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# taz.de -- Jonathan Meese vor Gericht: Selbst schuld, wer’s ernst nimmt
> Ein Kasseler Gericht will's wissen: Hat der Künstler Jonathan Meese
> „Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ verwendet?
Bild: In Mannheimes Nationaltheater darf der Arm hochgehen, in einem Kasseler S…
„Stress ohne Grund“ heißt der aktuelle Bushido-Song, der – wegen der
Todesdrohungen an die Adresse von Claudia Roth oder der
Vergewaltigungsfantasien über Berlins schwulen Regierenden Bürgermeister
Klaus Wowereit – für einigen Stress sorgt. Besonders ist das offenbar beim
Grünen-Politiker Volker Beck der Fall, der sich empört, Bushido handele aus
„purer Lust an der Provokation“.
Ja, Herr Beck, das ist sehr wahrscheinlich. Ob er dagegen provozieren muss,
wie Sie meinen, weil er angeblich „künstlerisch nicht so viel draufhat“,
ist nicht so leicht zu sagen. Auch die Annahme, dass Abgeordnete, die
politisch nicht so viel draufhaben, gerne dies und das verbieten – Rauchen,
böse Wörter, Hunde oder Bushido –, ist nicht wirklich belegt.
Belegt dagegen ist eine weitere Provokation des guten Geschmacks und des
politisch korrekten Benehmens, über die am Donnerstag vor Gericht
verhandelt wird. In einer Veranstaltung der Universität Kassel im
vergangenen Jahr machte der Berliner Künstler Jonathan Meese das Publikum
mit seiner Idee von der Diktatur der Kunst bekannt und erklärt, er stehe
gerne vor geilen Sachen stramm und mache dann auch mal „diesen hier“,
nämlich den Hitlergruß. So laufe er auch durch sein Atelier, das mache „den
Körper auf“.
## Keine Kunst ohne Provokation
Die Staatsanwaltschaft der documenta-Stadt konnte sich darauf keinen
rechten Reim machen und machte deshalb eine rechte Sache daraus. Sie
erkannte ein Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen,
auf das eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine entsprechende
Geldstrafe steht.
Ja, das darf man mit Berechtigung sagen, auch Jonathan Meese handelt aus
der puren Lust an der Provokation. Die reine Provokation ist nämlich nach
seiner Auffassung ein wesentliches Anliegen der Kunst, die sowieso alles in
Frage zu stellen habe. Das gilt natürlich auch für den heute beginnenden
Prozess. Vor dem ihm deshalb wahrscheinlich weniger bange ist als der
Staatsanwaltschaft. Denn er weiß: „Was ich auf der Bühne und im Namen der
Kunst mache, ist durch die Kunstfreiheit im Grundgesetz gedeckt.“
Schließlich, so fährt er im Spiegel-Interview fort, habe er nicht in der
U-Bahn den Hitlergruß gemacht oder die Abschaffung der Demokratie
gefordert. „Habe ich nie getan, werde ich nie tun. Man muss strikt trennen
zwischen der Bühnenperson Jonathan Meese und dem mickrigen Privatmenschen
Jonathan Meese.“ Dieser mickrige Privatmensch Jonathan Meese ist einer der
liebenswürdigsten Menschen, die man sich vorstellen kann. Und auch seine
Fantasie von einer Diktatur der Kunst, wo man auf den Prof. Dr. Erzchefarzt
und sicher bald auch seine Exzellenz den Herrn Erzstaatsanwalt treffen
kann, hat ihren eigenen, manchmal etwas langfädigen, redundanten Charme.
## Der altmodische Charme paradoxer Intervention
Den altmodischen Charme der Provokation eben, der paradoxen Intervention
und der Auffassung, Kunst müsse immer gegen das herrschende System sein.
Deshalb der Kunst gleich den Prozess zu machen, wo nichts weniger gültig
ist im heutigen Kunstbetrieb, als letztere Annahme, erscheint rätselhaft.
Wie überhaupt der ganze Prozess rätselhaft erscheint. Um den Hitlergruß
kann es nicht wirklich gehen. Im Raum der Bühne ist das Hakenkreuz ein
künstlerisches und kein verfassungswidriges Symbol, und das Gleiche gilt
für den Hitlergruß während einer Performance.
Irgendwie scheint es, als gerate jetzt auch schon die Kunst in die Mühlen
des heutigen Sicherheits- und Terrorwahns. Und dadurch ist dann diese
Aussage von Jonathan Meese zweifellos systemwidrig: „Das ist doch das
Schöne, dass man in der Kunst alles auf die Spitze treiben kann. Im
Mannheimer Nationaltheater habe ich es kürzlich völlig überzogen. Ich stand
mit einer Maske auf der Bühne, mit einer Lederjacke und Narrenbrille, und
ich habe Oralsex mit einem Alien angedeutet. Wer das ernst nimmt, muss
völlig wahnsinnig sein!“ Wozu es nichts hinzuzufügen gibt. Bloß keinen
Stress ohne Grund!
17 Jul 2013
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
Hitlergruß
Kunstfreiheit
Jonathan Meese
Adolf Hitler
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Luxemburg
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Richard Wagner
Martin Kippenberger
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