| # taz.de -- Die Knigge-Frage: Der Schutt häuslicher Sorgen | |
| > Über ein Gastgeschenk freut sich jeder. Aber darf man Gästen Wein | |
| > anbieten, den sie selbst mitgebracht haben? In der Ukraine schon. | |
| Bild: Selbst trinken oder verschenken? Beides am besten | |
| Wer sich seinen Kopf über derartiges zermartert, steht seinen Gästen wohl | |
| noch nicht allzu nahe. Da scheint es dann also grundsätzlich hilfreich, | |
| überhaupt zu trinken. Im Alkohol lösen sich sobald die ernsten Gedanken an | |
| den Habitus wohlig auf und man kann sich aufs heitere Näherkommen | |
| konzentrieren. | |
| Schon Adolph Freiherr von Knigge sah im Alkoholkonsum in Gesellschaft ein | |
| probates „Erweckungsmittel“, um „in trüben Augenblicken den natürlichen | |
| guten Humor unter dem Schutte von häuslichen Sorgen hervorzurufen.“ | |
| Nicht nur Humor lässt sich alkoholisch freischaufeln. Der Trinkende erweckt | |
| womöglich sein tieferes Selbst, was ungehemmter mit den anderen tieferen | |
| Selbsten sich verbindet. Hernach aber besteht oft die elegante Möglichkeit, | |
| sich von allzu alkoholseligem Verhalten zu distanzieren. Der Freiherr | |
| übrigens gesteht freimütig, selbst „die wohltätige Würkung dieser | |
| herrlichen Arzenei aus dankbarer Erfahrung“ zu kennen. | |
| Eine eigene Lieblingserfahrung mit der wohltätigen Würkung dieser | |
| herrlichen Arzenei: Im Sommer 2012 fuhr ich im Auto mit zwei Freunden ins | |
| ukrainische Lwiw, zur Fußball-Europameisterschaft. | |
| ## Geistloses Plaste-Event | |
| Wir wohnen bei einer großen Gastfamilie (Oma, Opa, Vater, Mutter, drei | |
| Töchter und alllerhand Tiere) in einem etwas abgelegenen Dorf, durch das | |
| sich eine erdige Straße schlängelt, mit unermesslich tiefen, schwarzen | |
| Schlaglöchern. Auf dem Holperweg zum Haus müssen wir immer wieder Scharen | |
| tobender Hühnern ausweichen, die hier ziemlich autonom zu leben scheinen. | |
| Unsere Gastfamilie umsorgt uns fürstlich. Die liebenswürdige ländliche | |
| Atmosphäre lässt die EM-Spiele in der meganeuen und schon heute kaum noch | |
| genutzten Arena Lwiw als geistloses Plaste-Event erscheinen. | |
| An unserm letzten Abend geben wir der Familie zum bescheidenen Dank | |
| Schokolade und Schnaps, und wollen uns ins Bett vertschüssen, unsere | |
| Abfahrt ist für den nächsten Morgen geplant. Is nich. Binnen Minuten ist | |
| der Tisch in der winzigen Küche mit allerlei Köstlichkeiten aus dem Garten | |
| und kleinen Kristallgläsern gedeckt. Der Vater insistiert darauf, das | |
| alkoholische Geschenk mit uns Gästen zu teilen. | |
| Будьмо, Prost! Mit jedem frischen Einschank wird dermaßen herzlich | |
| angestoßen, als sei es das erste nach langen Jahren leidvollen Durstes. Der | |
| Tisch wird indes stetig mit neuen Herrlichkeiten gefüllt, Ira, die älteste | |
| Tochter dolmetscht wo unser sich mit steigendem Pegel verbesserndes | |
| Russisch versagt. Als der Jägermeister geleert ist holte der Vater, ein | |
| Eisenbahner, nicht ohne stolz den Selbstgebrannten aus dem Schrank, und | |
| dann später noch einen, als wir uns längst in den Armen liegen. | |
| ## Brühe gegen den Kater | |
| Nächster Nachmittag: Die ganze Küche als einziges Grinsen, als wir | |
| hereinschwanken. Mutter hat Brühe gegen den Kater aufgesetzt, die Familie | |
| sich nochmal gänzlich zum Abschied versammelt. Durch das Rückfenster winken | |
| wir ein letztes Mal unseren Freunden, einen letzten Moment Schlaglöcher und | |
| Kopfschmerzen vergessend. | |
| Was ließe sich daraus lernen? Mit Knigge gesprochen: „Man suche bei | |
| Bewirtung eines Fremden oder eines Freundes, weniger Glanz als Ordnung und | |
| guten Willen zu zeigen.“ Und: Man sollte einem Gast, der eine Flasche Wein | |
| als Geschenk mitbringt, von diesem Wein einschenken, früher oder später. | |
| 17 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Christoph Farkas | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| Knigge | |
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