# taz.de -- Urteil in Polen: Schächten vorläufig verboten | |
> Polens Verfassungsgericht verwirft die Regelung zur rituellen | |
> Schlachtung. Religionsgemeinschaften und spezialisierte Metzger sind | |
> enttäuscht. | |
Bild: Die rituelle Schlachtung erhitzt auch in Deutschland die Gemüter: Bild v… | |
WARSCHAU taz | Die Stimmung nach dem Verbot ritueller Schlachtungen in | |
Polen ist niedergeschlagen. „Ich war selten so niedergedrückt, wie in den | |
letzten Tagen“, bekennt Piotr Kadlcik, der Vorsitzendes Jüdischen | |
Gemeindebundes in Polen. „Diese hasserfüllte Atmosphäre nimmt einem schier | |
die Luft zum Atmen.“ | |
Dass Polens Verfassungsgericht nun das Schlachten nach jüdischen und | |
muslimischen Vorschriften verboten habe, führt Kadlcik unter anderem auf | |
eine Artikelserie in der ausflussreichen linksliberalen Gazeta Wyborcza | |
zurück. „Von dieser Zeitung hätte ich zuallerletzt eine Kampagne im Stil | |
des Nazi-Hetzblattes ’Der Stürmer’ erwartet“, klagt Kadlcik. | |
Bislang erlaubte eine Verordnung des polnischen Landwirtschaftsministers | |
von 2004 das Schächten von Rindern, wie es die Koscher- und | |
Halal-Vorschriften im Judentum und Islam vorsehen. In Polens | |
Tierschutzgesetz von 1997 ist allerdings festgelegt, dass Tiere nur nach | |
vorherige Betäubung geschlachtet werden dürfen. | |
Nach Beschwerden polnischer Tierschützer, für die die Tötung von Rindern | |
durch einen einzigen Schnitt durch Luft- und Speiseröhre sowie die | |
Halsschlagader und die Nerven zum Gehirn der Tierquälerei gleichkommt, | |
überwies Generalstaatsanwalt Andrzej Seremet den Fall an das | |
Verfassungsgericht Polens. Tatsächlich, so Richter Zbigniew Cieslak, konnte | |
der Landwirtschaftsminister in seiner Verordnung lediglich die | |
verschiedenen Formen der Betäubung regeln. Der Gesetzgeber hatte aber nicht | |
vorgesehen, dass in einer Verordnung auch Ausnahmen vom eigentlichen Gesetz | |
geregelt werden können. | |
Die Verordnung von 2004 sei daher verfassungswidrig, so Richter Cieslak. | |
Zugleich machte er aber auch darauf aufmerksam, dass mit diesem Urteil | |
nicht das Schächten an sich für verfassungswidrig erklärt werde. Es sei | |
vielmehr Aufgabe des Gesetzgebers, also der polnischen Abgeordneten, nun | |
eine Gesetzesnovelle zu verabschieden, die die von der Verfassung | |
geschützte Religionsfreiheit und den Tierschutz in Einklang miteinander | |
brächte. Die Verordnung werde daher erst am 31.12.2012 ungültig. | |
## „Ich weiß nicht, wie es nun weitergehen soll“ | |
Zwar tritt am 1. Januar 2013 eine EU-Regelung in Kraft, die das Schlachten | |
von Tieren nach jüdischem und muslimischen Religionsvorschriften erlaubt, | |
doch ist es jedem EU-Mitgliedsstaat vorbehalten, dieses EU-Recht zu | |
übernehmen oder eine landeseigene Regelung zu finden. Zur Zeit ist Schweden | |
das einzige EU-Mitglied, das das Schächten ausdrücklich verbietet. | |
Außerhalb der EU sind es die Schweiz, Norwegen und Island. | |
„Ich weiß nicht, wie es nun weitergehen soll“, sagt Kadlcik. Die koscher | |
geführten Küchen in den jüdischen Gemeinden könnten natürlich in Zukunft | |
das Fleisch aus dem Ausland importieren, aber es gehe ja nicht um ein paar | |
Kilo Fleisch pro Tag für die kleinen Gemeinden. | |
„Es geht ums Prinzip. Denn das Urteil 'Schächten ist grausam' ist schnell | |
gefällt, dabei zeigen Forschungen, dass die eigentlichen Schmerzen und der | |
Todesstress der Tiere bei der angeblich so humanen Betäubung vor der | |
Schlachtung entstehen.“ In Polen sind zu diesem Zweck Bolzenschuss, | |
Elektroschock und CO2 erlaubt. Im einen Fall röcheln sich die Tiere fast zu | |
Tode, im anderen verlieren sie vor Schmerz das Bewusstsein. | |
Betroffen von dem Urteil sind in Polen nicht nur die kleinen jüdischen und | |
muslimischen Gemeinden, sondern auch etliche Schlachtbetriebe, die sich auf | |
den Export von rituell geschlachtetem Fleisch spezialisiert haben: 17 von | |
insgesamt 801 Rinderschlachthöfen und 12 von insgesamt 194 | |
Geflügel-Schlachtereien. | |
Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts triumphierte die Gazeta Wyborcza. | |
Ihre Kampagne gegen das Schlachten nach jüdischen und muslimischen | |
Religionsvorschriften war aufgegangen. Angesichts des „guten Geldes“, das | |
die rituellen Schlächter in den letzten acht Jahren verdient hätten, sei | |
das „Gerede“ vom Recht religiöser Minderheiten auf freie Religionsausübung | |
„blanker Unsinn“. | |
29 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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