| # taz.de -- Astrid Güting über Musik beim Sterben: „Musik unterstützt die … | |
| > Musiktherapeutin Astrid Güting singt und musiziert im Hospiz und auf | |
| > einer Palliativstation. Dabei wollen gar nicht alle sphärische Klänge. | |
| Bild: Manche Sterbende mögen's laut. | |
| taz: Frau Güting, für wen eignet sich Musik als Sterbebegleitung? | |
| Astrid Güting: Das kann man nicht verallgemeinern. Zu Musik hat ja fast | |
| jeder Mensch eine Beziehung - auch diejenigen, die unmusikalisch sind und | |
| kein Instrument spielen, haben in der Schule gesungen oder hören Radio. | |
| Musik ist etwas Universelles, und ich habe selten erlebt, dass jemand sagt, | |
| dass ihm Musik nichts bedeutet. Es gibt allerdings Sterbende, die keinen | |
| Fremden um sich haben wollen. Auch keinen Musiktherapeuten. | |
| Wie verläuft der Erstkontakt? | |
| Ich gehe zu den Patienten, stelle mein Angebot vor und frage, was ihnen | |
| gefällt und welche Beziehung sie zu Musik haben. Dann wählen sie, was sie | |
| möchten. | |
| Worin besteht Ihr Angebot? | |
| Einerseits biete ich Entspannungsmusik an. Das empfinden die meisten als | |
| wohltuend, weil es sie ablenkt von Schmerzen und Gedanken. Ich improvisiere | |
| auf Saiteninstrumenten wie Monochord, Leier oder Kantele, die einen zarten, | |
| lang schwingenden, sphärischen Klang haben. Außerdem biete ich Klangreisen | |
| an. Ich lade die Patienten also ein, die Augen zu schließen und sich | |
| überraschen zu lassen von den Bildern, die auftauchen. Dafür benutze ich | |
| die Ocean Drum, die wie Meeresrauschen klingt - oder eine Sansula, ein | |
| kleines Daumenklavier. | |
| Wie finden Sie das zum Patienten passende Instrument? | |
| Manchmal wähle ich intuitiv, manchmal stelle ich die Instrumente vorher vor | |
| und lasse den Patienten aussuchen, damit keine für ihn unangenehmen Klänge | |
| ertönen. | |
| Singen Sie auch? | |
| Ja, zur Gitarre. Die Älteren wünschen sich meist Volkslieder oder alte | |
| Schlager, die Jüngeren Rock- und Popsongs. Viele wünschen sich natürlich | |
| Lieder, die mit Erinnerungen verbunden sind. Dann erzählen sie hinterher: | |
| Da war ich beim Konzert, dort habe ich zum ersten Mal getanzt. Die Musik | |
| unterstützt dann die Rückschau auf das Leben. Außerdem ist sie wohltuend, | |
| weil sie auch gesunde Anteile des Menschen anspricht. Denn auch wenn der | |
| Körper krank ist, ist ja das Innere, die Psyche gesund. | |
| Lindert Ihre Musik auch körperlichen Schmerz? | |
| Manchmal sogar das: Ein Patient sagte mal: Jetzt habe ich meinen ganzen | |
| Körper gespürt, aber keine Schmerzen. Und ein Lungenkrebs-Patient sagte: | |
| Während Ihres Spiels habe ich gar keinen Sauerstoff gebraucht. Und ich habe | |
| es nicht mal bemerkt. | |
| Wünschen sich manche Menschen traurige Musik? | |
| Ja, oft, denn Musik kann diese Gefühle kanalisieren. Und oft weinen die | |
| Menschen dann - auch wenn sie das sonst gar nicht können. Einmal zum | |
| Beispiel kam ich in ein Krankenzimmer mit einem älteren Ehepaar, und die | |
| Stimmung war außerordentlich gedrückt. Mir war klar: Sie können nicht über | |
| den Tod sprechen. Sie wünschten sich dann das Lied "Im schönsten | |
| Wiesengrunde", in dem es konkret um Abschied und Sterben geht. Sie sangen | |
| mit, und plötzlich löste sich etwas, und all die Trauer kam heraus. | |
| Weinen Sie manchmal mit? | |
| Ja. Anfangs hat mich das verunsichert, weil ich dachte, es sei nicht | |
| professionell. Inzwischen finde ich, es ist Teil der Professionalität, dass | |
| ich authentisch und persönlich berührbar bin. | |
| Hat sich auch schon mal jemand Hardrock gewünscht? | |
| Ja, einmal war ich bei einem jungen Mann, der selbst in einer Band gespielt | |
