| # taz.de -- 151.-154. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: „Töten kann ich“ | |
| > Ein ehemaliger FDLR-Kommandeur weiß viel über die Hintergründe der | |
| > Angriffe auf Zivilisten 2009. Aber die Art der Befragung grenzt zuweilen | |
| > ans Absurde. | |
| Bild: Ignace Murwanashyaka im Stuttgarter Gerichtssaal. | |
| STUTTGART/BERLIN taz | Je länger der Kriegsverbrecherprozess gegen Ignace | |
| Murwanashyaka und Straton Musoni, Präsident und 1. Vizepräsident der im | |
| Kongo kämpfenden ruandischen Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung | |
| Ruandas), vor dem Oberlandesgericht Stuttgart dauert, desto stärker rückt | |
| die Frage in den Vordergrund, ob Zeugen sich noch korrekt erinnern. | |
| So auch beim Zeugen L, der vier Tage lang vom 6. bis 15. Mai aussagte und | |
| dessen Befragung einige außerordentliche lange Verhandlungstage | |
| produzierte. | |
| Der ehemals leitende FDLR-Kommandeur, der einst bis zu 200 Mann führte, war | |
| seit 1998 im Kongo und diente vor seiner Flucht 2009 in einer Einheit zum | |
| Schutz des im Kongo lebenden Teils der zivilen FDLR-Führung - allen voran | |
| der 2. Vizepräsident Gaston Iyamuremye alias Rumuli. Der führt in | |
| Abwesenheit des Präsidenten und des 1. Vizepräsidenten die Geschäfte und | |
| beruft Treffen des Exekutivkomitees ein, der zivilen Führung. | |
| Rumuli - der nach Murwanashyakas Verhaftung im November 2009 dessen | |
| Funktion übernahm - war offensichtlich sehr mächtig. Im Prozess stellt sich | |
| das so dar, dass Rumuli im Alltag mehr zu sagen hatte als die Angeklagten, | |
| die ja nicht vor Ort waren. | |
| Aber sie standen in der Hierarchie über dem 2. Vizepräsidenten. Welche | |
| Befugnisse hatten sie also? Diese Frage der Führungsverantwortlichkeit | |
| steht im Zentrum dieses Verfahrens. | |
| ## „Er ist der Präsident“ | |
| L stellt klar, dass Murwanashyaka als Präsident auch Leiter des | |
| militärischen Flügels war. „Es gab die Versammlungen des Oberkommandos - | |
| wenn Murwanashyaka im Terrain gewesen wäre, hätte er die Versammlung | |
| geleitet. In der Versammlung sind beide Flügel vertreten, Politiker und | |
| hochrangige Soldaten. Da Murwanashyaka im Ausland ist, muss ihm über die | |
| Entscheidungen aus der Versammlung berichtet werden“, sagt er zu Beginn | |
| seiner Befragung. | |
| „Wenn die Versammlungen abgeschlossen waren, informierte man ihn über die | |
| Entscheidungen der Versammlungen, da er der Präsident der FDLR ist. Ich | |
| denke, er konnte die Entscheidungen genehmigen oder zurückweisen“. | |
| Aber: „Ich kann nicht wissen, ob Murwanashyaka mit militärischen | |
| Entscheidungen zu tun hatte.“ Schließlich war L ja im zivilen Bereich | |
| stationiert. Doch Murwanashyaka war dem Militärchef Mudacumura | |
| übergeordnet, präzisiert der Zeuge wie bereits andere vor ihm. | |
| ## Vernehmung 2009. Aussage 2013 | |
| Was sagt uns das alles? Wir haben in Stuttgart Mai 2013. L verließ die FDLR | |
| im Juli 2009. Er wurde kurz darauf von deutschen Beamten in Ruanda | |
| vernommen. Damals waren seine Erinnerungen noch frisch. Jetzt soll er knapp | |
| vier Jahre später alles nochmal aussagen. | |
| Wie glaubwürdig seine Aussagen sind, misst sich offenbar daran, ob er alles | |
| aus seiner polizeilichen Vernehmung bestätigen kann. Die Prozessbeteiligten | |
