# taz.de -- Religiöse Minderheiten in Polen: Schächten bleibt verboten | |
> Parlament lehnt Gesetz ab, das das Schlachten nach den Vorschriften von | |
> Juden und Muslimen wieder erlaubt hätte. Oberrabbíner erwägt seinen | |
> Rücktritt. | |
Bild: Gegner des Schächtens demonstrieren am Donnerstag vor dem polnischen Par… | |
WARSCHAU taz | „Der Freitag vergangener Woche wird in die Geschichte Polens | |
eingehen als der schlimmste Tag für die polnisch-jüdische Diaspora in den | |
letzten 30 Jahren“, sagte Polens Oberrabbiner Michael Schudrich am Sonntag | |
der taz. „Wenn die Abgeordneten die Religionsfreiheit für die polnischen | |
Juden und Muslime nicht wieder herstellen, werde ich von meinem Amt als | |
Oberrabbiner zurücktreten.“ | |
Der 58jährige New Yorker, der seit einigen Jahren auch die | |
Staatsbürgerschaft Polens besitzt, ist zutiefst enttäuscht von den | |
Parlamentariern, die er zum Teil persönlich kennt: „Ich kann nicht | |
Oberrabbiner sein in einem Land, das die Juden verachtet.“ | |
Mit 222 gegen 178 Stimmen verwarfen Polens Abgeordnete am Freitag das | |
Gesetzesprojekt der liberalkonservativen Regierung, mit dem das Schlachten | |
nach den religiösen Vorschriften von Juden und Muslimen wieder erlaubt | |
werden sollte. Im November 2012 hatte das polnische Verfassungsgericht auf | |
Antrag von Tierschützern entschieden, dass das Schlachten ohne vorherige | |
Betäubung verfassungswidrig sei. Ausschlaggebend, so die Richter, sei das | |
Tierschutzgesetz von 2002. Nur der Gesetzgeber könne über eine Ausnahme | |
entscheiden, nicht aber der Landwirtschaftsminister mit einer einfachen | |
Verordnung. | |
Der Abstimmung im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, war eine | |
monatelange Kampagne gegen die angeblich grausame jüdische Schlachtmethode | |
vorausgegangen, der sich auch die links-liberale Gazeta Wyborcza | |
angeschlossen hatte. Am Ende setzte Polens Regierungspartei, die | |
liberalkonservative Bürgerplattform eine „Gewissensabstimmung“ gegen die | |
sonst übliche Fraktionsdisziplin durch. | |
Vergebens hatten Michael Schudrich, Polens Oberrabbiner, wie auch Piotr | |
Kadlcik, der Vorsitzende des Jüdischen Gemeindebundes in Polen, darauf | |
gedrängt, zu der Debatte doch auch sie zuzulassen, die eigentlich | |
Betroffenen. Doch es gelang ihnen nicht einmal, das korrekte Wort | |
„Schechita“ für das Schlachten mit einem einzigen Schnitt durch Luft- und | |
Speiseröhre und die Hauptschlagader durchzusetzen. Polens Politiker und | |
Publizisten blieben bei dem Wort „Ritual-Schlachtung“, das immer auch | |
Assoziationen an das Wort „Ritual-Mord“ weckt. Noch 1946 hatten polnische | |
Katholiken heimkehrende Holocaust-Überlebende in einem Pogrom getötet, weil | |
diese angeblich einen Ritualmord an einem Christenkind planten und dessen | |
Blut im Keller ihres Hauses zu Matzenbrot verarbeiten wollten. | |
## Jüdische Gemeinde unter Schock | |
Die Antwort auf das parlamentarische Verbot der jüdischen Koscher- und | |
muslimischen Halal-Schlachtungen in Polen ließ nicht lange auf sich warten. | |
Als erstes reagierte der Jüdische Gemeindeverband Polens: „Das Ergebnis der | |
heutigen Abstimmung im Sejm war für uns ein Schock“, schrieben Oberrabbiner | |
Michael Schudrich und der Vorsitzende des Gemeindebundes Piotr Kadlcik in | |
einer gemeinsamen Erklärung. „Es siegte die völlig falsche Vorstellung von | |
einer Schlachtmethode, die grausam, ja sogar absichtlich grausam sei. Diese | |
Vorstellung gewann in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts an | |
Popularität, als unter dem Einfluss der Nazi-Propaganda Länder wie Norwegen | |
und Schweden das Verbot dieser Schlachtmethode einführten.“ Polen sei das | |
einzige EU-Mitgliedsland, in dem es künftig ein solches Verbot gebe, ohne | |
dass dies auf die Nazi-Zeit zurückzuführen sei. | |
In New York publizierte die Antidiffamierungsliga (ADL) ihre harsche Kritik | |
an Polen. „Die Mehrheit der polnischen Abgeordneten lässt der | |
polnisch-jüdischen Gemeinschaft die Wahl zwischen drei Möglichkeiten“, | |
erklärte ADL-Direktor Abraham Foxman. „Praktiziere Deine Religion nicht | |
mehr! Iss kein Fleisch mehr! oder Lebe nicht mehr unter uns!“ Bei dem | |
Verbot handle es sich um eine klaren Verstoß gegen die Religionsfreiheit | |
und einen Schlag gegen die Zukunft der Juden in Polen. | |
Zudem basiere das Urteil der Abgeordneten auf der Behauptung, dass ein | |
einziger Schnitt durch die Speise- und Luftröhre sowie die Halsschlagader | |
„weniger human“ und für das Tier schmerzhafter sei als die Betäubung durch | |
einen Bolzenschuss in die Stirn des Tieres, durch Elektroschocks oder Gas. | |
Dies sei heuchlerisch und bestätige nur die regelmäßigen Umfragen des ADL | |
in Polen. Mit knapp 50 Prozent Befürwortung antisemitischer Stereotypen | |
gebe es in Polen ein über Jahre konstant hohes Niveau des Antisemitismus. | |
Ronald Lauder, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, zeigte sich in | |
einer am Samstag in Brüssel veröffentlichten Stellungnahme „ungeheuer | |
enttäuscht“ über die polnischen Abgeordneten. Lauder, dessen Stiftung sich | |
seit vielen Jahren für den Wiederaufbau jüdischer Gemeinden in Polen und | |
anderen mitteleuropäischen Staaten engagiert, sagte: „Diese Entscheidung | |
ist ein Schlag in das Gesicht von Juden und Muslimen gleichermaßen“. | |
Besonders verstörend sei, dass in der Parlamentsdebatte in Warschau mehrere | |
Abgeordnete das Schächten von Tieren als „fremd in der polnischen Kultur“ | |
bezeichnet hätten. | |
Polnische Abgeordnete, die für das Verbot gestimmt hatten, verwahrten sich | |
gegen die Kritik jüdischer Organisationen. Diese sei „hysterisch und dumm“, | |
meinte etwa Wlodzimierz Czarzasty vom Bündnis der demokratischen Linken. | |
Jaroslaw Kaczynski, der Vorsitzende der nationalkonservativen Recht dund | |
Gerechtigkeit, feierte das Verbot der Religionsfreiheit für Juden und | |
Muslime in Polen: „Gesiegt haben die anständigen Menschen!“ | |
15 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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