| hatte. Er hatte einen Hirntumor und konnte sich kaum noch artikulieren. Ich | |
| begann Harfe zu spielen, hatte aber schnell das Gefühl, dass das nicht so | |
| gut ankam. Ich habe ihn dann gefragt, ob ich eine CD einlegen soll. Er | |
| nickte, und ich habe eine Rock-CD eingelegt und laut aufgedreht. Da war er | |
| total selig, hat Gitarrenbewegungen mitgemacht und sich im Takt gewiegt. | |
| Hören Sie öfter mit Patienten gemeinsam Musik? | |
| Ja, denn manchen Menschen ist es zu intim, wenn ich für sie spiele. Aber | |
| gemeinsam Musik hören und erzählen möchten sie schon. Ein Mann auf der | |
| Palliativstation zum Beispiel hatte eine sehr große Country-Musik-Sammlung. | |
| Für jede Woche hat er sich dann überlegt, was er mir vorspielen möchte. | |
| Dazu hat er mir aus seinem Leben erzählt. Er hatte alle anderen Angebote | |
| abgelehnt und wollte auch keine Gespräche. Aber durch die Musik wurde der | |
| Kontakt möglich. | |
| Sind Sie mit dem Kranken grundsätzlich allein? | |
| Meistens, aber nicht immer. Wenn sie es wünschen, können auch Angehörige | |
| dabei sein, und wir singen oder musizieren dann zum Beispiel zusammen. Da | |
| singen die Kinder für den Vater, oder die Mutter für den Sohn. Das kann für | |
| die Angehörigen sehr entlastend sein, weil sie aus ihrer Hilflosigkeit | |
| herauskommen und etwas Konkretes für den Kranken tun können. | |
| Haben Sie auch schon im Moment des Sterbens Musik gemacht? | |
| Nicht im Moment des Todes, aber in den letzten Stunden des Lebens. Das | |
| waren oft Menschen, die ich längere Zeit begleitet hatte und von denen ich | |
| wusste, was sie mögen. Denn da ist oft keine Kommunikation mehr möglich, | |
| weil sie nicht bei Bewusstsein sind. Da erfordert es viel Intuition und | |
| Einfühlungsvermögen, das Richtige zu spielen. Wenn ich unsicher bin, frage | |
| ich die Angehörigen oder beobachte während des Spiels, ob sich zum Beispiel | |
| die Atmung beruhigt oder wie die Atmosphäre im Raum ist. | |
| Wurden Sie schon mal gebeten, kurz nach dem Tod für einen Menschen zu | |
| musizieren | |
| Bis jetzt noch nicht - auch, weil es sich terminlich nicht ergab, denn ich | |
| komme ja nur einmal pro Woche. Ich würde es aber in jedem Fall machen. | |
| Gehen Sie manchmal zur Beerdigung von Menschen, die Sie begleitet haben | |
| Bis jetzt nicht, aber ich kann es mir vorstellen. Ein Herr - er lebt | |
| übrigens noch - hat mich mal dazu aufgefordert. Er hatte Humor und sagte: | |
| Sie kommen doch zu meiner Beerdigung, nicht? Und ich hab gesagt, klar, wenn | |
| ich da Zeit hab', komm ich. | |
| Wie verkraften Sie diese Arbeit eigentlich, die doch ständig mit Verlusten | |
| verbunden ist? | |
| Einerseits bin ich sehr spirituell. Ich bin christlich erzogen und | |
| praktiziere seit langem Zen-Meditation. Und ich bin überzeugt davon, dass | |
| es nach dem Tod weitergeht und dass das Sterben ein Moment des Einswerdens, | |
| des Geborgenseins in einem größeren Ganzen ist - letztlich etwas Heiliges. | |
| Außerdem empfinde ich es als Geschenk, dass ich für diese Menschen | |
| musizieren darf. Denn diese Musik ist ja oft die letzte, die jemand in | |
| seinem Leben hört. Dadurch werden diese Momente zu etwas sehr Kostbarem. | |
| Sind Sie offener geworden? | |
| In dieser Situation auf jeden Fall, denn da fallen alle Rollen ab: Wenn | |
| sich zwei Fremde treffen, nehmen sie sich normalerweise Zeit, sich | |
| kennenzulernen, schauen, wie es beim nächsten Mal ist. Wenn ich zu einem | |
| Sterbenden komme, ist klar, vielleicht gibt es kein nächstes Mal. Und da | |
| gibt es oft schnell eine große Nähe, und ich fühle mich sehr vertraut. | |
| 20 Sep 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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