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# taz.de -- Grüne kämpfen mit der Geschichte: Ein anrüchiges Kapitel
> Göttinger Grüne wollten 1981 Straffreiheit für Pädophile. Was heute
> Trittins politische Existenz gefährdet, kam ohne viel Nachdenken ins
> Programm.
Bild: Jürgen Trittin bei der Pressekonferenz am Montag
BERLIN taz | Der Schock war beiden anzusehen. Montag, 13 Uhr, Jürgen
Trittin und Katrin Göring-Eckardt treten mit ernsten Gesichtern an die
Mikrofone. Eigentlich wollten die beiden Spitzenkandidaten das schlechte
Ergebnis der Bayern-Grünen einordnen.
Doch seit Sonntag, 15.59 Uhr, ist alles anders. Zu dieser Zeit
konfrontierte die taz Trittin per E-Mail mit einem Beitrag des Politologen
Franz Walter. Ihn hatten die Grünen im Mai mit der Aufklärung der
Pädophilie-Verstrickungen ihrer Partei beauftragt. Und der Politologe fand
etwas heraus, was nun Trittin persönlich in Bedrängnis bringt. Er
verantwortete 1981 presserechtlich das Kommunalwahlprogramm der
Alternativen-Grünen-Initiativen-Liste (AGIL) in Göttingen. Darin plädierte
sie für die strafrechtliche Freistellung von Sex zwischen Kindern und
Erwachsenen.
Wenige Tage vor der Wahl steht der wichtigste Mann der Grünen persönlich am
Pranger. In Überschriften mancher Online-Medien war am Montag verkürzt zu
lesen, Trittin habe die Pädophilie-Positionen unterstützt. Aus der Union
kamen prompt erste Rücktrittsforderungen, Familienministerin Kristina
Schröder (CDU) warf Trittin vor, Opfer von sexuellem Missbrauch zu
verhöhnen. Es ist ein Vorwurf, der Trittins politische Existenz vernichten
kann.
Gerade deshalb ist Genauigkeit angebracht. Trittin wird auf Seite 2 des
AGIL-Programms von 1981, das der taz vorliegt, als einer von fünf
SchlussredakteurInnen aufgezählt. Hinter seinem Namen steht das Kürzel
V.i.S.d.P – Verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes.
## Spontane Zuteilung
Dieses Kürzel macht klar, wer juristisch die Verantwortung trägt, gegen wen
etwa Gegendarstellungen erwirkt werden könnten. Diese Funktion wurde
allerdings in linken Gruppen in den chaotischen 70er und 80er Jahren oft
spontan zugeteilt. Das hieß aber nicht unbedingt, dass diese Person auch
die politische Verantwortung trug.
Matthias Brachmann – heute Fraktionsgeschäftsführer der Grünen im Götting…
Kreistag – saß damals gemeinsam mit Trittin in der Schlussredaktion für das
AGIL-Kommunalprogramm. Diese sei nur eine „textliche Redaktion“ gewesen,
sagte er am Montag der taz. Sie habe Layout- und Schreibfehler verhindern
sollen. „Wir waren nicht autorisiert, Inhalte zu ändern.“
Die presserechtliche Verantwortung, die Jürgen Trittin übernahm, habe keine
besondere Bedeutung gehabt, sagte Brachmann. „Einer musste das halt
machen.“ Andere Grünen-Politiker bestätigen diese Sicht. Oft sei eine
möglichst unverdächtige Person für die Presserechtsverantwortung ausgewählt
worden, erinnerte sich auch ein Bundestagsabgeordneter.
## Keine Erinnerung an die Textstellen
Die taz schickte Trittin am Montag einen Fragenkatalog, um diesen und
andere Punkte – jenseits der Pressekonferenz – zu erhellen. Trittin
erklärte die presserechtliche Verantwortung und den Job des
Schlussredakteurs in seiner Antwort so: „Presserechtliche Verantwortung ist
nicht zu verwechseln mit einem politischen Mandat, den Text politisch zu
redigieren, oder mit einer politischen Abnahme des Textes.“ Das heißt: Wer
den Text Korrektur las, musste nicht einer Meinung mit allen Positionen
sein.
