# taz.de -- Kräftemessen in Ägypten: Zehn Stunden Straßenkampf | |
> Erneut demonstrieren Hunderttausende. In Alexandria kommt es zu einer | |
> tödlichen Straßenschlacht. Was sich in Kairo ereignete, bleibt zunächst | |
> unklar. | |
Bild: Anhänger Mursis vor der Kairo-Universität. | |
ALEXANDRIA taz | Die Strandpromenade gleicht einem Schlachtfeld, als am | |
Samstagmorgen die ersten Sonnenstrahlen Alexandria erhellen. Steine und | |
zersplitterte Glasflaschen bedecken den Asphalt. Vor der | |
Qaid-Ibrahim-Moschee liegen ausgebrannte Autowracks, auch eine Palme hat | |
Feuer gefangen. | |
Zehn Stunden lang, bis tief in die Nacht hinein, lieferten sich Anhänger | |
und Gegner des Anfang Juni vom ägyptischen Militär entmachteten Präsidenten | |
Mohammed Mursi eine erbitterte Straßenschlacht. Mindestens sieben Menschen | |
kamen in Alexandria offiziellen Angaben zufolge ums Leben. | |
Auch in Kairo und anderen Städten Ägyptens kam es zu gewaltsamen | |
Zusammenstößen. Der Nachrichtensender al-Dschasira berichtete von | |
mindestens 16 getöteten Mursi-Anhängern, von denen ein Großteil im Kairoer | |
Randbezirk Nasr City erschossen worden sein soll. Was sich dort genau | |
ereignete, ist bislang jedoch unklar. | |
Die amtliche Nachrichtenagentur Mena berichtete, die Polizei habe auf der | |
Straße zum Kairoer Flughafen im Morgengrauen Tränengas auf steinewerfende | |
Demonstranten gefeuert. Es seien Schrotgewehre abgefeuert worden, doch sei | |
unklar, wer dafür verantwortlich sei. Ein Anführer der Muslimbruderschaft, | |
Murad Mohammed Ali, erklärte dagegen, die Polizei habe mit scharfer | |
Munition auf die Demonstranten geschossen. Mehr als 600 Menschen seien | |
verletzt worden. | |
Hunderttausende Gegner Mursis folgten am Freitag dem Aufruf der | |
Militärführung, auf die Straße zu gehen. Armeechef Abdel Fattah al-Sisi | |
hatte die Ägypter zwei Tage zuvor aufgefordert, in „Millionenzahl“ zu | |
demonstrieren. Das Volk sollte den Sicherheitskräften das Mandat erteilen, | |
es vor „Gewalt und Terrorismus“ zu schützen. | |
Aber auch die Muslimbruderschaft mobilisierte wieder ihre Anhänger. Die | |
Aufforderung al-Sisis wertete sie als „offenkundigen Aufruf zum | |
Bürgerkrieg“. Sie sei ein eindeutiger Beweis, dass nun der Armeechef und | |
nicht die von ihm eingesetzte zivile Übergangsregierung im Land das Sagen | |
habe. | |
## Geduld am Ende | |
Bis zum Fastenbrechen bei Sonnenuntergang wollte an diesem Freitag niemand | |
warten. Schon am frühen Freitagnachmittag versammelten sich die Menschen, | |
um für oder gegen das Militär zu demonstrieren. „Das Volk will die | |
Hinrichtung der Muslimbrüder“, riefen einige Mursi-Gegner ihren | |
Kontrahenten entgegen, die sich vor der Qaid-Ibrahim-Moschee in Alexandria | |
versammelt hatten. | |
Wenig später fliegen die ersten Steine. Junge Männer mit Knüppeln, | |
Schwertern und Säbeln eilen heran, einige wenige tragen Schusswaffen. | |
Autorikschas liefern säckeweise leere Flaschen und Nachschub an Steinen. | |
Von einer überdachten Parkbank reißen Männer die Ziegel herunter, um sie | |
ihren Gegnern entgegenzuschleudern. Die Sicherheitskräfte sind präsent, | |
feuern hier und da Tränengas in die Menge, schauen größtenteils aber nur | |
zu. | |
Trotz der Gewalteskalation blieben die Proteste vielerorts friedlich. In | |
Kairo strömten die Menschen in Hunderttausenden auf den Tahrirplatz. Die | |
Anhänger Mursis versammelten sich in Massen in Nasr City. Die | |
Millionengrenze erreichten die Teilnehmerzahlen trotz der eindringlichen | |
Aufrufe beider Seiten allerdings wohl nicht. | |
Unterdessen scheint die Geduld der Armeeführung mit den Mursi-Anhängern am | |
Ende zu sein. Der nach Mursis Sturz vom Militär eingesetzte Innenminister | |
Mohammed Ibrahim kündigte an, die dauerhaften Protestcamps in Kairo zu | |
räumen. | |
Seit Wochen demonstrieren die Mursi-Anhänger rund um die Uhr in Nasr City | |
und vor der Kairo-Universität. Sollten die Sicherheitskräfte die Camps | |
tatsächlich auflösen, sind gewaltsame Auseinandersetzungen vorprogrammiert. | |
## Mursi-Gegner uneins | |
Im Vorfeld der Massenproteste war es erstmals zu deutlichen | |
Meinungsunterschieden innerhalb des Anti-Mursi-Lagers gekommen. Zwar hatte | |
ein Großteil der Mursi-Gegner den Aufruf al-Sisis unterstützt, doch gab es | |
auch kritische Stimmen. | |
Sowohl die Jugendbewegung des 6. April, die maßgeblich am Sturz des | |
Diktators Husni Mubarak 2011 beteiligt war, sowie die einflussreiche | |
salafistische Nour-Partei schlossen sich dem Protestaufruf nicht an. Die | |
Armee brauche keine Genehmigung des Volkes, um Terrorismus zu bekämpfen, | |
erklärten beide unabhängig voneinander. In einer Mitteilung der | |
Nour-Partei, die die Entmachtung Mursis und seiner Muslimbruderschaft | |
unterstützt hatte, hieß es, Mobilisierung und Gegenmobilisierung seien ein | |
Vorgeschmack auf einen Bürgerkrieg. | |
Vor einem solchen warnt auch der deutsche Außenpolitiker Ruprecht Polenz | |
(CDU). Der Machtkampf zwischen Gegnern und Anhängern Mursis drohe zu einem | |
Bürgerkrieg zu eskalieren, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen | |
Ausschusses im Bundestag der Passauer Neuen Presse vom Samstag. Derzeit | |
seien die politischen Kräfte in Kairo nicht kompromissbereit. „Solange sich | |
das nicht ändert, besteht die Gefahr von gewaltsamen Auseinandersetzungen | |
bis hin zum Bürgerkrieg“, warnte Polenz. | |
Andere Beobachter halten einen Bürgerkrieg dagegen für unwahrscheinlich. | |
Die Ägypter sind weder entlang konfessioneller Linien gespalten, noch | |
finden sich in dem Land schwer bewaffnete, kampferprobte Milizen. Einen | |
offenen Krieg mit der Armee könnten radikale Anhänger der Islamisten nicht | |
führen. Auf eine Spaltung der Armee weist nichts hin. Zudem finden sich in | |
vielen ägyptischen Familien sowohl Gegner als auch Anhänger der | |
Muslimbrüder, was die Wahrscheinlichkeit eines Bürgerkriegs sinken lässt. | |
27 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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