und
Stellen bislang noch nicht entdecken können.
Peter Unfried hat, bevor er seinen Text gegen Adorno und für Precht schrieb
([1][taz vom 29./30. 6.]), schätze ich, zwei Jahrzehnte der intellektuellen
Entwicklung verpasst. Er hat immer noch einen Intellektuellentypus im
Hinterkopf, der sich in der Abwertung des Populären verschanzt. Aber dieser
Typus ist nur noch ein Popanz, den er sich als einen für seine Zwecke der
Precht-Verteidigung idealen, aber eben nur imaginären Gegner
zurechttrickst.
Gleichzeitig aber soll die Autorität, die dieser Typus einmal forderte,
bewahrt und nun auf Figuren wie Precht übertragen werden. Sie sollen einem
jetzt sagen, was Sache ist. Hinter dem Lustigmachen über Intellektuelle
(„Boheme in Böhmen“) verbirgt sich also immer noch eine versteckte
Autoritätshörigkeit. Insofern ist dieser Artikel ärgerlich gerade für
diejenigen, die seinen Impuls gegen eine rückwärtsgewandte Kulturkritik
teilen.
## Aktueller intellektueller Pragmatismus
Denn tatsächlich ist unsere Zeit intellektuell doch zum Glück viel
pragmatischer geworden. Man folgt nicht mehr geschlossenen philosophischen
Systemen. Den großen klassischen Texten entnimmt man vielmehr Gedanken und
Thesen wie Werkzeuge und probiert herum, bei welchen Themen sie sich
anwenden lassen.
So ist es auf der einen Seite natürlich wichtig, sich an Adornos Verdammung
der Kulturindustrie kritisch abzuarbeiten. Auf der anderen Seite benimmt
sich die Kultur – gerade auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen –
manchmal dann doch so, dass es ganz gut ist, Adornos düstere Thesen parat
zu haben. Dann kann man im Einzelfall prüfen, wann Spaß in Verdummung kippt
oder eben nicht.
Man ist auch intellektuell fordernder geworden, nur in einem anderen Sinn,
als Peter Unfried es sich denkt. An zwei Stellen seines Artikels gibt er
seine Kriterien preis. In dem Satz: „Die wahre Frage ist, wie und wo man
heute kritisch interveniert, dass etwas daraus folgt.“ Und gegen Schluss:
„Es geht jetzt um die großen Fragen des 21. Jahrhunderts und
unangenehmerweise darum, die kritische Intervention und das Nein zu
verknüpfen mit einem Ja und einer Lösung.“
Folgen und Lösungsangebote. Wirklich? Lösungen von Fachexperten zu
erwarten, wozu man in der komplizierten Gesellschaft nun einmal gezwungen
ist, ist schon frustrierend genug. Wie nervig muss es sein, sie von
Intellektuellen zu erwarten, die sich zwar mit großen Worten auskennen,
aber nicht mit der jeweiligen fachlichen Materie! Kein Wunder, dass Peter
Unfried sich bei real existierenden Intellektuellen in Abwertung („Neid“,
„hässlich“) flüchtet. Dass er manche Intellektuelle wie Richard David
Precht oder Harald Welzer von dieser Abwertung ausnimmt, hat etwas
Zufälliges. Sie treffen halt seinen Geschmack. Dabei käme es doch gerade
dann darauf an zu prüfen, was sie philosophisch draufhaben.
## Strukturelles Nachdenken
Überhaupt, die großen Fragen des 21. Jahrhunderts – klingt das nicht ein
bisschen dick? Und ist das alles nicht sowohl zu viel als auch zu wenig von
Philosophen erwartet? Zu viel, weil man Wirkungen nicht steuern und
Lösungen nicht aus dem geisteswissenschaftlichen Hut zaubern kann.
Zu wenig, weil man von ihnen stattdessen ganz andere Dinge verlangen kann:
Szenarien, wie man auch denken kann; ein strukturelles Nachdenken darüber,
wie nachgedacht wird; Konzepte, wie man aktuelles Nachdenken einordnen kann
in die Geschichte dessen, wie bislang gedacht wurde. Natürlich sollen sich
auch Philosophen mit den politischen Fragen der Zeit beschäftigen, jeder
Mensch soll das, die Demokratie lebt davon. Aber wenn man sie auf dieses
Engagement reduziert, verfehlt man auch ihre Möglichkeiten.
Wahrscheinlich ist es also besser, von Philosophen erst einmal vor allem zu
verlangen, dass sie ihren Job machen, über das Nachdenken nachzudenken. Er
ist bitter nötig. Denn die Gesellschaft ist keine triviale Maschine, bei
der man vorne guten Willen hineinschüttet und bei der dann, wenn alle an
einem Strang ziehen, hinten eine positive Veränderung herauskommt. Außerdem
ist es schon aus Lust an intellektueller Entdeckerfreude spannender, das
Denken weit zu machen.
Klar kann man Precht gucken und weglesen. Aber die feineren Werkzeuge und
die Weite des Denkens gibt’s bei Adorno.
6 Jul 2013
## LINKS
[1] /Philosophie-fuer-alle/!118900/
## AUTOREN
Dirk Knipphals
## TAGS
Intellektuelle
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Philosophie
Kulturwissenschaft
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Intellektuelle
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