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# taz.de -- Debatte Prozess Bo Xilai: Inszenierte neue Offenheit
> Chinas KP hat ein Interesse daran, sich als modern zu inszenieren. Also
> lässt sie aus dem Gerichtssaal twittern – aber nur das, was ihr in den
> Kram passt.
Bild: Bo Xilai, flankiert von zwei ihn überragenden Justizbeamten.
Erstaunliche Dinge sind bei dem just beendeten Prozess gegen Chinas
früheren linkspopulistischen KP-Star Bo Xilai an an die Öffentlichkeit
gelangt. Auf den ersten Blick passen sie so gar nicht zum Ablauf der
Schauprozesse nach KP-Art, auf den zweiten Blick jedoch sehr wohl.
So widersprach das gestürzte Politbüromitglied nicht nur der offiziellen
Anklage wegen Korruption, Unterschlagung und Amtsmissbrauch. Das Gericht
verbreitete dies sogar selbst täglich per Weibo, der chinesischen
Twitter-Variante.
Dutzende Tweets gab es allein am ersten Tag, später ergänzt um ein
belastendes Videostatement von Bos Ehefrau Gu Kailai sowie inkriminierenden
Fotos von deren mit Schmiergeld bezahlter Villa in Südfrankreich.
Manche Beobachter sind daher voll des Lobes über diese neue Offenheit. Sie
mag tatsächlich größer sein als in früheren Fällen. Doch darf nicht
übersehen werden, dass es im Prozess keine unabhängigen Beobachter gab.
Auch er war durch und durch inszeniert. So entschieden allein die
Machthaber darüber, was nach außen drang.
## Schicksal längst entschieden
Trotz der nach offiziellen Angaben 19 chinesischen Journalisten, die den
Verhandlungen beiwohnten, durften nur die KP-kontrllierte Agentur Xinhua
und die offiziellen Prozessblogger direkt berichten. Von Hongkonger Medien
namentlich nicht genannte Angehörige Bos, die im Gericht dabei waren,
zitieren ihn denn auch mit Äußerungen, die nicht veröffentlicht wurden.
Der aufsehenerregende Prozess, bei dem nur noch das Urteil aussteht,
entschied ohnehin weniger über Bos konkretes Schicksal als vielmehr über
seine öffentliche Wahrnehmung. Sein Schicksal dürfte längst das
vorangegangene Verfahren vor der internen Disziplinarkommission der Partei
entschieden haben.
Gewöhnlich beginnt der folgende Gerichtsprozess erst dann, wenn der
Angeklagte sich nicht länger dem vorgesehenen Urteil und dem dazugehörigen
Skript verweigert. Dann enden 99 Prozent solcher Verfahren, bei denen oft
kurzer Prozess gemacht wird, mit der Verurteilung der Angeklagten. Auch
jetzt zweifelt niemand daran, dass Bo schuldig gesprochen wird.
Der Prozess dauerte mit fünf Tagen für chinesische Verhältnisse
ungewöhnliche lang. Bo durfte der Anklage widersprechen und eine
kämpferische Rolle spielen, die seinem Image entspricht.
Dennoch hielt auch er sich an die Vorgabe, dass es nur um Korruption und
Amtsmissbrauch und nicht um seine umstrittene Politik oder den internen
Machtkampf vor dem KP-Parteitag im vergangenen November gehen dürfe. Bo
verzichtete im Prozess auf Angriffe gegen innerparteiliche Gegner.
## Den Konkurrenten absägen
Bei diesem Schauprozess 2.0. soll die scheinbare Offenheit sowohl das
Selbstbewusstsein der KP demonstrieren wie auch die Glaubwürdigkeit des
Verfahrens und damit die Akzeptanz des Urteils als „fair“ stärken.
Die Details sollen aufzeigen, dass der einstige Mafiajäger und Sauberman Bo
massiv in Korruption verwickelt war. Das soll einen
Entsolidarisierungseffekt bei seinen Anhängern bewirken und zeigen, dass er
mitnichten etwa aus politischen Gründen gestürzt wurde.
