# taz.de -- Der sonntaz-Streit: „Absicherung gegen Arbeitslosigkeit“ | |
> Bald gibt es in Deutschland mehr Studenten als Azubis. Bildungsministerin | |
> Johanna Wanka findet das nicht schlimm. Andere schon. | |
Bild: Seltenes Bild: Leerer Hörsaal an einer deutschen Uni. | |
„Deutschland kann sich einen massiven Einbruch bei den Ausbildungsberufen | |
nicht leisten“, meint Julian Nida-Rümelin, Philosophieprofessor an der LMU | |
München. Rümelin hatte in der FAZ von einem „Akademisierungswahn“ | |
gesprochen und legt nun im aktuellen sonntaz-Streit nach: „Die Frage ist | |
nicht, ob wir jetzt zu viele Akademiker haben, sondern ob der aktuelle | |
Trend fortgesetzt werden sollte. Eine Kopie des US-Bildungssystems würde | |
Deutschland nicht guttun.“ | |
Stattdessen solle man die verbliebenen Vorteile des dualen Bildungswesens | |
ausbauen: Die Verbindung von Ausbildung im Beruf mit staatlicher | |
Berufsschule und Fachkompetenzen in Schule und Studium. | |
Bildungsministerin Johanna Wanka sieht das anders: „Der akademische | |
Abschluss gilt nach wie vor als beste Absicherung gegen Arbeitslosigkeit. | |
Deshalb werden wir weiter in Studienplätze und gute Studienbedingungen | |
investieren.“ Die Studienanfängerquote liege in Deutschland immer noch | |
unter dem OECD-Durchschnitt. Es müsse leichter werden, vom Beruf an die | |
Hochschule zu wechseln, so Wanka. „Umgekehrt müssen Leistungen von | |
Studienabbrechern besser anerkannt werden, wenn sie anschließend eine | |
Ausbildung machen“, fordert die Bildungsministerin. | |
Antonie Kerwien vom deutschen Büro der OECD meint, dass Deutschland auch | |
deshalb so gut durch die Krise gekommen sei, weil hier das duale System die | |
Uni-Abschlüsse ergänzt. „Für den Einzelnen aber ist und bleibt ein höherer | |
Bildungsabschluss die wirksamste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit“, so | |
Kerwien weiter. | |
„Wir haben nicht zu viele, sondern zu wenige Studierende“, meint hingegen | |
Andreas Keller, Hochschulexperte der Gewerkschaft Erziehung und | |
Wissenschaft (GEW). Folge man dem internationalen Trend, so werde ein | |
Hochschulstudium zur Regelausbildung. „Nehmen in Deutschland 45 Prozent | |
eines Jahrgangs ein Studium auf, sind es im Durchschnitt aller | |
Industrieländer 60 Prozent“, schreibt Keller, der den drohenden | |
Fachkräftemangel durch den weiteren Ausbau der Hochschulen lösen möchte. | |
„ErzieherInnen oder PflegerInnen werden für ihren anspruchsvollen Beruf in | |
anderen Ländern längst an Hochschulen ausgebildet.“ | |
Christiane Benner von der IG Metall hält es für überzogen, von einem | |
„Akademisierungswahn“ zu sprechen. „Natürlich muss nicht jeder Mensch | |
studieren. Aber kein Mensch sollte nicht studieren können wegen seiner | |
sozialen Herkunft.“ Das sei eine Frage der Gerechtigkeit, stellt Benner | |
klar. | |
Für Achim Meyer auf der Heyde vom Deutschen Studentenwerk ist es perfide, | |
Berufs- gegen Hochschulbildung auszuspielen. Davor warnt auch der | |
Bildungsexperte Joachim Möller: „Prognosen zufolge werden zukünftig sowohl | |
akademische als auch mittlere Qualifikationen stark nachgefragt werden.“ | |
## Durchlässigkeit zwischen Ausbildung und Studium | |
Auch Priska Hinz von den Grünen findet: „Die duale Ausbildung wird zwar | |
weiter wichtig bleiben, trotzdem sollte die Durchlässigkeit zwischen | |
Ausbildung und Studium erhöht werden.“ | |
taz-Leser Daniel Gaittet hat ähnliche Argumente: „Was wir brauchen ist | |
tatsächliche Wahlfreiheit und eine enorme Aufwertung klassischer | |
Ausbildungsberufe.“ Es solle allen offen stehen, sich für oder gegen ein | |
Studium zu entscheiden, ohne irgendwelche Sanktionen oder Nachteile | |
befürchten zu müssen. | |
Die taz-Leserin Sabine Glinke, die den Streit per Facebook kommentierte, | |
findet den aktuellen Trend zur Akademisierung bedenklich: „Oft kommen | |
Studierte dann in den Job und haben von der Praxis keine Ahnung. Eine | |
ausgewogene Mischung ist gefragt, nicht ein Abschluss um jeden Preis.“ | |
Diese Mischung hat taz-Leser Sebastian Weitsch auf andere Art gefunden: | |
„Zwei Studiengänge habe ich angefangen und abgebrochen, Statistik und | |
Elektrotechnik. Erst dann wurde mir klar, dass ich wohl doch besser eine | |
Berufsausbildung machen sollte.“ Das Problem seien aber nicht die | |
Universitäten, sondern, dass es zu leicht geworden ist, ein Abitur zu | |
bekommen, schreibt Weitsch auf Facebook. Für soziale Durchlässigkeit tritt | |
aber auch er ein: „Ich freue mich, meine Ausbildung im nächsten Jahr mit | |
einem sehr guten Ergebnis abzuschließen und will mich dann hocharbeiten.“ | |
Die sonntaz-Frage beantworten außerdem der österreichische Wissenschafts- | |
und Forschungsminister Karlheinz Töchterle, Markus Kiss von der Deutschen | |
Industrie- und Handelskammer,Yasemin Karakasoglu, Bildungsexpertin im Team | |
von SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück, Pisa-Erfinder Andreas Schleicher und | |
Studierendenvertreterin Katharina Mahrt in der aktuellen sonntaz von 7./8. | |
September. | |
7 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Stefan Weiß | |
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