| spüren also Widersprüchen zwischen den Aussagen von 2009 und 2013 | |
| hinterher. | |
| Aber um das tun zu können, muss die Vernehmung von 2009 in den Gerichtssaal | |
| von 2013 eingeführt werden. Den Prozessbeteiligten liegen zwar die | |
| Vernehmungsprotokolle vor. Die Verteidigung in Vertretung des Angeklagten | |
| Murwanashyaka ist aber, nicht zum ersten Mal, der Auffassung, dass die auf | |
| Kinyarwanda gemachten Aussagen von damals ungenau bzw. falsch übersetzt | |
| worden sind. Daher müssten die Originalaussagen von 2009 eingebracht | |
| werden. | |
| Und so wird die Verhandlung vollends surreal, gegen vergeblichen Protest | |
| der Generalbundesanwälte. Ausschnitte aus einem Video werden gezeigt: Die | |
| Vernehmung von Zeuge L in Ruanda vor vier Jahren. Das wird vom Übersetzer | |
| des Gerichts neu übersetzt, weil Murwanashyaka die protokollierte | |
| Übersetzung anzweifelt. Der Zeuge guckt mit. Dann wird er dazu befragt. | |
| Man fragt ihn aber nicht etwa, ob die Aussage von damals wahr ist, | |
| vielleicht aufgrund mittlerweile gewonnener neuer Erkenntnisse. Man fragt | |
| ihn einfach, ob er das damals so gesagt hat. „Ja“, antwortet er dann. | |
| Kunststück: er hat sich ja gerade im Video dabei gesehen, wie er es damals | |
| sagte. | |
| ## „Schüsse können nicht auswählen“ | |
| Das führt unweigerlich zu Verwirrungen, zum Beispiel bei der Frage, ob die | |
| FDLR Zivilisten im Kongo gezielt angegriffen hat. „Dass Zivilisten während | |
| den Kämpfen starben, ist selbstverständlich“, sagt L zunächst. „Schüsse | |
| können nicht auswählen. Zivilisten fliehen oft mit Soldaten, die Schüsse | |
| können sie treffen.“ | |
| Schließlich hatten 2009 die FDLR sowie die kongolesische Armee FARDC eines | |
| gemein: Sie lebten mit Zivilisten zusammen. Wobei laut L die Zivilisten der | |
| FDLR - ruandische Hutu-Flüchtlinge - nicht kämpfende Einheiten begleiteten, | |
| anders als die der FARDC - die kongolesischen Zivilisten. | |
| Zivilisten in FARDC-Abhängigkeit kämpften mit den Soldaten gegen die FDLR, | |
| „aber auch wenn es so war, hielt die FDLR sie nicht für einen Feind, sie | |
| machten es nur um zu überleben“, sagt L - ein Satz, der beträchtliche | |
| Verständnisschwierigkeiten aufzuwerfen scheint. | |
| Die Schwierigkeiten löst L schließlich selbst auf. „Als Schlussfolgerung | |
| kann ich sagen, dass die Zivilisten, die zur FARDC gingen, Probleme | |
| bekamen, wenn wir gegen die FARDC kämpften und sie in ihren Stellungen | |
| waren.“ Welche Probleme? „Sie starben.“ | |
| ## „Alle Bürger sollen mit der FDLR arbeiten“ | |
| Der Vorsitzende Richter Hettich fragt: „Sie sollen in der Vernehmung damals | |
| gesagt haben: Jeder, der im Krieg gegen uns war, sollte bestraft werden“. | |
| Der Zeuge: „Ja, das habe ich gesagt.“ | |
| Er bestätigt auch Drohbriefe der FDLR an die kongolesische | |
| Zivilbevölkerung. Und Telegramme des FDLR-Militärchefs Mudacumuras an die | |
| Truppe: „Alle Bürger, Kongolesen als auch ruandische Flüchtlinge, sollen | |
| mit der FDLR arbeiten, um den Feind zu bekämpfen; der Feind wird nicht nur | |
| die FDLR suchen, sondern alle Leute, die da sind. Diese Anweisungen kamen | |
| von General Mudacumura.“ | |
| L bestätigt auch mehrere in der Anklage aufgelistete Angriffe - so den auf | |
