| # taz.de -- Interview zum islamischen Opferfest: "Schlachten ist immer unangene… | |
| > Ums Schächten, die rituelle Schlachtung unbetäubter Tiere, wird | |
| > leidenschaftlich gestritten. Aber zum Kulturkampf um religiöse Werte | |
| > taugt es nicht, so der Tierarzt und SPD-Politiker Wilhelm Priesmeier. | |
| Bild: Schafe machen nicht so viele Abwehrbewegungen. | |
| taz: Herr Priesmeier, am Mittwoch ist das islamische Opferfest. Wie viel | |
| Schächtungen werden dafür in Deutschland durchgeführt? | |
| Wilhelm Priesmeier: Genaue Zahlen gibt es nicht. Die Öffentlichkeit geht | |
| aber oft von zu hohen Zahlen aus, denn die Muslime akzeptieren weitgehend | |
| eine Elektrokurzzeitbetäubung - und dann ist es keine unbetäubte Schächtung | |
| mehr. Ein großer Teil des Fleisches, das am Opferfest konsumiert wird, ist | |
| außerdem Importware. Es kommt hauptsächlich aus Belgien. | |
| Was ist denn wichtiger, Religionsfreiheit oder Tierschutz? | |
| Das ist die Kernfrage. Nachdem der Tierschutz als Staatsziel in der | |
| Verfassung aufgenommen wurde, haben wir eine neue rechtliche Situation. | |
| Allerdings wird die Religionsfreiheit von dem Grundgesetz höher bewertet, | |
| eine Einschätzung, die wir noch aus der alten Weimarer Verfassung | |
| übernommen haben. Das Verfassungsgericht hat ja geurteilt, dass niemand | |
| gezwungen werden darf, seine Religionszugehörigkeit offenbaren zu müssen. | |
| So wird es schwierig, wenn ein Betroffener darlegen muss, dass ein | |
| bestimmtes Ritual Teil seines Glaubens ist. | |
| Alles also nur eine Glaubenssache? | |
| Der Christdemokrat Peter Jahr hat mit christlichen Grundsätzen | |
| argumentiert. Dies finde ich untauglich. Damit gehe ich aufs Glatteis und | |
| rutsche sofort aus. | |
| Der Kampf der Kulturen findet also auch im Schlachthof statt? | |
| Nicht nur. Das Thema hat auch etwas mit der deutschen Geschichte zu tun. | |
| Wir haben eine Expertenrunde veranstaltet. Der anwesende Rabbi hat gefragt: | |
| "Wissen Sie, welches Gesetz als erstes 1933 gegen die Juden erlassen wurde? | |
| Das war das Schächtverbot." | |
| In einem neuen Gesetzentwurf wird gefordert, dass nachzuweisen sei, dass | |
| beim Schächten die Tiere keinen unangemessenen Schmerz empfingen. Ist so | |
| ein Nachweis überhaupt möglich? | |
| Ja. Aber dieses Gesetz würde dazu führen, dass das Schächten in Deutschland | |
| nicht mehr erlaubt ist. Denn natürlich ist das Schächten sehr wohl mit | |
| erheblichen Schmerzen verbunden. Wenn bei einem Rind der Schächtvorgang | |
| optimal abläuft, vergehen mindestens 10 bis 15 Sekunden, bis das Tier das | |
| Bewusstsein verliert. In Einzelfällen kann es bis zu zwei Minuten dauern. | |
| Bei Schafen ist das noch eher ein beherrschbarer Vorgang. Sie müssen | |
| weniger Gewebe durchtrennen um diesen Schächtschnitt zu führen. Die Schafe | |
| machen auch nicht so viele Abwehrbewegungen. | |
| Das Schaf ist schneller tot als das Rind? | |
| Entscheidend ist, dass ein Bewusstseinsverlust eintritt. Zum | |
| Bewusstseinsverlust führt massiver Blutverlust. Wenn Sie ein Großtier | |
| schächten, sieht das ganz anders aus als bei einem Schaf. Das Volumen, das | |
| aus dem Tierkörper entbluten muss, ist erheblich. Wenn es zu Verklebungen | |
| an großen Gefäßen kommt, verlangsamt sich der Blutverlust. Niemand kann | |
| also wissenschaftlich belegen, dass Schächten mit genauso wenig Schmerz | |
| verbunden ist wie bei einer Schlachtung mit Betäubung. | |
| Christliches Schlachten ist tierfreundlicher? | |
| Bei der normalen Elektrobetäubung setzt der Bewusstseinsverlust innerhalb | |
| von Bruchteilen von Sekunden ein. Wenn Sie einen Bolzen zur Betäubung | |
| verwenden, sieht das genauso aus. Durch die schwere Traumatisierung | |
| verliert das Tier sofort sein Bewusstsein. Die Betäubungsverfahren wurden | |
| ja auch wissenschaftlich weiterentwickelt. Früher hat man auf den | |
| Schlachthöfen eine große Spitzhacke genommen, hat sich vor das Tier | |
| gestellt nachdem der Kopf fixiert war, und hat einfach zugeschlagen. Das | |
| hat normalerweise den gleichen Effekt wie beim Bolzenschuss. Man trifft nur | |
| nicht immer genau. Heute hat man das Verfahren perfektioniert. Die Schweine | |
| fahren heutzutage im Paternoster ins CO2, das sie vor der Schlachtung | |
| betäubt. | |
| Das klingt auch nicht sehr tierfreundlich. | |
| Das kommt darauf an, aus welchen Erfahrungszusammenhängen man kommt. Wenn | |
| Sie einen Landwirt fragen, der seit seiner Kindheit den Umgang mit Tieren | |
| kennt, dann sieht der das anders als jemand, der in der Stadt wohnt und | |
| eine Katze oder einen Hund in der Wohnung hat. Der Mensch hat sich ja | |
| weitestgehend von der Produktion seiner Lebensmittel entfremdet. Schlachten | |
| ist immer unangenehm. Als Kind war ich selbstverständlich dabei, wenn | |
| Hühner geschlachtet wurden. Das war nicht schön, aber notwendig. | |
| Gibt es bei der Diskussion ums Schächten braune Trittbrettfahrer? | |
| Ja. Damit hätte ich in dem Umfang gar nicht gerechnet. Ich habe Briefe | |
| bekommen, in denen stand, dass die Muslime und die Juden böse Leute sind. | |
| Ich fürchte, dass sich rechtsextreme Kreise der Diskussion bemächtigen | |
| wollen. | |
| INTERVIEW: LUTZ DEBUS | |
| 18 Dec 2007 | |
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