| # taz.de -- Greis wegen NS-Mordes vor Gericht: Nach Deutschland geflüchtet | |
| > Vor 69 Jahren soll Siert B. als Mitglied des SS-Sicherheitsdienstes einen | |
| > Widerstandskämpfer getötet haben. Deutschland verweigerte die | |
| > Auslieferung. | |
| Bild: Protestplakat vor dem Landgericht Aachen anlässlich des Prozesses gegen … | |
| KÖLN afp | Knapp 69 Jahre nach den tödlichen Schüssen auf einen | |
| niederländischen Widerstandskämpfer muss sich von Montag an ein 92-Jähriger | |
| wegen des NS-Kriegsverbrechens vor dem Landgericht Hagen verantworten. Der | |
| im westfälischen Breckerfeld lebende Siert B. soll den Mord im September | |
| 1944 gemeinsam mit einem mittlerweile gestorbenen SS-Mann im | |
| niederländischen Dorf Appingedam begangen haben. | |
| Das Opfer war der Niederländer Aldert Klaas Dijkema, der dem Widerstand | |
| gegen die damalige deutsche Besatzung angehörte und kurz vor der Bluttat | |
| vom SS-Sicherheitsdienst (SD) festgenommen worden war. | |
| In dem Mordprozess droht dem gebürtigen Niederländer B. nun Jahrzehnte nach | |
| der Tat eine lebenslange Freiheitsstrafe. Laut Staatsanwaltschaft sollen | |
| der Angeklagte, der nach dem Krieg nach Deutschland flüchtete, und sein | |
| damaliger Mittäter den Widerstandskämpfer in der Nacht vom 21. zum 22. | |
| September 1944 hinterrücks und angeblich „auf der Flucht“ erschossen haben. | |
| Viermal wurde auf Dijkema gefeuert, die Kugeln trafen das Opfer unter | |
| anderem in den Hinterkopf. Dijkema starb kurz nach den Schüssen. | |
| Auch Sicht der Anklage hat sich B., der zur Tatzeit dem deutschen Grenz- | |
| und Sicherheitspolizeiposten in Delfzijl angehörte, damit des | |
| heimtückischen Mordes schuldig gemacht. Diese Rechtsauffassung war in der | |
| deutschen Justiz lange Zeit umstritten – das als juristisch schwierig | |
| geltende Mordmerkmal der Heimtücke wollten Gerichte bei Erschießungen von | |
| Widerstandskämpfern nicht gelten lassen. | |
| ## Veränderte Rechtssprechung | |
| Doch mittlerweile hat sich die Rechtsprechung geändert, wie sich vor | |
| wenigen Jahren bei einem Mordprozess gegen einen früheren SS-Mann in Aachen | |
| zeigte. Das dortige Landgericht verurteilte im März 2010 den damals | |
| 88-jährigen Heinrich Boere zu lebenslanger Haft. Die Richter sprachen den | |
| ehemaligen Bergmann des heimtückischen Mordes an drei niederländischen | |
| Zivilisten 1944 für schuldig. | |
| Boere hatte im Prozess gestanden, als Mitglied eines SS-Sonderkommandos im | |
| Juli und September 1944 in Breda, Voorschoten und Wassenaar drei Männer | |
| erschossen zu haben. Im Dezember 2010 wurde das Aachener Urteil vom | |
| Bundesgerichtshof bestätigt. | |
| Für den mutmaßlichen NS-Verbrecher Siert B. ist der Prozess vor dem Hagener | |
| Landgericht nicht der erste seit seiner Flucht aus den Niederlanden. | |
| Bereits im Februar 1980 wurde der heute 92-Jährige vom selben Gericht zu | |
| sieben Jahren Haft verurteilt – wegen Beihilfe zum Mord an zwei jüdischen | |
| Brüdern, die im April 1945 bei Delfzijl erschossen worden waren. | |
| ## Todesstrafe für Siert B. | |
| Auch in den Niederlanden wurde B. verurteilt. Ein Sondergericht in dem | |
| Nachbarland verhängte im April 1949 gegen ihn die Todesstrafe wegen der | |
| Teilnahme an drei Erschießungen, darunter auch die des Widerstandskämpfers | |
| Dijkema. Die Strafe wurde später in lebenslange Haft umgewandelt. | |
| Allerdings gelang es den niederländischen Behörden nicht, des nach | |
| Deutschland geflohenen B. habhaft zu werden. 1978 beantragten die | |
| Niederländer zwar bei den deutschen Behörden seine Auslieferung. Doch B. | |
| profitierte wie viele andere ausländische NS-Täter vom sogenannten | |
| „Führererlass“ aus dem Mai 1943. | |
| Durch die Verfügung von Adolf Hitler erhielten Ausländer, die in | |
| NS-Verbänden Dienst taten, die deutsche Staatsbürgerschaft. Und eine | |
| Auslieferung des Deutschen B. in sein Geburtsland Niederlande ließ das | |
| Grundgesetz damals nicht zu. | |
| 30 Aug 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Richard Heister | |
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