# taz.de -- Tierschutz gegen Religionsfreiheit: Die Sache mit dem Kehlenschnitt | |
> In Jork muss ein muslimischer Metzger Strafe zahlen, weil er Schafe ohne | |
> Betäubung geschächtet hat. Kein Einzelfall, sagen Tierschützer. | |
> Befürworter des Schächtens berufen sich dagegen auf wissenschaftliche | |
> Studien. | |
Bild: Unter Muslimen und Tierschützern ein großes Thema: das Schächten. | |
HAMBURG taz | Der Mann, der das Blutbad gesehen hat, sitzt in in einem | |
Hotelzimmer. Neben sich eine Tierärztin und einen Anwalt mit Lesebrille. | |
"Sehr routiniert" seien die Männer in dem muslimischen Schlachthof | |
vorgegangen, berichtet er, dabei sei noch nicht mal Opferfest gewesen. Er | |
habe das Gefühl gehabt, was er da sah, "war das Tagesgeschäft". | |
Bei seinem Besuch in der Schlachterei hat der Mann ein Video gedreht, | |
heimlich, mit der Kamera unter der Jacke. "Entschuldigen Sie die | |
Bildqualität", sagt er. Im Video ist ein Schlachter mit einer Schürze zu | |
sehen, er zerrt ein Schaf am Hinterbein in einen Raum, in dem in einer | |
riesigen Blutlache schon andere tote Schafe liegen. "Schafe sind ja Tiere, | |
die nicht durch Lautäußerungen ihren Schmerz ausdrücken", sagt die | |
Tierärztin. | |
Der Schlachter, dessen Gesicht im Video unkenntlich gemacht worden ist, | |
legt das Tier auf den Rücken und schneidet ihm mit schnellen Bewegungen den | |
Hals durch, das Tier zappelt mit den Beinen. "Das Schaf unternimmt Aufsteh- | |
und Fluchtversuche", sagt die Tierärztin, während sie auf die Leinwand | |
schaut. Ihre Hände sind gefaltet. "Wenn man den Kopf halten würde, würde | |
früher ein Bewusstseinsverlust eintreten", aber der Schlachter im Video | |
klemmt das Tier nur fest. Vermutlich, sagt die Tierärztin, ersticke es am | |
eigenen Blut. | |
Das Video hätte an diesem Morgen vor dem Amtsgericht Buxtehude laufen | |
sollen, wo ein Prozess gegen den Schlachter aus dem Video angesetzt war. | |
Doch der Prozess fällt aus. Der Schlachter hat seinen Widerspruch gegen den | |
Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Stade zurückgezogen. 1.500 Euro wird er | |
selbst zahlen, 2.500 Euro sein Chef: Verstoß gegen das Tierschutzgesetz. | |
Das Schlachten ohne Betäubung ist in Deutschland verboten, wer es aus | |
religiösen Gründen doch glaubt tun zu müssen, braucht eine | |
Ausnahmegenehmigung. Das ist die Gesetzeslage, doch nicht alle halten sich | |
dran. Deshalb sind die Tierschützer hier, deswegen haben sie ins Hotel | |
geladen, nur wenige Minuten vom Amtsgericht entfernt. | |
"Die Strafbefehle können nicht das letzte Wort sein", sagt der Anwalt mit | |
dem Aktenordner, er heißt Hans-Georg Kluge, ist stellvertretender | |
Vorsitzender der Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz. Kluge möchte die | |
Amtsveterinärin des Kreises Stade belangt sehen: Die habe gewusst, was vor | |
sich ging, und nichts unternommen. | |
Um seine Vorwürfe zu belegen, hat Kluge Zeugen geladen, die von einem | |
Besuch in derselben Schlachterei Jahre zuvor berichten. Auch da sei | |
betäubungslos geschlachtet worden, man habe die Amtsveterinärin angerufen | |
und es ihr gesagt. Sie müsse es also gewusst haben. | |
Es ist ein Verfahren ohne Angeklagte und ohne Richter, das in diesem | |
Hotelzimmer abläuft. Zeugen werden gezählt, es wird empört gemurmelt, Köpfe | |
werden geschüttelt. Der Kampf sei aussichtslos, sagt der Mann, der das | |
Video gedreht hat: Die Staatsanwaltschaft stütze sich bei ihren | |
Ermittlungen auf das Veterinäramt, und das schaue weg. | |
Na na, sagt Anwalt Kluge da, noch sei nicht aller Tage Abend, man könne | |
sich noch an die Generalstaatsanwaltschaft in Celle wenden. Kluge war mal | |
Staatssekretär für Justiz in Brandenburg, beim Prozessieren für den | |
Tierschutz kennt er sich aus. Er vertrat den hessischen Lahn-Dill-Kreis, | |
als ein muslimischer Schlachter eine dauerhafte Ausnahmegenehmigung | |
beantragte: Seine Kunden dürften nur Fleisch von Tieren essen, die ohne | |
Betäubung geschlachtet wurden. Das gebiete ihr Glaube. Der Fall ging bis | |
vors Bundesverwaltungsgericht - Kluge verlor. | |
Die Front, die sich hier auftut, verläuft zwischen Tierschützern und | |
Muslimen. Im November erst protestierte der "Arbeitskreis für humanen | |
Tierschutz" mit einer Kunstblut-Aktion vor einer Berliner Moschee. Ein | |
Aktivist hatte sich dazu als "gläubiger Muslim" verkleidet, von einem | |
