| # taz.de -- Die Knigge-Frage: Platz da! | |
| > Es gehört zur guten Erziehung, älteren Menschen seinen Platz anzubieten – | |
| > doch statt Dankbarkeit reagieren viele mit ausgesuchter Zickigkeit. Was | |
| > ist da los? | |
| Bild: Funktioniert auch als Schlagstock, wenn jemand mal nicht aufstehen will. | |
| „Vor einem grauen Haupte sollst Du aufstehen! Ehre das Alter!“, schrieb | |
| Adolph Freiherr von Knigge einst. Dass man schnurstracks seinen Sitzplatz | |
| zu räumen hat, sobald ein älterer Mensch sich nähert, gehört auch heute | |
| noch zur guten Erziehung. Weniger weil die Senioren schon viel erlebt haben | |
| und über einen stählernen Verstand verfügen, sondern weil die Senioren | |
| schon viel erlebt haben und ihr Körper gebrechlich wird. Die Knie, der | |
| Rücken, das Herz. | |
| Also steht man pflichtschuldig auf, wenn die ältere Dame voll bepackt in | |
| die Straßenbahn taumelt. Doch das Lächeln, der dankbare Blick, die Punkte | |
| auf dem Karmakonto – sie bleiben aus. Stattdessen nur ein Satz, anklagend | |
| und vorwurfsvoll: „Sehe ich etwa so alt aus?“ Ehrlich gesagt: ja. Und genau | |
| das ist das Problem. Das Alter will gar nicht mehr geehrt werden. Schlimmer | |
| noch: Das Alter will nicht mehr alt sein. Das Alter hat ein | |
| Identitätsproblem. | |
| Ein Problem haben aber auch die jungen, gemaßregelten Menschen, die in | |
| Folge tumb auf ihrem Platz sitzen bleiben. Hin und wieder, nämlich immer | |
| dann, wenn ausnahmsweise ein Exemplar der alten Schule ihren Platz begehrt, | |
| werden sie unsanft angerempelt, das blöde Pack. Unhöflich bis zum Anschlag! | |
| Woran erkennt man also nun den Unterschied zwischen Möchtergernjugendlichen | |
| und sitzsuchenden Greisen? In den meisten Fällen: gar nicht. Es hilft, sich | |
| den vorauseilenden Gehorsam abzugewöhnen. Nehmen Sie Blickkontakt auf. | |
| Bieten Sie – falls Sie meinen, ein Aufblitzen in den Augen Ihres Gegenübers | |
| gesehen zu haben – Ihren Platz an. Dann können Sie immer noch aufstehen. | |
| Knigge schrieb schließlich auch: „Übrigens aber ist es auch gewiss, daß es | |
| sehr viele alte Gecken und Schöpse gibt, so wie es hie und da weise | |
| Jünglinge gibt.“ | |
| Sie haben eine Benimm-Frage? Mailen Sie an [1][[email protected]] | |
| 18 Aug 2013 | |
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| ## AUTOREN | |
| Franziska Seyboldt | |
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