# taz.de -- Dietmar Daths „Pulsarnacht“: Der Computer im Kopf | |
> Am Ende auch nur Politik: In Dietmar Daths „Pulsarnacht“ entpuppt sich | |
> der kosmische Untergang der Welt als Revolution. | |
Bild: Durch die Dath'sche „Athotür“ kommt man meilenweit. Das hier ist all… | |
In Zukunft muss keiner mehr sterben. Wie lange gelebt werden darf, ist | |
Sache der Privilegien. Körper und Geist stellen kein Hindernis mehr dar auf | |
dem Weg zur Überwindung der Vergänglichkeit. Geld ist sowieso abgeschafft. | |
Die Menschen haben es gut in der Zukunft. | |
Alle Menschen? In Dietmar Daths in jahrtausendeferner Zukunft spielendem | |
Weltraumdiskurspanorama „Pulsarnacht“ wird die Frage danach, was Menschen | |
eigentlich sind, irgendwann unklar. | |
Als Menschen betrachten sich jedenfalls Wesen, die nach Lust und Laune ihr | |
Geschlecht wechseln, dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt die | |
rasche Heilung sämtlicher Körperteile verdanken und die selbst nach einem | |
gewaltsamen Tod geklont werden können – die Erinnerungen und anscheinend | |
auch alle weiteren Angelegenheiten des Ich-Bewusstseins sind auf fest im | |
Hinterkopf installierten Computern, Tlaloks, festgehalten. | |
Wären da nicht diese als primitive Züchtung verachteten Wesen, die Dims – | |
nach dem englischen Wort für „unterbelichtet“ –, die sich als die | |
ursprünglichen Menschen betrachten, statt eingebauten Rechnern aber bloß | |
Tätowierungen auf dem Körper haben. | |
Die Präsidentin der Menschheit, Shavali Castanon, herrscht über ein | |
interstellares Reich, in dem ihre Spezies gemeinsam mit riesigen Echsen, | |
den Custai, hundeähnlichen Binturen oder qualligen Skyphen Handel und | |
Politik treibt und man weitgehend miteinander zurechtkommt. | |
Castanon hat vor langer Zeit einen Gegenspieler gemeinsam mit zwei weiteren | |
Oppositionellen auf ein planetengroßes Lebewesen, eine „Medea“, verbannt. | |
Jetzt sollen die Abtrünnigen begnadigt werden, eine Gesandte der | |
Präsidentin wird geschickt, um sie heimzuholen. | |
Politik, Intrige und enttäuschte Liebe greifen untrennbar ineinander in | |
dieser Erzählung, die sich mehr als einmal in ihren Abschweifungen zu | |
Grundfragen der Physik und Kosmologie zu verlieren droht. Denn eigentlich | |
steht eine kosmische Katastrophe, ein Weltuntergang bzw. das Ende der | |
bekannten Welt bevor – und tritt irgendwann ein. | |
Die Schäden sind vor allem politisch-wirtschaftlicher Natur, selbst wenn | |
zahlreiche Opfer zu beklagen sein werden. Am Ende muss die Präsidentin nach | |
dem Eintreffen des Ereignisses – einer Art kosmische Revolution – abdanken. | |
Bevor es so weit kommt, werden kurz die Aporien des Urknalls erörtert oder | |
topologische Topoi wie die Klein’sche Flasche – ein dem Möbiusband | |
verwandtes Gebilde, bei dem Innen und Außen dasselbe sind – gestreift. | |
Überhaupt die Terminologie: In den ersten Kapiteln könnte man meinen, Dath | |
wolle alle Leser gewaltsam fernhalten, die sich auf neue Welten nicht voll | |
und ganz einlassen mögen, und bombardiert sie mit dem technischen Vokabular | |
seines Zukunftskosmos, in dem man weite Distanzen bequem durch „Ahtotüren“ | |
zurücklegen kann, sich per EPR-Kommunikation verständigt und Gerätschaften | |
aus Marcha bedient. | |
Gemäß dem Ansatz: Ein Universum, das nach anderen Gesetzen funktioniert als | |
den uns bekannten, braucht auch eine Sprache, die sich von der unsrigen | |
klar unterscheidet. | |
Wohin das alles führt, bleibt offen – dazu fehlen eben noch die Begriffe. | |
Als Utopie ist „Pulsarnacht“ daher letztlich zu diffus, es geht zwar ums | |
Prinzipielle, aber doch nur unter anderem. Man fühlt sich eher in einem | |
Steinbruch der angedachten Ideen, aus dem man sich bedienen darf. | |
Wer will, kann die Geschichte sogar vor dem Hintergrund des Prism-Skandals | |
lesen: Die nach dem Aztekengott Tlaloc benannten Computer im Kopf der | |
Menschen machen die eigenen Gedanken nicht nur für den Zugriff anderer | |
durchlässig, manche Programme und Viren können ihre Nutzer sogar physisch | |
zur Strecke bringen, im dümmsten Fall endgültig. So viel Kontrolle über den | |
Einzelnen hat nicht mal die NSA. | |
11 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
## TAGS | |
Dietmar Dath | |
Science-Fiction | |
Schwerpunkt Künstliche Intelligenz | |
Liebe | |
Comic | |
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