Tonband wurden die Schreie von Tieren abgespielt. | |
"Bei diesem tabuisierten Bereich des Tierschutzes weicht die | |
Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit stets erst dann einem empörten | |
Gejaule", heißt es dazu auf der Website des Vereins, "wenn orientalische | |
Polit-Terroristen nicht mehr Schafen und Rindern, sondern westlichen | |
Geiseln die Kehle durchschneiden." | |
Auf der Gegenseite sind die Stimmen nicht weniger schrill. Der | |
radikalislamische Prediger Pierre Vogel hat auf Youtube ein Video laufen, | |
in dem er einen Nazi-Propagandafilm gegen das Schächten zeigt. Das Messer | |
führt darin ein Rabbiner, minutenlang liegt das Rind auf dem Boden, es | |
röchelt, verdreht die Augen, hebt immer wieder den Kopf, die Zunge hängt | |
heraus. "Angeblich gebietet den Juden ihre sogenannte Religion, nur | |
geschächtetes Fleisch zu essen", heißt es dazu im zeitgenössischen | |
NS-Kommentar. "Diese Grausamkeit bezeichnen die Juden selbst zur Täuschung | |
harmloser Nichtjuden als die humanste Schlachtart." | |
Die Nazi-Propaganda benutzt Vogel, um selbst Propaganda zu machen: Das | |
Schächten, erklärt er in dem Video, sehe zwar grausam aus. In Wirklichkeit | |
seien die Tiere jedoch wegen des Blutverlusts sofort ohne Bewusstsein, die | |
Zuckungen danach seien "die Nerven". | |
Die Muslime, die das betäubungslose Schächten für geboten halten, weil der | |
Prophet Mohammed es vorgemacht habe, berufen sich gern auf einen | |
wissenschaftlichen Kronzeugen: den ehemaligen Präsidenten der | |
Tierärztlichen Hochschule Hannover, Wilhelm Schulze. Der hatte anhand von | |
Messungen der Gehirnströme festgestellt, dass das "Schlachten in Form des | |
Schächtens, richtig vollzogen, bei Kälbern und Schafen schmerzlos" sei. Auf | |
den Entblutungsschnitt selbst erfolge keine Veränderung im Gehirn. Nach | |
zehn Sekunden zeigten sich keine Reaktionen mehr, die Tiere seien | |
bewusstlos. | |
Schulzes Studie, 1977 unter dem Titel "Objektivierung von Schmerz und | |
Bewusstsein im Rahmen der konventionellen und rituellen Schlachtung von | |
Wiederkäuern" erschienen, entlockt heutigen Tierschützern nur noch ein | |
Stöhnen. "Der ist doch von ganz falschen Messkriterien ausgegangen", sagt | |
die Tiermedizinerin Karen von Holleben. Sie arbeitet beim BSI, einem | |
Institut in Schwarzenbek bei Hamburg, das sich für den "schonenden Umgang" | |
mit Schlachttieren einsetzt. Unterstützt wird es von der | |
Erna-Graff-Stiftung. | |
Jahrelang haben Holleben und ihre Kollegen Lobbyarbeit bei Politikern | |
gemacht, sie haben dicke Expertisen erstellt, um klarzumachen, dass | |
Schächten ohne Betäubung eine Qual für die Tiere ist. Die richtige | |
Messgröße, sagt von Holleben, seien die "evozierten Potenziale", und da | |
sehe es beim Schächten doch etwas anders aus als von Schulze behauptet. | |
Schon der Kehlschnitt selbst sei äußerst schmerzhaft. Und sogar, wenn die | |
Tiere das Bewusstsein verlören, könne es sein, dass der Kreislauf | |
gegenreguliere, die Gefäße sich verengten - und das Bewusstsein | |
zurückkehre. | |
Die Bundestierärztekammer hat sich dieser dem Schächten gegenüber | |
kritischen Haltung angeschlossen, und die muslimische Community hat darauf | |
reagiert. "In dem Restaurant in unserer Moschee verkaufen wir nur noch | |
Fleisch von Tieren, die betäubt worden sind", sagt Ramazan Uçar, der Imam | |
der Hamburger Centrum-Moschee, zugleich Vorsitzender des Bündnisses der | |
islamischen Gemeinden in Norddeutschland. | |
Zusammen mit dem Islamrat hat Uçars Bündnis ein "Europäisches | |
Halal-Zertifizierungsinstitut" gegründet, das ein Siegel für solches | |
Fleisch verleiht, das den islamischen Vorschriften genügt. Neben | |
islamischen Selbstverständlichkeiten - etwa die Pflicht, vor der | |
Schlachtung den Namen Allahs anzurufen -, steht dort unter Punkt 5.1.4, es | |
seien "Betäubungsmethoden" anzuwenden, "die die Tiere vor Schmerzen und | |
Leiden bei der Schlachtung schützen". | |
Uçar gibt aber zu, dass die Meinungen zum Schächten innerhalb der | |
muslimischen Community auseinandergehen. "Es gibt welche, die sagen: Ich | |
esse kein betäubtes Fleisch", erklärt er. Unter Muslimen sei das ein | |
"großes Thema". | |
23 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Daniel Wiese | |
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