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# taz.de -- Schulenburg-Verlag macht weiter: Der Kopffüßler hält durch
> Nach dem überraschenden Tod des Verlegers Lutz Schulenburg geht die
> Arbeit in Hamburg-Bahrenfeld weiter - wie bisher und doch ganz anders.
> Denn mit Schulenburg hat man im Mai dieses Jahres einen verloren, der
> Funken schlug
Bild: Erinnerungsstücke im Besprechungszimmer: Über alten und neuen Bildern v…
Der Name steht noch an der Klingel. Unten der Verlag, oben die Wohnungen
von Lutz Schulenburg und Hanna Mittelstädt, seiner Freundin und
Mit-Verlegerin der Edition Nautilus über 40 Jahre. Lutz Schulenburg ist am
1. Mai gestorben, überraschend, er war 60 Jahre alt und nach einer
Gehirnblutung wenige Wochen zuvor glaubte man ihn auf dem Weg der
Besserung. Lutz Schulenburg war ein Anarchist, er quoll über vor Ideen und
vor Charme, zumindest an den gut gelaunten Tagen. Er war der „Frontmann“
des Verlags, so sagt es Hanna Mittelstädt. „Uns fehlt jetzt sozusagen der
große Diamant, wir müssen jetzt sechs kleine Diamanten sein.“ Und sie
glaubt, dass das gehen kann.
Eigentlich wollte sie in diesem Jahr kürzer treten im Verlag, Lutz
Schulenburg tat das theoretisch auch, praktisch aber nicht. Es gibt viel
Arbeit in einem Verlag – und dass er klein ist, macht sie nicht weniger.
Nautilus heißt „Kopffüßler“, es war Schulenburgs Idee, den Verlag so zu
nennen. Vielleicht hat er auch eher an Jules Vernes Unterseeboot gedacht,
wer weiß.
Passen tut beides: Eine Zuflucht für Aussteiger war Nautilus von Beginn an,
mit den anarchistischen und dadaistischen Texten, die der dritte Gründer,
Pierre Gallissaires, mitbrachte. Es war inhaltliches Neuland für
Mittelstädt und Schulenburg, beide Anfang 20, und ganz besonders für
Schulenburg, der aus einer Dekorateurslehre geflogen war. „Mit 19, bei den
Anarchisten begann seine Bildung“, sagt Mittelstädt heute, „beim Lernen
haben wir Bücher daraus gemacht.“
Es scheint, dass sich der Verlag diese Haltung eines ganz praktischen
Es-wissen-Wollens erhalten halt. Sei es mit Christoph Twickels
„Gentrifidingsbums oder eine Stadt für alle“ über den Kampf für eine Sta…
für alle, sei es mit David Graebers Handbuch „Direkte Aktion“ oder der
Text-Sammlung der russischen Pussy-Riot-Aktivistinnen. Die hat Nautilus nur
bekommen, weil eine Agentin ihnen wohlgesonnen war, und als sie den
Zuschlag erhalten hatten, gab es Nachtschichten bei Nautilus, weil
Übersetzung und Lektorat in sportlichen acht Wochen beendet sein mussten.
Und, um auf den Kopffüßler zurückzukommen, der stimmt auch, weil Nautilus
bei aller Leidenschaft für das Anarchische und Abseitige immer auch einen
gesunden Sinn dafür hatte, dass man mit Büchern Geld verdienen muss, wenn
man als Verlag überleben möchte. So haben sie nach einem Angebot der
Titanic-Redaktion Texte des früheren DDR-Chefkommentators Karl-Eduard von
Schnitzler veröffentlicht – als „Provokation“, sagt Mittelstädt, „und…
wir glaubten, dass sie sich verkaufen würden“. Haben sie dann auch, 20.000
mal. Die Dresche, die sie unter anderem dafür bezogen, hat die Leute von
Nautilus nur bedingt beeindruckt.
