# taz.de -- Verschönerung von unten: Istanbul, die neue Regenbogenstadt | |
> Ein Rentner streicht eine triste Treppe an. Die AKP lässt sie wieder grau | |
> überpinseln. Ein fataler Fehler, denn nun gibt es mehr bunte Steigen denn | |
> je. | |
Bild: Grau-Bunt-Grau-Bunt: Die Treppe im Istanbuler Viertel Beyoglu wurde binne… | |
ISTANBUL taz | Vor wenigen Tagen konnten die Istanbuler Frühaufsteher auf | |
dem Weg zur Arbeit eine neue Attraktion in ihrer Stadt bewundern. Wo vorher | |
von der Uferstraße am Bosporus eine triste große Betontreppe Richtung | |
Taksimplatz den Hügel hinauf führte, erstrahlte plötzlich ein Kunstwerk in | |
allen Farben des Regenbogens. Aus einer grauen Treppe war ein absoluter | |
Hingucker geworden, die Leute freuten sich, das Netz war voll davon. | |
Nur einer war offenbar anderer Meinung. Der Bezirksbürgermeister von | |
Beyoglu, Misbah Demircan, ein treuer Gefolgsmann von Ministerpräsident | |
Recep Tayyip Erdogan und während der Proteste um den Gezi-Park immer an der | |
Seite der Regierung, befürchtete offenbar, die Treppenmalaktion sei eine | |
Provokation der durch die Gezi-Bewegung erstarkten Schwulen- und | |
Lesbenszene und ließ die Treppe in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag | |
wieder in tristes Grau zurückverwandeln. | |
Doch Misbah Demircan traf eine der größten Fehlentscheidungen seiner | |
Karriere. Als die Bilder der wieder überpinselten Treppe [1][im Netz | |
kursierten], gab es einen heftigen Aufschrei. Doch nicht genug damit, | |
schnell stellte sich heraus, dass die Urheber der Regenbogenaktion ganz und | |
gar nichts mit der Homobewegung zu tun hatten. | |
Ein pensionierter Ingenieur aus der Nachbarschaft, den, wie er gegenüber | |
verschiedenen Zeitungen erzählte, die graue Treppe schon lange gestört | |
hatte, war losgegangen, hatte für 700 Euro Farbe gekauft und zusammen mit | |
seinem Schwiegersohn die Stufen nach und nach angemalt. | |
## Bunt für den internationalen Friedenstag | |
Jetzt schlug die Empörung erst recht hohe Wellen. Für den Samstagnachmittag | |
riefen mehrere Bürgervereinigungen und Aktionsbündnisse, darunter natürlich | |
auch die Schwulen- und Lesbenbewegung, dazu auf, mit Farbe und Pinsel zur | |
Treppe zu kommen, um sie wieder in den Farben des Regenbogens anzumalen. | |
Plötzlich bekam es Misbah Demircan, der bei den Kommunalwahlen im Frühjahr | |
nächsten Jahres schließlich wiedergewählt werden will, mit der Angst zu | |
tun. Schnell schickte er in der Nacht seine Leute los, um selbst den | |
Regenbogen wieder auf die Treppe zu zaubern. | |
Doch auch mit seiner zweiten Nacht-und-Nebel-Aktion konnte der | |
Bürgermeister von Beyoglu, dem Bezirk, zu dem auch der Taksimplatz und der | |
Gezi-Park gehören, [2][die Bewegung] nicht mehr stoppen. Als die Leute am | |
Samstagmorgen feststellten, dass die Treppe bereits wieder bunt leuchtete, | |
nahmen sie sich einfach andere, vergleichbare Treppen in der Umgebung vor. | |
Und die Regenbogenbewegung blieb nicht auf die Treppen, die vom Bosporus | |
zum Taksimplatz führen, beschränkt. In der ganzen Stadt wurden am | |
Wochenende zum Zeichen des Protests gegen die engstirnige islamische | |
AKP-Regierung in Istanbul vormals graue Treppen in den Farben des | |
Regenbogens bepinselt. | |
Zum internationalen Friedenstag am Sonntag leuchtete Istanbul an allen | |
Ecken. Die Gezi-Bewegung hatte zu einer Menschenkette entlang des Bosporus | |
und des Marmarameers aufgerufen, um die Regierung daran zu erinnern, dass | |
die Sommerpause nun vorbei ist. | |
2 Sep 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://gruss-vom-bosporus.berliner-zeitung.de/2013/08/31/die-regenbogentrep… | |
[2] http://www.dha.com.tr/dhavideogaleri.asp?vid=519576 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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