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# taz.de -- Wahlrecht für Häftlinge: Ein Mörder hat die Wahl
> Er sitzt lebenslänglich im Knast. Trotzdem will Uwe Kros unbedingt seine
> Stimme abgeben. Für seine Kinder und um im Leben zu bleiben.
Bild: Wunsch nach Normalität: Wählen im Knast.
BRANDENBURG taz | Maskierter Überfall. Den Griff der Pistole fest
umklammert. Es geht um Geld. Uwe Kros* will seinem Opfer drohen, doch die
Situation eskaliert. Einmal ausgerastet. Durchgedreht. Einmal die Kontrolle
verloren. Er würgt sein Opfer, wirft es bewusstlos in einen See, in dem es
ertrinkt. Das Fluchtauto versucht er anzuzünden.
Jetzt, hier im Knast, kommen die Erinnerungen meist nachts. „Ich hätte mich
stellen sollen, die Leiche nicht weg machen, so wurde alles nur noch
schlimmer.“ Seit Jahren kämpft er mit einer einzigen Frage. Sie sitzt in
seinem Kopf und hämmert von innen gegen die Schädeldecke. Sie raubt ihm den
Schlaf. Warum?
Um nicht zu zerbrechen an dieser Frage kämpft Uwe Kros jeden Tag mit sich
selbst. Er kämpft um ein Stück Normalität in seinem Leben im Gefängnis. Er
will etwas tun, was man auch draußen, in Freiheit tun darf: Uwe Kros will
wählen. Unbedingt.
Die Staatsanwaltschaft plädiert auf Mord, das Gericht sieht das auch so:
Der 58-jährige bekommt lebenslänglich, das bedeutet 15 Jahre Knast – bei
guter Führung. Wenn alles gut geht, dann wird er, der Mörder, irgendwann
wieder in die Freiheit entlassen werden. Denn der moderne Strafvollzug
sieht sich als Vermittler zwischen Häftling und Gesellschaft. Man will aus
den Gefangenen keine Bestien machen, sondern ihnen die Bestien austreiben.
Das, so glaubt man heute, klappt mit Therapieangeboten besser als mit
knallharten Sanktionen. Die Gefangenen sollen das Gefühl haben, weiter Teil
dieser Gesellschaft zu sein. Dazu dient auch das Wahlrecht: Bereits seit
der dritten Bundestagswahl im Jahr 1957 dürfen Gefangene an Wahlen
teilnehmen. Deshalb darf auch Uwe Kros als Mörder bei der Bundestagswahl
seine Stimme abgeben.
## Trotzt lebenslänglich: Uwe Kros will wählen.
„Natürlich“, sagt Kros, „bringt mir wählen nichts.“ Nicht für die n�…
nicht für die übernächste Legislaturperiode. Noch Jahre wird er im
Gefängnis sitzen. Doch er will unbedingt wählen. Nur warum? Warum beteiligt
sich jemand an der Gesellschaft, von der er ausgeschlossen wurde?
Uwe Kros sitzt in seiner Einzelzelle ruhig auf seinem Bett, der Rahmen ist
aus Stahl. Zehn Quadratmeter zum Leben, noch mindestens zehn Jahre. Vor den
Gitterstäben regnet es in Strömen. Seine Füße berühren gerade so den Boden.
Der 58-jährige ist ein kleiner, muskulöser Mann. Er hatte vor kurzem
Geburtstag. Die Mithäftlinge seiner Piste, wie sie hier einen Zellenflur
nennen, haben ihm eine Karte geschrieben: „Immer für einen Scherz zu
haben“, steht darauf. Und trotzdem ist es kein gutes Datum für ihn. Vor
fünf Jahren wurde er verurteilt. Genau an seinem Geburtstag.
Doch Aufgeben kommt für ihn nicht in Frage. Möglichkeiten gäbe es viele im
Gefängnis. „Ich muss da durch“, sagt er. „Irgendwie.“ Er hangelt sich …
Tag zu Tag. Nächste Etappe: Die Bundestagswahl. Sein Ziel: Im Leben
bleiben.
Seit Wochen verfolgt der 58-Jährige den Wahlkampf, wenn auch unter
erschwerten Bedingungen. Internet und Handy sind verboten im Gefängnis.
Seine Verbindung nach draußen ist der Fernseher. Wenn er gezielt Infos
sucht, ließt er Teletext. Manchmal nachts. Uwe Kros kennt eine Seite, auf
der die Wahlprogramme der Parteien erklärt werden.
