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# taz.de -- Stadtpolitik in New York: Der Weg des Michael Bloomberg
> Die Bewohner von New York verlangen mehr als ein Shopping-Paradies für
> Reiche. Doch die Chancen für eine andere Stadtpolitik stehen schlecht.
Bild: Spektakulär inszeniert – so sieht New Yorks Bürgermeister seine Stadt…
NEW YORK taz | Michael Bloomberg hält sich raus. Nicht eine einzige
Wahlkampfveranstaltung hat der Mann besucht, der bis vor Kurzem als einer
der populärsten Bürgermeister in der Geschichte von New York galt. Und er
hat sich auch nicht dazu entschließen können, einem der demokratischen
Kandidaten seine Unterstützung zuzusagen: Dabei wird Bill de Blasio, der
die Vorwahlen der Demokraten im September gewann, wohl New Yorks
zukünftiger Bürgermeister sein – die konservativen Bewerber sind
traditionell chancenlos.
Doch selbst wenn Bloomberg sich hinter Bill de Blasio gestellt hätte – es
wäre äußerst ungewiss, ob der die Unterstützung auch annehmen würde. Denn
es wird immer klarer, dass die Wähler ein New York wollen, das sich von der
Bloomberg-Dekade verabschiedet.
Den deutlichsten Ton hatte dann auch de Blasio angeschlagen im Wahlkampf.
Das New York von Michael Bloomberg, so de Blasio in seinem Wahlprogramm,
sei eine geteilte Stadt. Beinahe ein Viertel der Bürger lebt unter der
Armutsgrenze, die Spitzenverdiener, einschließlich des Milliardärs
Bloomberg, seien derweil trotz Börsencrash so reich wie nie zuvor. Die
Mittelschicht sei verschwunden, wer nicht Millionär ist, kann sich die
Stadt praktisch nicht mehr leisten.
So was wagten zuletzt nur die Occupy-Demonstranten zu sagen, die Bloomberg
dann auch rüde aus der Stadt vertrieben hat. Doch de Blasios Erfolg zeigt,
dass die klassenkämpferische Flamme in der einst so stolz liberalen Stadt
nicht ganz erloschen ist.
## Touristen flanieren durch Harlem
Noch bis vor Kurzem lobte man Bloomberg dafür, den Haushalt trotz
wirtschaftlich rauer Zeiten brav in der Balance gehalten zu haben. Man
freute sich darüber, dass er die Kriminalität auf einen Tiefstand gedrückt
und die Lebensqualität verbessert hat. New York ist sauber, sicher und
vorzeigbar geworden.
Jeder Tourist kann sich wieder mitten in der Nacht nach Harlem trauen, am
Times Square werden shoppende Familien nicht mehr von Obdachlosen und
Prostituierten belästigt. Verfallene Baudenkmäler wie der Grand Central
Terminal erstrahlen in neuem Glanz. Am Hudson und am East River kann man in
neuen Parks flanieren und nirgendwo in der Stadt weht einem mehr Nikotin
ins Gesicht.
Harte Fragen nach dem Preis für das alles tauchten eigentlich erst auf,
nachdem Bloomberg in diesem Sommer vor Gericht wegen seiner aggressiven
Polizeitaktik abgewatscht wurde. Eine New Yorker Richterin erklärte die
„Stop and Frisk“-Praxis von Bloombergs Polizeidezernenten Ray Kelly für
verfassungswidrig. Das wahllose Anhalten und Durchsuchen von Bürgern ohne
konkreten Anhaltspunkt, von dem in überwiegender Mehrheit Schwarze und
Latinos betroffen waren, wurde als rassistisch entlarvt. Alle neuen
Kandidaten gelobten eine Abkehr von oder eine Modifikation dieser Praxis.
Bloomberg verteidigt sie bis heute.
In diesem sturen Festhalten an einer bürgerfeindlichen Politik zeigt sich
die Kehrseite von Bloombergs Erfolg, eine Arroganz, die der politischen
Opposition schon immer sauer aufgestoßen war. Ob es um das Verbot großer
Becher süßer Brause ging oder den Bau von Fußgängerzonen und Radwegen –
Bloomberg wurde in den vergangenen Jahren immer wieder vorgeworfen, einfach
über den Bürgerwillen hinwegzugehen. „Das ist eine totalitäre
Stadtregierung, die uns alle bevormunden möchte“, sagte erst kürzlich die
Kolumnistin des Wall Street Journal, Dorothy Rabinowitz, als die Stadt über
das neue Mietradprogramm stritt.
## Autokratischer Führungsstil
Das klang aus dem konservativen Lager wie die abgedroschene Klage über
einen übergriffigen und überdimensionierten Regierungssektor, den
sogenannten „Nanny-State“, der auch ständig in Obamas Washington gewittert
wird.
Im Fall von Michael Bloomberg hat die Kritik jedoch eine andere Dimension.
