# taz.de -- Die Knigge-Frage: Wie wehrt man das Du ab? | |
> Einmal nicht aufgepasst, wird man ab-, um- und weggeduzt. Komisch, dass | |
> man ältere Schlipsträger so adressieren soll wie Freunde. | |
Bild: DU hast keine Wahl... | |
In einer Zeit virtueller Nähe und hierarchischer Annäherungen, einer Zeit, | |
in der Seehofer und Gabriel einander „der Horst“ und „der Sigmar“ gewor… | |
sind, verabschieden sich selbst Versicherungen („Hilft dir immer“) und | |
Banken („Die Bank und Du“) vom Sie. Wie soll man in dieser Zeit, mit | |
tränigen Augen auf den Trümmern der letzten Siez-Bastionen stolpernd, noch | |
mit Anstand ein Du ablehnen? | |
„Ich freue mich über das Angebot und die entgegengebrachte Wertschätzung, | |
bitte aber um die Chance, Sie noch besser kennenzulernen“, schlägt | |
Hans-Michael Klein vor, Vorsitzender der Deutschen Knigge-Gesellschaft. Das | |
sagt sich hübsch auf, keine Frage. Aber diese Strategie funktioniert nur in | |
einem begrenztem Rahmen. | |
Man denke sich etwa in ein helles Agenturbüro, Zimmerpflanzen rundherum, | |
die Hand des Geschäftsführers jovial auf der eigenen Schulter, er, | |
dynamisch: „Hi, ich bin Jan, willkommen in unserem Team! Wir können doch Du | |
sagen? Wir duzen uns alle!“ Wohlmeinendes Gekicher ist dem gewiss, der da | |
um Kennenlernchancen bittet. | |
Ich finde es vollkommen unproblematisch, als Vierundzwanzigjähriger geduzt | |
zu werden. Aber doch sonderbar, wenn ich wie damals im Agenturbüro auf | |
einmal einen Schlipsträger, schweinereich, fünfundzwanzig Jahre älter, | |
genauso adressieren soll wie liebe Freunde, meine Familie und halbwegs | |
gleichrangige Kollegen. Das Du ist nur dann angenehm und sinnvoll, wenn | |
sprachliche und reale Hierarchie annähernd deckungsgleich sind. Ein Du von | |
Herzen hingegen lässt sich jederzeit verschmerzen. | |
Die Zeit großer Gesten ist jedenfalls vorbei. „Wollen wir uns duzen?“, | |
einst mit ehrfürchtigem Ernst sehnsüchtig angetragen wie ein Heiratsantrag, | |
ist heute nur noch rhetorische Formel. Einmal nicht aufpasst, wird man | |
wider Willen ab-, ein-, um- und weggeduzt. So wie der tragische Protagonist | |
in einem Max-Goldt-Gedicht, der, nachdem er im Buschwindrosenwäldchen | |
vergeblich die Liebe gesucht hat, ungeduscht, geduzt und ausgebuht in einer | |
überfüllten U-Bahn weh nach Hause fahren muss. | |
## Mut zum Konter | |
Indes zeigen sich Siezerinnen und Siezer total unbeeindruckt: Jeder vierte | |
Deutsche hat nach der Umfrage eines Kaffeeherstellers schon mal ein | |
angebotenes Du abgeschmettert. Eine Heiratsofferte nur jede achte. Gar | |
vierzig Prozent aller über Siebzigjährigen brüstete sich damit, mal einen | |
jungen Duzenden „energisch zurechtgewiesen“ zu haben. | |
Was nun noch nicht die Ausgangsfrage beantwortet. Wie genau macht man’s am | |
besten, wenn einem ein respektvolles Sie besser von den Lippen geht als ein | |
dahingeheucheltes Du? Simples Zutrauen in die Nehmerqualitäten der | |
Voreiligen: Wer munter rumduzt, der wird ein herzliches „Nein, danke“ | |
verkraften. | |
Oder Mut zum Konter. Ehrlich und selbstverständlich, festen Blickes und | |
gebügelten Hemdes, fragen: „Wollen wir uns siezen?“ | |
Haben Sie eine Benimm-Frage? Mailen Sie an [email protected][1][[email protected]] | |
27 Apr 2014 | |
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## AUTOREN | |
Christoph Farkas | |
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