| das FDLR-Hauptquartier in Kibua am 25. Januar 2009, zu Beginn der | |
| gemeinsamen kongolesisch-ruandischen Militäroperation Umoja Wetu. | |
| Der Angriff begann um 6h30 morgens, dauerte nur etwa eine halbe Stunde; die | |
| Reservebrigade musste fliehen, verlor mehrere leitende Offiziere, und das | |
| Exekutivkomitee spaltete sich danach auf und verlor den Kontakt zur | |
| Militärführung. | |
| ## „In Luft aufgelöst“ | |
| Anders als damals vermutet war die FDLR damals wohl der Zerschlagung näher | |
| als weithin angenommen. Dem Zeugen wird eine SMS vom 27. Januar 2009 | |
| übersetzt: Das Exekutivkomitee in Kibua sei überraschend vom Feind | |
| umzingelt worden, die Verteidigung habe sich „in Luft aufgelöst“, denn „… | |
| Offiziere und Unteroffiziere waren seit dem Tag davor beschäftigt mit der | |
| Evakuierung ihrer Familien und ihrer großen Besitztümer, sie waren mit | |
| unzähligen Waffen ausgestattet“. | |
| Die FDLR fing sich wieder, nachdem „Umoja Wetu“ zu Ende ging und Ruandas | |
| Armee im Februar wieder aus Kongo abzog. Jetzt stand Kongos Armee FARDC | |
| wieder allein gegen die FDLR, ihren einstigen Verbündeten. | |
| Und die FDLR rächte sich blutig. Zum Beispiel mit dem Angriff auf den Ort | |
| Mianga am 12. April 2009, einer der ersten der blutigen Angriffe der Miliz | |
| in jener Zeit auf kongolesische Zivilisten, die im Zentrum der Anklage | |
| stehen. | |
| Der Befehl zum Angriff auf Mianga kam laut L von Vize-Exekutivsekretär | |
| Rubaro - zwar Politiker, aber auch Oberstleutnant. Auch vermeintliche | |
| Zivilisten konnten also militärische Befehle erteilen, ist dem zu | |
| entnehmen. Ausgeführt wurde der Angriff durch die FDLR-Reservebrigade. | |
| Das Hauptquartier der Reservebrigade befand sich nunmehr im Ort Shario. | |
| Dieser wurde daraufhin zwei Wochen später selbst Ziel eines äußerst | |
| blutigen FARDC-Überfalls, mit zahlreichen Toten unter den ruandischen | |
| Hutu-Flüchtlingen, die am Fuße jenes Hügels lebten, auf dem sich das | |
| Hauptquartier befand. | |
| Und in Reaktion darauf erfolgte am Morgen des 10. Mai 2009 der | |
| FDLR-Überfall auf das nahe Busurungi, das schlimmste einzelne der Miliz | |
| vorgeworfene Verbrechen in diesem Prozess. Der logische Ablauf wird in der | |
| Befragung nicht explizit deutlich gemacht, wird aber sichtbar. | |
| ## „Militärisch ein 100prozentiger Erfolg“ | |
| In und um Shario lebten damals rund 5000 Menschen, sagt L und beschreibt | |
| den Ablauf: „Man musste aus dem Wald heraus und Essen aus den Siedlungen | |
| suchen. Dort hat die FARDC zusammen mit Zivilisten die Flüchtlinge | |
| getroffen und getötet, es waren 90-100. Die FARDC kam, um im Wald nach | |
| Flüchtlingen zu suchen... sie teilten sich in zwei Teile: einige schossen | |
| auf die Soldaten (der FDLR), um sie abzulenken, die anderen gingen von | |
| hinten in den Wald zu den Flüchtlingen“. Er war damals 30 Minuten Fußmarsch | |
| entfernt. | |
| Den FDLR-Gegenangriff auf Busurungi ordnete der Chef der Reservebrigade an, | |
| Oberst André Kalume. „Militärisch war der Angriff ein 100prozentiger | |
| Erfolg, da der Feind weglief und die ganze Ausrüstung daließ“, resümiert L | |
| kühl. „Man sah, dass es nicht gut war, man sah dass die Leute traurig | |
| waren, da viele Zivilisten starben und Häuser angezündet wurden und andere | |
| flohen. Die Siedlung war leer“. | |
