# taz.de -- Festival: Beste Grüße aus dem Jenseits | |
> Outnow! ist dieses Jahr ein großer Erfolg – auch, weil die junge | |
> Performer-Generation so dringende Kunst macht: Ein Versuch, TickleMePink | |
> zu verstehen. | |
Bild: Im Wettbewerb um die erfolgreichste innovative Idee: die Sportsfreunde de… | |
Es geht aufs Ende zu, unerbittlich. Eine junge Frau steht auf der Bühne des | |
[1][Schauspielhauses] und sagt: Ninehundred ninety nine. Der Mann, zwei | |
Meter weiter links, sagt: Ninehundred ninety eight. Sie sagt: Ninehundred | |
ninety seven. Er: Ninehundred ninety six. | |
Countdown heißt die Choreografie, die das niederländisch-spanische Duo | |
María Peralta Mittwoch beim [2][Outnow!-Festival] präsentiert hat. Sie | |
läuft ab wie eine Höllenmaschine, tragisch, aber frei jeder Vortäuschung | |
von Sinn. Ab 899 bewegen sich die zwei rückwärts auf jenen Linien, die sie | |
zuvor auf dem Bühnenboden abgeklebt haben. Ihre Ruhe macht das Publikum | |
ganz hibbelig: Man muss doch!, man kann doch nicht!, manche quatschen, | |
andere zählen mit, viele rasen raus, zornig wie Hummeln. Es ist eine | |
Qualität von Kunst – und dieser spröde Tanz ist große Kunst – starke | |
Emotionen zu wecken. Wut gehört dazu. | |
Auch Outnow! nähert sich dem Ende. Es ist ein wundervolles Festival dieses | |
Jahr, so viel steht bereits fest: Bestens aufgegangen ist die Strategie der | |
Schwankhalle, sich dafür mit dem Theater zu verpartnern. Sie hat die | |
Aufmerksamkeit deutlich gesteigert. Wichtiger: Sie lässt das Festival durch | |
die allabendliche kleine Völkerwanderung über die Kaisenbrücke entlang der | |
Weser viel stärker den Stadtraum besetzen. Und abgesehen von ein paar nur | |
beflissenen Schauspielaufführungen, deren Präsenz im Programm erstaunlich | |
bleibt, haben die meisten Produktionen etwas zu sagen. | |
Ja, etliche erzeugen eine auf furiose Weise dichte, jenseitige Welt, | |
post-apokalyptisch oder erz-archaisch, egal. Zumal den stilistisch | |
unterschiedlichen Tanz-PerformerInnen gelingt das, María Peraltas | |
Countdown, oder Kitty Grahams sakraler Auferstehung aus einer Kiste voll | |
Erde (taz berichtete), oder am Dienstag der franko-deutschen Konrad Kaniuk | |
Compagnie: Bei „in may days“ hindern drei auf dem baustaubigen Boden im | |
Dunkel liegende Männer einander, sich ins Licht zu robben, schützend – oder | |
wie im Krabbenkorb einer Karriere. Sie fallen sich gegenseitig zur Last und | |
tragen sich auf Armen. Sie zerren einander in den Dreck: Eine auch durch | |
ein extrem kluges Beleuchtungskonzept poetisch aufgeladene, mitunter | |
athletische und hoffnungslose Körper-Erzählung. | |
Hoffnungslos, ja. Aber diese Hoffnungslosigkeit macht Spaß, sie ist sogar | |
witzig – eher lyrisch-verhalten bei Kaniuk, gelegentlich böse beißend und | |
brutal dadaistisch beim niederländischen Urland-Collectief. Dem gelingt es | |
erst, Heiner Müllers oft gespieltes Stück „Quartett“ frappierend neu zu | |
denken, und tags darauf dieses Ereignis mit der göttlichen, in Kooperation | |
mit HouseCryingYellowTears entwickelten Performance TickleMePink – der | |
Titel benennt einen Rosa-Farbton – fast noch zu überbieten. | |
Zur Hoffnungslosigkeit besteht ja aller Grund: Die jetzige junge Generation | |
Europas, und deren Kunst zeigt ja Outnow!, ist wohl die erste in der | |
Geschichte, die sich nicht selbst, rückblickend als verlorene bezeichnet, | |
sondern dieses Etikett gleichsam von ihren Eltern verpasst in dem Moment | |
verpasst bekommt, in dem sie ihren Eintritt in die Welt wagt. Es stand in | |
der Zeitung, die Tagesschau hat es auch schon gemeldet, sie bekommt auf | |
zahllosen Kanälen mitgeteilt, dass sie keine Zukunft hat. | |
Keine Ausbildung, keine Arbeit, und mehr Wärme, als ein Mensch ertragen | |
kann. Darauf angemessen kann Kunst nicht mit der Abbildung der Misere | |
sondern nur mit der Produktion ebenbürtiger Unerträglichkeit antworten. Und | |
es überrascht höchstens, dass die Produktionen, denen das am besten | |
gelingt, ausgerechnet aus den Niederlanden kommen. Ist aber so. | |
„Ich versteh’ das nicht, ich versteh’ das nicht“, murmelt ein Zuschauer… | |
der letzten Schwankhallen-Reihe während TickleMePink, „ich versteh das | |
nicht, ich versteh das nicht“, total verzweifelt: Er muss mit ansehen, wie | |
die vier Urland-Spieler in herrlich jämmerlichen Sporthöschen mit | |
bekloppten Hoodies in Orange, Blau, Grün und Rot verlegen die Bühne | |
betreten, wie sie im Wettbewerb um innovative Ideen darauf verfallen, große | |
Luftballone maschinell aufzublasen, wie sie diese durch Gebläse zum | |
Schweben bringen und dann, die Riesenkugeln vor Bauch und Gesicht tragend, | |
zu Kopffüßlern mutieren, bevor sie genial plumpe Tiermasken überstülpen: | |
Hund, Wolf, zwei Vögel: Von denen beackert der eine mit seinem gelben | |
Pappschnabel wild einen Baumstumpf, der andere, wär’s ein Wiedehopf?, baut, | |
unter seufzendem Kieksen, auf wackligem Gestell ein Nest – man muss doch | |
etwas tun, mit der grenzenlosen Freiheit! | |
Der Hund wird sich deshalb aus einem Gartenschlauch, einem Stativ und einem | |
Kompressor ein Luftgewehr basteln, mit Selbstauslöser. Und wenn’s auch aus | |
dem Neste tönt: „Och nö!“, er macht es wahr. Er schießt sich ab. Mit ein… | |
Farbkartusche. Pink, TickleMe-Pink. Genau auf den Kopf. Und jubelt dann. | |
Denn auch der Selbstmord wäre längst kein Akt des freien Willens mehr. | |
## | |
6 Jun 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.theaterbremen.de | |
[2] http://www.schwankhalle.de/outnow | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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