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# taz.de -- Streit um Deutsche in Venedig: Selbstgerechte Völkermörder
> Angela Vettese, Tourismus-Dezernentin von Venedig, mag die Deutschen
> nicht so: Wie ein Wutausbruch zur Staatsaffäre wurde – und was er über
> Europa besagt.
Bild: Lieber sehen wir uns in gänzlich unbefangener Selbstgerechtigkeit als di…
Eigentlich ist [1][Henning Klüver] bloß Kulturkorrespondent der
Süddeutschen Zeitung aus Italien. Doch wenn man Angela Vettese, der Kultur-
und Tourismus-Dezernentin Venedigs, glauben darf, verbirgt der Journalist
ein zweites Ich: das des potentiellen Völkermörders.
Klüvers Verbrechen: Nach dem Gondel-Unfall in der Lagunenstadt, bei dem im
August ein deutscher Tourist ums Leben gekommen war, hatte er einen leise
kritischen Artikel über den Bürgermeister Giorgio Orsoni geschrieben. Und
Vettese fühlte sich bemüßigt, auf Facebook zu antworten, mit einer
hasserfüllten Philippika.
„I tedeschi“, „die Deutschen“ seien es schließlich, die „alle 50 Jah…
Versuch zerstören, Europa zu einen“, die „dauernd Völkermorde begehen“ …
genannt werden die Wiedertäufer in Münster, die Juden, die Griechen, „und
als nächstes sind wir Italiener dran“. Bevor es soweit ist, begeht „La
Germania“ erst einmal kleinere Verbrechen „im venezianischen Tourismus“:
„Es versucht systematisch, die venezianischen Stadtführer und Tour-Operator
zugunsten der eigenen auszuschalten“.
Das ist natürlich alles ziemlich großer Stuss – allerdings Stuss mit
Folgen. Längst ist der Wutausbruch zum diplomatischen Fall geworden, das
deutsche Generalkonsulat in Mailand ist eingeschaltet, die FAZ rechnete in
einem Artikel mit der Dezernentin ab, deren Wissen nicht einmal zum Besuch
des Gymnasiums ausreiche.
Die übliche Schmähbeleidigungs- und Vergeltungsspirale also, wie wir sie
vor akkurat zehn Jahren schon erlebt haben, als Silvio Berlusconi erst dem
heutigen EP-Präsidenten Martin Schulz die Filmrolle eines KZ-Kapo anbot,
als dann Tourismus-Staatssekretär [2][Stefano Stefani] nachlegte, Deutsche
zeichneten sich vor allem durch Rülps-Wettbewerbe aus – und als Kanzler
Gerhard Schröder schließlich seinen Italien-Urlaub absagte?
## Beleidigte Leberwurst
Nicht ganz. „La Germania“ wäre schlecht beraten, die beleidigte Leberwurst
zu spielen – und es wäre ebenso schlecht beraten, sich achselzuckend
abzuwenden. Und das nicht bloß, weil Altkanzler Helmut Schmidt, wesentlich
höflicher und ein bisschen durchdachter, im Dezember 2011 Gedanken äußerte,
die so weit gar nicht entfernt sind von Vetteses Tirade. Schmidt warnte
Deutschland vor Kraftmeierei – und erinnerte daran, dass Deutschland „auch
zum Schutz vor uns selbst“ die europäische Integration brauche.
Eine Integration – dafür steht der Fall vor allem –, um die es denkbar
schlecht bestellt ist. Europa driftet ökonomisch auseinander und deutlich
wird, wie dünn der Firnis der europäischen Einigung auch in den Köpfen ist.
US-Meinungsforscher vom PEW Research Institute befragten vor einigen
Monaten Bürger in acht EU-Staaten. Bürger, die anscheinend auf
verschiedenen Kontinenten leben. 75% der Deutschen finden die
wirtschaftliche Lage gut – gegen bloß 9% in den anderen Ländern. Und
radikal konträr sind die Urteile über die positive oder negative Rolle
Deutschlands in Europa.
## Deutsche Eigenliebe
„Am arrogantesten“ ist das Land in der Sicht von fünf der sieben anderen
Nationen, dazu noch „am wenigsten mitfühlend“ für sechs von sieben.
Wenigstens ein Volk meint dafür von Deutschland, es sei „am wenigsten
arrogant“ und „am stärksten mitfühlend“: die Deutschen selbst.
Man kann es auch anders sagen: Die deutsche Öffentlichkeit bekommt so recht
gar nicht mit, wie mies die Stimmung im Rest Europas, wie mies vor allem
die Einschätzung Deutschlands bei den anderen ist.
Lieber sehen wir uns in gänzlich unbefangener, dickfelliger
Selbstgerechtigkeit als die Heilsbringer in Europa – und ignorieren
konsequent die zunehmende Dünnhäutigkeit in Italien, Spanien oder
Griechenland.
Ihren Eintrag übrigens hat Angela Vettese von ihrer Facebook-Seite
genommen, entschuldigt hat sie sich auch (mit der dummen Anmerkung, ihre
jahrelange Tätigkeit für die jüdische Gemeinde habe zu ihrer Reaktion
beigetragen), und diverse Lokalpolitiker fordern ihren Rücktritt. Mit oder
ohne Demission dürfte der Fall schnell erledigt sein – das hinter ihm
stehende Problem allerdings nicht.
9 Sep 2013
## LINKS
[1] http://www.petrareski.com/blog/
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Stefano_Stefani
## AUTOREN
Michael Braun
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