| L lässt keinen Zweifel daran, dass die FDLR eine durchorganisierte, | |
| ideologisch begründete Organisation ist. Auf die Frage, wer FDLR-Mitglied | |
| ist, antwortet er, es seien alle ruandischen Flüchtlinge im Kongo. Genauer | |
| gesagt: „Wenn man die Ideologie der FDLR akzeptiert und man muss Ruander | |
| sein, aber es gibt auch Kongolesen, die Mitglied der FDLR sind“. | |
| Deserteure habe man gewarnt, man werde sie aufspüren und vor Gericht | |
| stellen, wenn Ruanda einmal erobert ist. | |
| ## „Vergewaltigen kann ich nicht. Aber töten kann ich“ | |
| Am Schluss wird L gefragt, wie er denn mit „offensichtlich rechtswidrigen“ | |
| Befehlen umgehen würde - also zum Beispiel, unbeteiligte Zivilisten zu | |
| töten. „Frauen vergewaltigen kann ich nicht, alle andere Straftaten aus dem | |
| FDLR-Gesetzbuch kann ich nicht“, sagt L. „Aber töten kann ich.“ | |
| Und er sinniert: „Im FOCA-Gesetz gibt es die Todesstrafe. Wenn es die | |
| Todesstrafe gibt, müssen wir dich töten. Es darf nur nicht zu Unrecht sein. | |
| Ein Beispiel: Ein Hauptmann tötete seinen Leibwächter und wurde zum Tode | |
| verurteilt. Sie sagten zu einem: Du sollst ihn töten, da er es verdient | |
| hat. Er wurde erschossen und starb, vor vielen Leuten. Wenn es rechtens ist | |
| und der Wahrheit entspricht, kann ich es machen.“ | |
| Das sind die letzten Worte des Zeugen L in Stuttgart am Ende einer | |
| Marathonbefragung. Was für ein Finale. | |
| 10 Jul 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Bianca Schmolze | |
| Dominic Johnson | |
| ## TAGS | |
| Kongo | |
| Prozess | |
| Stuttgart | |
| FDLR | |
| Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess | |
| M 23 | |
| Kongo | |
| Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess | |
| Prozess | |
| Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess | |
| Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kommentar Erneute Kämpfe im Kongo: Mit den Nerven am Ende | |
| Zigtausende Menschen sind wieder auf der Flucht, der Kongo braucht dringend | |
| eine politische Lösung. Doch die UN setzt weiter auf das Militär. | |
| 150. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: „Wie die Himmlischen sagten“ | |
| Wie 2009 an höchster Stelle in der FDLR über den Kurs gerungen wurde – und | |
| was das mit der Gegenwart zu tun hat. | |
| 144.-149. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Was ist eine Zeugenaussage wert? | |
| Weitere mutmaßliche Opfer von FDLR-Verbrechen treten nichtöffentlich als | |
| Zeugen in Stuttgart per Video auf. Die Verteidigung zweifelt den Wert ihere | |
| Aussagen an. | |
| 141.-143. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Gedächtnis und Erinnerung | |
| Bei der Vernehmung eines weiteren UN-Experten im | |
| Kongo-Kriegsverbrecherprozess versucht die Verteidigung, Widersprüche | |
| nachzuweisen. | |
| 134.-140. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Hinter verschlossenen Türen | |
| Die offenbar schwierige Befragung kongolesischer FDLR-Opfer unter | |
| Ausschluss der Öffentlichkeit wird fortgesetzt. Zur Sprache kommt dabei | |
| unvorstellbares Leid. | |
| Der Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Die FDLR im Kongo | |
| In Stuttgart steht die Führung der im Kongo kämpfenden ruandischen | |
| Hutu-Miliz FDLR vor Gericht. Hier mehr zum Hintergrund. |