Menschen, die dem Verlag wohlgesonnenen sind, gab und gibt es,
erstaunlicherweise haben die meisten ihm auch den Bestsellererfolg mit den
Krimis von Anna Maria Schenkel gegönnt. Im Konferenzraum mit großem
Holztisch und Kochzeile – man isst zusammen – und Blick auf eine
Holzterrasse hängt ein Poster von „Kalteis“, dem vorletzten Roman
Schenkels, der bei Nautilus erschienen ist, und oben auf einem Regal steht
eine Pappe, auf dem eine Spiegel-Bestsellerliste klebt: „Tannöd“ steht auf
Nummer eins und „Kalteis“ auf Platz zwei.
Die Geschichte mit Andrea Maria Schenkel ist aus Sicht von Nautilus
ambivalent. Um mit dem Positiven anzufangen, hat der Verlag mit ihren
Texten sehr viel Geld verdient, so viel, dass er in helle Räume in
Hamburg-Bahrenfeld umziehen konnte, so viel, dass er seinen
MitarbeiterInnen Boni zahlen konnte: zwischen 2.000 und 80.000 Euro, je
nach Zugehörigkeit. Der Verlag hat zum ersten Mal erlebt, wie es ist,
Lizenzverhandlungen in 20 Sprachen zu führen, über Filmrechte zu
verhandeln, einen Presseansturm zu bewältigen. Wenn Hanna Mittelstädt und
die Lektorin Katharina Picandet darüber sprechen, hört man den Stolz
heraus: darüber, wie sie das gewuppt haben.
Aber das hat Anna Maria Schenkel nicht daran gehindert, mit dem vierten
Titel zur größeren Konkurrenz, Hoffmann und Campe, zu gehen – und das
nehmen Mittelstädt und Picandet ihr übel. Schwierig zu sagen, ob AutorInnen
das Recht haben, weiterzuziehen oder nicht, vermutlich bewegt man sich hier
in anderen Kategorien. Aber interessant ist dieses Übelnehmen allemal, weil
Mittelstädt und Picandet nicht so wirken als neigten sie dazu, sie wirken
auch nicht sonderlich interessiert am Geld – es ist beim
Einheits-Stundenlohn geblieben, der zwischen zehn und 15 Euro liegen soll.
„Andrea Maria Schenkel kommt nicht von unten“, sagt Picandet, sie musste
nicht wie andere Nautilus-AutorInnen die Erfahrung von Markt-Ungängigkeit
machen. Diese Underdog-Haltung hat Nautilus sich bewahrt, das betont Hanna
Mittelstädt, daran habe auch „Tannöd“ nichts geändert. „Wir haben kein
Geld“, sagt Mittelstädt, „aber Ideen.“
Genau dieses Kapital, die Ideen, waren, was Lutz Schulenburg mit in den
Verlag gebracht hat. Nicht das Verwalterische, das war nicht sein Ding,
auch kein verlegerisches Geheimwissen. Aber etwas Widerständiges, das
durchaus anstrengend sein konnte – „wir hatten ein hartes Training in
Moderation“, sagt Mittelstädt – aber eben auch ungemein fruchtbar. Es läs…
sich nicht ersetzen, aber der Verlag hat nun einen Beirat gegründet, der in
der Summe solche Funken schlagen soll, wie Schulenburg es getan hat. Und
sie haben den Verlag, der bislang auf seinen Namen lief, in eine GmbH
umgewandelt, an der alle Mitarbeiter, die das wollten, beteiligt sind.
„Ich muss nicht denken, dass ich die Witwe des Verlags bin“, sagt
Mittelstädt. „Es ist einen Schutz für mich und fürs Verlagsprojekt.“ Das
Projekt geht nun weiter mit Autoren, von den Mittelstädt und Picandet
glauben, dass sie bleiben werden. Leuten wie Jochen Schimmang, der einmal
bei Suhrkamp begonnen hat, und Abbas Khider, einem Exil-Iraker, der
plötzlich bei ihnen auftauchte, inzwischen hat er sein drittes Buch bei
Nautilus veröffentlicht, wird mit Preisen überschüttet. Er will bleiben.
Das wollte Andrea Maria Schenkel wohl auch mal. Die Edition Nautilus
jedenfalls wirkt, als würde sie ihre Fahrt fortsetzen.
3 Sep 2013
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Hamburg
Literatur
Asylsuchende
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