# taz.de -- Die Wahrheit: Das neue Haustier | |
> Der Vogel aus der Zoohandlung sprach nicht ein Wort, sondern gab nur | |
> monotone Geräusche von sich. In der Nacht aber weckte mich eine Stimme... | |
In der Zoohandlung fiel mir ein fremdartiger amselgroßer Vogel auf. Weit | |
davon entfernt, ein Ornithologe zu sein und die Zulassungsnummern der | |
heimischen Vögel in meinem Garten zu kennen, wusste ich doch ungefähr, | |
welche Vogelarten es gab, und so etwas wie diesen hatte ich nie zuvor | |
gesehen. Keinerlei exotische Prächtigkeit zeichnete ihn aus, sein Gefieder | |
war vielmehr schlicht schrankfarben, die Hälfte der Federn bestenfalls | |
zweite Wahl, auch der Schnabel bot nichts Spektakuläres. Dass mir der Vogel | |
so besonders erschien, lag vermutlich daran, dass er an zusammengeknülltes | |
Papier oder, im Profil, an einen toten Zustarbes erinnerte. Ich fragte den | |
Verkäufer und erfuhr, dies sei ein „Formalhuhn“. | |
„Sieht aber überhaupt nicht aus wie ein Huhn“, staunte ich. Der Verkäufer | |
meinte: „Sie haben doch auch einen Namen, oder?“ Dagegen konnte ich | |
schwerlich etwas vorbringen. Stattdessen bat ich um weitere Informationen | |
und erfuhr: „Dem Formalhuhn werden geradezu übernatürliche Fähigkeiten | |
nachgesagt.“ Eigentlich suchte ich nur ein pflegeresistentes, dankbares | |
Haustier, damit ich mich in meiner Wohnung weniger allein fühlte. „Da sind | |
Sie mit diesem Modell bestens bedient“, entschied der Verkäufer, und ich | |
kaufte das Formalhuhn samt Käfig. | |
Zu Hause versuchte ich, mit meinem neuen Hausgenossen zu kommunizieren, | |
bekam aber nur monotone Geräusche zur Antwort. Mir kam der Verdacht, einen | |
Fehler gemacht zu haben. Ich beschloss, den Kauf am nächsten Tag rückgängig | |
zu machen, bedeckte den Käfig mit einem Tuch und ging schlafen. | |
Mitten in der Nacht weckte mich eine Stimme – jemand sprach in meiner | |
Wohnung! Verunsichert stand ich auf, um der Sache nachzugehen. Bald war mir | |
klar, dass es der Vogel unter dem Tuch war, der folgendes redete: „Nach | |
jahrelangem Studium der Genveränderung bei Kochtöpfen in Waldhaushalten | |
wurde eine Doktorandin ans Sterbebett ihres Doktorvaters gerufen. Der | |
nannte ihr das Thema ihrer Doktorarbeit: ’Der Füllhahn bei der | |
Formalbekehrung des Huhns nach argentinischem Recht.‘ | |
Die Aufgabe der Doktorandin bestand nun darin herauszufinden, was dieses | |
Thema bedeutete. Sie fand, ihr Doktorvater sei diesmal zu weit gegangen. | |
Bevor sie es ihm verdeutlichen konnte, wurde sie von der Pflegerin | |
hinausgeführt. ’Beeilen Sie sich bitte mit der Auflösung‘, sagte die Frau | |
streng zu ihr, ’er möchte gern in absehbarer Zeit sterben.‘ Die Doktorandin | |
protestierte: ’Wie soll ich denn jemals herausfinden, was Der Füllhahn bei | |
der Formalbekehrung des Huhns nach argentinischem Recht bedeutet.‘ Die | |
Pflegerin beruhigte sie: ’Ach, das geht doch noch. Seien Sie froh, dass Ihr | |
Thema nicht lautet ’Ein Reeperbahngottlötstör mit biologischen | |
Frauenrückmeldemerkmalen!“ Die Doktorandin gab ihr Recht. Dann zog sie los, | |
um ihre Aufgabe zu lösen …“ | |
Ich hob die Decke an und sagte zu dem Vogel: „Entschuldigen Sie bitte, aber | |
ich möchte jetzt schlafen.“ – „Dann zeigen Sie mir doch mal Ihren | |
Schlafbedarfsausweis!“, erwiderte er in Polizistenmanier. | |
25 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Eugen Egner | |
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