Trittin betonte auf der Pressekonferenz, dass er die Forderung, Sexualität
mit Kindern und Erwachsenen zu erlauben, damals nicht teilte, sie im
Gegenteil problematisch fand. Er gab ferner an, sich bis zur
Veröffentlichung der Recherche des Politologen Walter nicht an die
indiskutablen Textstellen erinnert zu haben.
Das geht auch anderen so. Wolfgang Peter arbeitet heute als
Behindertenbeauftragter des Landkreises Göttingen, er war 1981 ebenfalls
einer der Schlussredakteure um Trittin. „Ich war mir sicher: Bei uns hat
diese Pädophilie-Frage keine Rolle gespielt“, sagte er am Montag der taz.
An „heiße Diskussionen“ über dieses Thema könne er sich wirklich nicht
erinnern. Das müsse in einer „relativ kleinen Gruppe“ ausverhandelt worden
sein. Trittin habe damals andere thematische Schwerpunkte gehabt. „Ich
glaube nicht, dass das Trittin interessiert hat.“
## Unterschiedliches Selbstverständnis
Wie aber kam das für die Grünen nun so unangenehme Kapitel „Schwule und
Lesben“ in das 40-seitige Kommunalpapier? Der Text also, der wahrscheinlich
von der „Homosexuellen Aktion Göttingen“ zugeliefert wurde und auf Seite 33
landete? In der Präambel heißt es dazu nur, in der AGIL hätten sich
„Menschen aus den verschiedenen Basis- und Bürgerinitiativen, Gruppen und
der Partei Die Grünen mit unterschiedlichem, aber nicht gegensätzlichem
Selbstverständnis zusammengeschlossen“.
Das Programm sei „in öffentlichen Arbeitsgruppen zusammen mit den
Betroffenen erarbeitet und von der Vollversammlung der AGIL verabschiedet
worden“. Das Kapitel ist als einziges deutlich als Zulieferung zu erkennen.
Die einzelnen Programmbestandteile seien von AGIL-Arbeitsgruppen oder
externen Basisinitiativen erarbeitet und beigesteuert worden, berichtete
Ex-Schlussredakteur Brachmann. Man habe damals auf diese Weise noch „ohne
großes Nachdenken“ so allerhand Positionen übernommen. Externe
Zulieferungen seien vor allem dort ins Programm gekommen, wo es in der
jungen Wählergemeinschaft mit ihren etwa 160 Mitgliedern inhaltliche Lücken
gegeben habe.
## Heute schaut man genauer hin
Die AGIL habe sich ja nicht zufällig „Initiativen-Liste“ genannt. „Um die
externen Papiere gab es keine große Diskussion“, versicherte Brachmann.
„Heute schauen sich die Parteien genauer an, was sie in ihre Programme
aufnehmen.“ Wer für die Homosexuelle Aktion Göttingen diese Zulieferung
verantwortete, erinnere er nicht mehr, sagte Brachmann. Er habe einfach
kein gutes Namensgedächtnis.
Noch eine andere These lieferte Eckhard Fascher, Grüner der ersten Stunde,
heute Kommunalpolitiker der Linken in Göttingen. Er war damals in einem
Nachbarort aktiv und stellt deshalb nur Vermutungen an. Was die
Arbeitsgemeinschaften vorbereiteten, sei oft weitgehend unverändert ins
Programm übernommen worden. Vielleicht sei einigen in der AGIL dieses
Kapitel der „Homosexuellen Aktion Göttingen“ inhaltlich zu weit gegangen,
vermutet er. Aber man habe es als „faulen Kompromiss“ übernommen. Das sei
ja in der Parteipolitik grundsätzlich nicht unüblich.
16 Sep 2013
## AUTOREN
Astrid Geisler
Ulrich Schulte
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Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
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