# taz.de -- Die Wahrheit: Der fatale Bungalow | |
> Schon bald nach meiner Ankunft lernte ich einen anderen Hotelgast kennen, | |
> den Bahningenieur Fleissner. Wir kamen beim Abendessen ins Gespräch ... | |
Schon bald nach meiner Ankunft lernte ich einen anderen Hotelgast kennen, | |
den Bahningenieur Fleissner. Wir kamen beim Abendessen ins Gespräch, und | |
eines unserer Themen war geradezu zwangsläufig die Landschaft, in welcher | |
wir uns aufhielten und über deren Natur mich Fleissner aufklärte. „Diese | |
Landschaft“, sagte er, „will den Menschen abschütteln. | |
Dessen Gegenmaßnahme ist der Versuch, sie durch das Bahnwesen zu zähmen; | |
der Mensch legt ihr damit gewissermaßen ein Geschirr an. Deshalb ist ihr | |
alles Bahnmäßige besonders verhasst. Wissen Sie, eigentlich müsste diese | |
Landschaft ins Gefängnis oder in die Psychiatrie abtransportiert werden. | |
Doch wie sollen wir das machen?“ | |
Wie ich von Fleissner erfuhr und später auch selbst sah, ließ die | |
Landschaft an vielen Stellen Schilder entstehen, deren Aufschriften nichts | |
als Propaganda für die eigenen Interessen waren. Sie ließ sogar Personen | |
entstehen, angebliche Landschafter, die sich radikal gegen alle | |
Bestrebungen der Bahn wandten. | |
Am nächsten Vormittag wollte ich wieder zur Flugschule, um wegen der Schuld | |
der Flugschüler zu ermitteln. Die Flugschule war jedoch verschwunden, an | |
ihrer Stelle stand nun ein Bungalow mit Garten. In der Nähe hielt sich eine | |
Gruppe Landschafter auf, und ich fragte sie nach der Flugschule. Die habe | |
nicht in die Landschaft gepasst, sagten sie, daher hätten sie sie übermalt. | |
Der Bungalow mit seinem Garten nehme sich doch viel schöner aus. Ich | |
protestierte und verlangte von ihnen, den vorigen Zustand | |
wiederherzustellen. Das wurde jedoch abgelehnt. Ich sah mich gezwungen, | |
gegen die Landschafter, die mit dem Übermalen der Flugschule große Schuld | |
auf sich geladen hatten, Anzeige zu erstatten. | |
Beim Abendessen im Hotel berichtete ich Fleissner von der Neuigkeit. Er | |
aber meinte, dies sei der Beweis dafür, dass mein Denken von der Landschaft | |
manipuliert werde. Der Bungalow habe schon immer dort gestanden, und die | |
Partys, die dessen Bewohnerin, eine gewisse Charlotte Krüger, an den | |
Wochenenden gebe, seien der Höhepunkt des örtlichen Gesellschaftslebens. | |
Diese Charlotte Krüger habe es ihm seit Langem schwer angetan. Er sei außer | |
sich vor Verlangen nach ihr, gleichwohl leide er unaussprechlich unter | |
diesem Verhältnis, das er nur verhängnisvoll nennen könne. | |
Fleissner, sonst ruhig und souverän, erschien jetzt nervös und | |
niedergeschlagen, ja desperat. Diese Frau sei grausam und unvorstellbar | |
teuflischer Machenschaften fähig. Was sie ihm abverlange, sei nicht | |
menschlich. Er habe Angst, sagte er, die Affäre könne zu seinem seelischen | |
und materiellen Ruin führen. Die Worte „Ich stehe an einem Abgrund“ laut | |
rufend, sprang er ungestüm vom Tisch auf und lief davon. | |
Ich war überrascht und irritiert. Offenbar hat es nun auch Fleissner | |
erwischt, dachte ich, die Landschaft manipuliert seine Erinnerung. Und er | |
will mir einreden, ich bildete mir alles nur ein! Da trat ein | |
Hotelangestellter diskret an mich heran und überreichte mir eine Einladung | |
zur nächsten Party im Krüger’schen Bungalow. | |
16 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Eugen Egner | |
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