Bloombergs autokratischer Führungsstil wird eben nicht nur von den üblichen
Verdächtigen am rechten Flügel des politischen Spektrums beanstandet.
So hat auch der Soziologe Julian Brash dem, was er den „Bloomberg Way“
nennt, ein ganzes Buch gewidmet. Unter dem „Bloomberg Way“ versteht Brash
die Methode des Bürgermeisters, die Stadt genau so zu führen wie seinen
Medienkonzern: scheinbar ohne ideologische Leitlinien und überaus
autoritär. Daran stört Brash allerdings weniger der selbstherrliche
Managementstil, den Bloomberg in die Politik eingeführt hat und der durch
seinen Erfolg mittlerweile zum Paradigma für Lokalpolitiker auf der ganzen
Welt geworden ist; Brash reibt sich vielmehr daran, was dieser Trend über
unsere Zeiten durchblicken lässt.
Dass mit Bloomberg ein erfolgreicher Geschäftsmann eine der wichtigsten
Metropolen der Welt regiert, ist für Brash kein Zufall, sondern die
logische Folge eines Prozesses, der seine Ursprünge im ersten Drittel des
20. Jahrhunderts hat. Wie viele Weltstädte musste sich New York seitdem mit
dem langsamen Wandel von der industriellen zur postindustriellen Wirtschaft
auseinandersetzen. Anders gesagt: Mitte der 1970er Jahre war New York am
Rand des Bankrotts.
Das Verschwinden von industriellen und von Handwerksjobs hatte die Stadt
verelenden lassen, die Mittelschicht war in die Vororte geflohen. Die
drohende Übernahme der Stadtgeschäfte durch übergeordnete Körperschaften,
wie das heute in Detroit zu beobachten ist, ermöglichte politisch das
Zurückfahren einer im Kern sozialdemokratischen Stadtpolitik. Es begann
das, was Brash die Neoliberalisierung New Yorks nennt, eine harte
Austeritätslinie mit dem Einstampfen von Sozialprogrammen und der absoluten
Priorität von Anreizen für Großunternehmen.
Dieser Weg gipfelte in der Wahl von Bloomberg im Jahr 2002, in der direkten
Folge des 11. Septembers. Mit Bloomberg wurde die Regierung der Stadt zum
Branding-Problem, die Zielgruppe waren globale Großunternehmen,
zahlungskräftige Individuen und Touristen, um deren Geld New York sich
fortan im Wettbewerb mit anderen globalen Metropolen wie London, Schanghai
oder Berlin sah.
## Die Stadt als Marke
Das Ergebnis ist ein New York, das kaum wiederzuerkennen ist. Die
historischen Nutzungsbeschränkungen von 40 Prozent der Stadtfläche wurden
aufgehoben, der flächendeckenden Luxussanierung durch Immobilien-Mogule, in
deren Kreisen sich Bloomberg ohnehin bewegte, wurde Tür und Tor geöffnet.
Bloomberg scheute sich nicht einmal davor, offen davon zu sprechen, dass er
New York als Luxusprodukt sieht. Die meisten Stadtteile von Manhattan und
Brooklyn sind dementsprechend heute Erlebnisparks für die Betuchten, mit
exklusiven Wohn- Unterhaltungs- und Einkaufsgelegenheiten. Die
Bloomberg’schen Verbesserungen der Lebensqualität waren immer nur Teil
dieses Marketingplans.
Die unteren Schichten sind in diesem Zusammenhang außer als Dienstleister
nur noch Störfaktoren. Die Taxifahrer, U-Bahn-Schaffner, Portiers und
Kellner pendeln heute weit aus den Außenbezirken nach Manhattan. Sie sollen
das Bild nicht stören.
Das Versprechen Bloombergs, dass der Wohlstand der Superreichen irgendwann
auch bei ihnen ankommt, hat sich nicht erfüllt. 2001 hat das reichste
Prozent der New Yorker Bevölkerung 27 Prozent der Einkommen erzielt, 2012
waren es 39 Prozent. Die Armutszahlen sind in der gleichen Zeit konstant
geblieben. Weiter als nach New York muss niemand schauen, der einen Beweis
dafür sucht, dass neoliberales Wirtschaften keinen breiten Wohlstand
schafft.
Das alles wird den New Yorker Bürgern nun langsam klar. Sie schauen sich um
und sehen eine Stadt, die mit dem bunten, lebendigen und ein wenig
schmuddeligen Schmelztiegel, den sie kannten und liebten, nichts mehr zu
tun hat. Immer mehr New Yorkern gefällt das nicht. Doch die Hoffnung, dass
ein Bill de Blasio etwas verändern kann, ist gedämpft. Schon jetzt stößt
sein moderater Vorschlag, die Einkommensteuer der Topverdiener von 3,9 auf
4,3 Prozent zu erhöhen auf massiven Widerstand der Betroffenen. Und das
sind diejenigen, die in New York das Sagen haben. Mit oder ohne Bloomberg.
12 Oct 2013
## AUTOREN
Sebastian Moll
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