# taz.de -- Wiener Festival „ImpulsTanz“: Tanz mit dem Vorschlaghammer | |
> Reduzierte Bildsprache: Die Choreografen Akram Khan und Mathilde Monnier | |
> nutzen Elemente des Cartoons, um die Körpersprache zu erweitern. | |
Bild: Gewollt selbstbezüglich: das Tanzprojekt von Mathilde Monnier. | |
Der Schweiß glänzt auf dem nackten Oberkörper und die Gelenke schmerzen mit | |
der Zeit. Davon zeugt jedenfalls eine kaum merkliche, wegwerfende Bewegung | |
mit der rechten Hand. Dann holt Akram Khan wieder aus und lässt den | |
Vorschlaghammer beidhändig von hinten über den Kopf hinweg auf den | |
Bühnenboden krachen. Der harte Metallklang würde wohl auch ohne Tonabnehmer | |
in der Aufschlagfläche noch den letzten Logenschläfer im Wiener Burgtheater | |
wieder in die Mitte seines Daseins zurückrufen. | |
Die Arbeit des Tänzers ist für diesen Moment einmal nicht in der | |
scheinbaren Leichtigkeit einer virtuosen Form verborgen, auch wenn Akram | |
Khan in seinem Solostück „Desh“ über gut 80 Minuten mit der virtuosen | |
Formierung seines Körpers nicht gerade geizt. Die Arbeit des Tänzers ist | |
vielmehr das Thema des ganzen Stücks. Genauer das bislang akkumulierte | |
Lebensarbeitspensum, das den Tänzer oder den Choreografen erst als solchen | |
hervorbringt. | |
„Desh“ ist nicht nur die autobiografische Rückschau des britischen | |
Choreografen mit Wurzeln in Bangladesch oder die zarte Hommage an sein | |
Herkunftsland, sondern auch die Selbstanalyse des tänzerischen Vermögens | |
mit den Mitteln des Tanzes. | |
Khan sucht immer wieder Formen, die die Spuren der materiellen | |
Wirklichkeit, der sie abgerungen sind, in sich aufnehmen. Das gelingt ihm | |
nicht zuletzt dadurch, dass er den tanzenden Körper auf verblüffende Weise | |
mit Bildern in Verbindung bringt. Ein paar Farbstriche auf dem kahlen Kopf | |
lassen den eigenen Körper zum Figurentheater werden, in dem Khan seine | |
Kindheits- und Familiengeschichte wie in einem Stegreifspiel zuspitzt. | |
## Der leidvolle Kampf um Unabhängigkeit | |
Tim Yip, sein Szenenbildner, fasst die politische Geschichte Bangladeschs | |
in wenigen Skizzen zusammen, mit denen Khan den leidvollen Kampf um die | |
Unabhängigkeit des Landes und den Kampf ums Überleben seiner Bewohner noch | |
einmal zum Tanzen bringen kann. | |
Eine sehr poetische Sequenz entführt den Körper in mythologische Gefilde – | |
er wandelt dann in einem Bild, das auf einen halbdurchlässigen Vorhang vor | |
der Bühne projiziert wird. Die reduzierte Bildsprache, die Khan und Yip | |
gefunden haben, ist einfach, aber nie kitschig. | |
Sie provoziert das Schauen weit mehr als dass sie eine abgeschlossene Sicht | |
von der Welt abgibt. Akram Khan gelingt in dieser Verbindung, dem Tanz | |
Formen des Erzählens nutzbar zu machen, in denen der Tanz nicht als bloße | |
Illustration hinter das Erzählte zurücktritt. | |
## Kultur der Selbstermächtigung | |
Das kulturübergreifende Verständigungspotenzial der reduzierten Bildsprache | |
der Cartoons versucht auch die französische Choreografin Mathilde Monnier | |
für ihre Arbeit produktiv zu machen. Ihre in Wien uraufgeführte Arbeit | |
„Qu’est-ce qui nous arrive?!? – „Was ist los mit uns?!?“ entwirft sich | |
zunächst als ein Stück kultureller Selbstermächtigung. Sie bringt 21 junge | |
Erwachsene im Wiener Odeon auf die Bühne, die sie wenige Wochen zuvor in | |
Wien ausdrücklich als Nichttänzer gecastet hatte. | |
Einzeln wie im Ensemble treten sie auf offener Bühne vor, tanzen und singen | |
manchmal auch, durchaus mit Vorbildung und Vorbildern, erzählen Geschichten | |
in der Ich-Form, von Kindheits-, Jugend- und Körpererfahrungen. | |
Es ist die Recherche nach den ganz eigenen individuellen Wahrnehmungen, die | |
die Sprecher in der Rückschau als Initiationserlebnisse für ihr späteres | |
Tanz- oder Theaterinteresse werten. Monnier versucht auf dieser Basis ein | |
egalitäres Verständnis von Kunstrezeption zu entwickeln und ein | |
Selbstverständnis von RezipientInnen zu vermitteln, das nicht mehr von den | |
bildungsbürgerlichen Gratifikations- und Zulassungsinstanzen reguliert | |
wird. | |
## Reminiszenz an die Geschichte des Festivals | |
„Was ist los mit uns?!?“ ist auch eine schöne Reminiszenz an die | |
dreißigjährige Geschichte des Wiener [1][ImpulsTanz]-Festivals, das neben | |
der Programmierung von Aufführungen immer auch in Kursen und | |
Veranstaltungen Angebote zur körperlichen Selbstermächtigung durch eigene | |
Tanzpraxis gemacht hat. | |
Das rückt die Formen der Partizipation auf der Bühne bei Mathilde Monnier | |
in ein klareres Licht. Die Praxis des Mitmachtheater mag andernorts in | |
Verruf geraten sein, weil man beispielsweise der Perfidie des Abbaus des | |
Sozialen nicht dadurch beikommt, dass man Hartz IV auch noch der Bühne | |
aussetzt. | |
Die Arbeit von Mathilde Monnier bewahrt ihre Integrität dadurch, dass die | |
21 nichtprofessionellen Liebenden des Tanzes ausschließlich für sich | |
sprechen und handeln. Sie sind nicht Mittel anderer Zwecke und nicht Abbild | |
anderer Bilder. | |
## Gewollte Selbstbezüglichkeit | |
Die gewollte Selbstbezüglichkeit dieses Projekts wird nicht zuletzt durch | |
eine zweite Ebene der Darstellung aufrecht gehalten. Der Zeichner François | |
Olislaeger zeichnet parallel zur Aufführung mit einem einfachen | |
Computermalprogramm. | |
Vor seinen projizierten Resultaten agieren die Spieler. In diesem | |
Zusammenspiel scheint sich der Strich des Zeichners zur Geste zu | |
verflüssigen und mit den Gesten der Körper zu interagieren. Die Einfachheit | |
der Technik tötet jeden Ansatz zur Illusion. | |
Der Strich des Zeichners leitet mehr die Vorstellungskraft der | |
ZuseherInnen, als dass er ihnen tatsächlich Bilder vorsetzt. Es sind die | |
Spuren der Blicke, die sich erst im Kopf zusammensetzen. Nicht nur die | |
Simplizität der Technik macht diese theatralische Versuchsanordnung so | |
produktiv. Der Comiczeichnerei scheint die ganze Metaphysik des Tafelbildes | |
vorzugsweise abzugehen. So ist das Bild nach dem Ende aller Bilder | |
mittlerweile im Theater angekommen. | |
29 Jul 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.impulstanz.com/ | |
## AUTOREN | |
Uwe Mattheiss | |
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