Viele Details zeigen die Inszenierung eines Schauprozesses. Schon die
Verlegung des Verfahrens ins provinzielle Jinan sollte den ungestörten und
gut kontrollierbaren Verlauf bewirken. Auf den Prozessbildern wurde der
körperlich überdurchschnittlich große Bo stets von zwei ihn überragenden
Justizbeamten flankiert. Das war kein Zufall, sondern sollte sicherstellen,
dass die Öffentlichkeit Bo auch physisch kleiner in Erinnerung behält, als
er ist.
Die per Video eingespielte Aussage von Bos Frau, die ihn belasten musste,
um ihre „Todesstrafe auf Bewährung“ in lebenslange Haft umgewandelt zu
bekommen, bezichtigte ihn der Mitwisserschaft ihrer Korruption. Sie wurde
für den Mord an einem britischen Geschäftsmann verurteilt, der ihr mit
Veröffentlichung ihrer Machenschaften gedroht haben soll.
Bo widersprach dem Statement seiner Frau vehement und und erklärte sie
kurzerhand für verrückt. Ein Kreuzverhör, das der Wahrheitsfindung hätte
dienen können, gab es nicht. Denn dann hätte die Zeugin ungeplante und für
die KP womöglich gefährliche Dinge sagen können.
So erinnerte die Inszenierung der stark unter Druck stehenden Frau jetzt an
Prozesse während der Kulturrevolution.
Bos Äußerungen zum Geisteszustand seiner Frau eröffnen für die KP wie auch
für ihn eine nützliche Exitstrategie. Sie erlauben, den geschassten
Spitzenkader auch als Opfer seiner „verrückten“ Frau darzustellen. Das kann
eine gewisse Milde ihm gegenüber rechtfertigen und auch erklären, warum man
ihn überhaupt so lange gewähren ließ.
## Die Frau ist schuld und verrückt
Ohnehin muss die Parteiführung beim Strafmaß abwägen. Bestraft sie Bo zu
hart, könnten seine Anhänger nicht nur rebellieren, sondern auch ähnlich
harte Urteile in anderen Fällen der weitverbreiteten Korruption fordern.
Die Schau dieses Prozesses bestand eben auch darin, Politik und Machtkämpfe
draußen zu halten. Bo räumt denn auch vor Gericht ein, er hätte sich mehr
um die Aktivitäten seiner Frau kümmern müssen.
Wird Bo dagegen nur leicht bestraft, erhält die neue Partei- und
Staatsführung das Image verpasst, nicht hart genug gegen Korruption und
Amtsmissbrauch vorzugehen. Diesen Eindruck muss sie unbedingt vermeiden.
Die Parteiführung hat alles darangesetzt, um zu zeigen, dass der Fall Bo
nur ein bedauerlicher Einzelfall ist. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Bo
ist Symptom dafür, dass die höchsten Parteikreise ein Sumpf aus Korruption,
Intrigen und Machtmissbrauch sind.
Und so wie Bos Verhalten alles andere als singulär ist, verweigert sich die
Parteiführung nach wie vor, tatsächlich effektive Maßnahmen gegen
Korruption und Amtsmissbrauch in ihren Reihen zu ergreifen.
Der ehrgeizige Bo kam vor Gericht, weil er in Ungnade gefallen war und
seine Frau mit der Ermordung des britischen Geschäftsmannes zu weit
gegangen war. Bo hatte allzu deutlich nach der Macht gegriffen und wurde so
anderen Kadern gefährlich. Doch dies wurde nun durch Prozessinszenierung
mithilfe der neuen Medien erfolgreich ausgeblendet.
26 Aug 2013
## AUTOREN
Sven Hansen
## TAGS
China
Bo Xilai
Schwerpunkt Korruption
Machtkampf
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