## Demokratie hat im Gefängnis wenig Platz
Austauschen kann er sich über Parteiprogramme nur wenig: Nur ein paar
seiner 300 wahlberechtigten Mithäftlinge wollen wählen. Wie viele
Briefwahlbogen von den Gefängnisinsassen beantragt wurden, kann niemand
sagen. Datenschutz. Wahlgeheimnis. Aber viele werden es nicht sein, sagt
ein Justizbeamter. Nicht mal eine Gefangenen-Vertretung innerhalb der
Gefängnismauern kommt zustande. Es mangelt an Kandidaten. Demokratie hat in
Uwe Kros' neuem Zuhause nicht viel Platz.
Trotzdem will Kros für die Bundestagswahl seine Kreuzchen machen. „Wenn du
nicht wählst, wählen die anderen nur Idioten“, sagt er. Die
Briefwahlunterlagen hat er schon beantragt, er weiß nur noch nicht, wen er
wählen soll. „Auf keinen Fall rechts, wie die meisten hier.“ Eigentlich hat
er immer die SPD gewählt. Jetzt aber, hier im Knast, entscheidet er sich
vielleicht für die Linkspartei. Denn so ganz stimmt das nicht, dass die
Politik keinen Einfluss auf das Leben im Gefängnis hat.
Im letzten Frühjahr verabschiedet die Regierung in Brandenburg ein neues
Justizvollzugsgesetz. Das Gesetz regelt, dass Gefangene noch intensiver
betreut werden, um sie auf ein Leben nach der Haft vorzubereiten. „Die
Atmosphäre ist jetzt ein bisschen lockerer hier“, sagt Kros. Viele
Häftlinge sehen die Linkspartei als die treibende Kraft im
Brandenburgischen Landtag für das neue Gesetz.
Doch trotz einiger Lockerungen: Auch mit dem neuen Gesetz dürfen Angehörige
die Zellen der Insassen nicht sehen. Seine Familie empfängt er deshalb in
einem Besucherraum, sogar die hochbetagte Mutter war schon einmal da. Sein
Enkel sagt zu ihm Opa Uwe.
## „Mindestlohn muss sein“
Obwohl beide seiner Töchter studiert haben und eine von ihr als Ärztin
arbeitet – „Mindestlohn muss sein“, sagt er. „Wenn ich sehe, wie wenig
manche verdienen, das geht nicht.“ Uwe Kros wählt für seine Kinder. Auch
beim Thema Renten denkt er an sie. „Wer ein Leben lang arbeitet, muss am
Ende auch was haben.“
Besonders interessiert sich Kros für die Energiepolitik. „Schon
berufsbedingt“, sagt der gelernte Heizungsinstallateur. Kros hofft
irgendwann sein altes Leben zurück zu bekommen. Wenn er raus kommt, ist er
68 Jahre alt – wenn alles gut läuft. Doch wie wird die Welt draußen
aussehen in zehn, zwölf Jahren? Von seiner Zelle aus kann er die
Energiewende beobachten. Nachts blinken rote Warnleuchten an den Rotoren
moderner Windräder. „Gold wert, diese Aussicht“, sagt er.
## Ein Stück Normalität zum Überleben
Abgeschottet durch Beton und Stacheldraht lebt er in einer Welt mit wenig
Wahlmöglichkeiten. Duschen, Essen, Sport, alles ist festgelegt. Die einzige
Option im Gefängnis ist sich zu verweigern. In seiner Welt kann er keine
zehn Meter gehen, bis ihm eine schwere Tür mit Schloss den Weg versperrt.
Egal wo er hin will, es muss ihm geöffnet werden.
Und so ist er in Gedanken weiterhin in der Welt vor den Gefängnismauern. Er
wählt, um etwas zu tun, was auch seine Familie hinter dem hohen
Stacheldraht tut. Es ist eine Gemeinsamkeit, über die er mit ihnen reden
kann. Die Wahl bringt Uwe Kros ein Stück Normalität in seine Welt. Sie gibt
ihm das Gefühl bei seinen Kindern zu sein, weiterhin Teil dieser
Gesellschaft zu sein. Er hat das Gefühl, dass seine Meinung gefragt ist,
seine Stimme erwünscht ist. Was für viele Menschen keinen Wert hat, ist für
ihn Überlebensstrategie.
*Name von der Redaktion geändert
22 Sep 2013
## AUTOREN
Felix Hütten
## TAGS
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Justiz
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Haftbedingungen
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