| # taz.de -- Chancengleichheit für Bildungsaufsteiger: „Die Uni braucht ein G… | |
| > 77 von 100 Akademikerkindern studieren, aber nur 23 von 100 | |
| > Nichtakademikerkindern. Ein Mentorenprogramm soll das nun ändern. | |
| Bild: Hilfe für Aufsteiger: Wo geht's hier zur Uni? | |
| BERLIN taz Sebastian Adamski ist der Erste aus seiner Familie, der | |
| studiert. An der Universität Potsdam hat er sich in Politik-, Verwaltungs- | |
| und Wirtschaftswissenschaften eingeschrieben. Er erinnert sich noch gut an | |
| den ersten Tag, an das Chaos. | |
| „Allein den Raum zu finden, in dem eine Vorlesung stattfindet“, sagt | |
| Adamski. Und dann all diese Begriffe und Geflogenheiten. Was ist der | |
| Unterschied zwischen Seminar und Vorlesung? Was ist eine Prüfungsordnung? | |
| Der Start ins Studentenleben ist nicht einfach, wenn man keine Eltern hat, | |
| die von ihren eigenen Erfahrungen erzählen können. | |
| Ein neues Mentorenprogramm will Erstakademikern wie Adamski nun helfen, | |
| sich in der Hochschulwelt besser zurechtzufinden. In dem Projekt „Tandem“ | |
| stellt die Deutsche Universitätsstiftung Studienanfängern wie Adamski einen | |
| Hochschullehrer zur Seite: für all die kleinen und großen Fragen, die sich | |
| in dieser neuen Welt ergeben. | |
| „Aus vielen Studien ist bekannt, dass es hierzulande Bildungsaufsteiger | |
| trotz aller Durchlässigkeit des Bildungssystems besonders schwer haben“, | |
| sagte Bernhard Kempen, der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes und | |
| Präsidiumsmitglied der Deutschen Universitätsstiftung, als das Programm im | |
| Frühjahr startete. „Ihnen fehlt häufig Hilfe und Unterstützung, | |
| insbesondere aus dem familiären Umfeld.“ 29 Studierende sind schon in dem | |
| Mentorenprogramm, 30 weitere kommen jetzt zum Wintersemester dazu. | |
| ## "Der war in Yale. Und man selbst kommt aus Fürstenwalde" | |
| FU Berlin, Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, Raum 218. Das Büro | |
| von Hans-Joachim Mengel ist vollgestopft mit dicken Bücher, ein gediegener | |
| Teppich liegt auf dem Boden, Büsten stehen auf dem Tisch. | |
| Adamski erinnert sich noch, wie das war, als er seinem Mentor hier zum | |
| ersten Mal begegnete. „Man sitzt einem Professor mit mehreren Doktortiteln | |
| gegenüber. Der war in Yale. Und man selbst kommt gerade aus Fürstenwalde an | |
| der Spree“, sagt Adamski. Einschüchternd? Das nicht. „Aber man hat schon | |
| Respekt.“ | |
| In der Praxis gestaltet sich das Mentoring gar nicht so einfach. Mengel hat | |
| Adamski eingeladen, einmal in der Woche nach Berlin in sein Seminar zu | |
| kommen: „Der Schutz der Menschenrechte unter besonderer Berücksichtigung | |
| der Freiheit sexueller Orientierung“, Hörsaal B, donnerstags, 14 bis 16 | |
| Uhr. Aber bis 14 Uhr sitzt Adamski noch in Potsdam in der BWL-Einführung: | |
| „Führung, Organisation und Personal“, Raum 3.06.H04. | |
| Trotzdem, sagt Adamski: Es ist gut zu wissen, dass da jemand ist, den man | |
| fragen kann. Im 5. Semester sieht seine Studienordnung ein Praktikum vor. | |
| Da wird er sich sicher noch einmal bei seinem Mentor Rat holen. | |
| Mengel hatte schon vor Jahrzehnten versucht, seine Professorenkollegen für | |
| ein Mentorenprogramm zu gewinnen. Jeder neue Student sollte einen | |
| persönlichen Ansprechpartner an die Seite bekommen. Keinen Kommilitonen, | |
| sondern einen Professor. Seine Kollegen stöhnten. „Ja, das ist aufwendig. | |
| Aber ich bin nach wie vor der Meinung, dass das machbar ist“, sagt Mengel. | |
| „Die Uni braucht ein Gesicht.“ Gerade für diejenigen, die als Erste aus | |
| ihren Familien dort ankommen. | |
| ## Akademikerkinder studieren Medizin, Aufsteiger Lehramt | |
| Wie schwer der Weg an die Universität ist, wenn die Eltern nicht studiert | |
| haben, zeigte jüngst erst die Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes. | |
| Von 100 Akademikerkindern wechseln 79 in die gymnasiale Oberstufe. 77 | |
| schreiben sich anschließend an einer Universität oder Fachhochschule ein. | |
| Von 100 Nichtakademikerkindern wechseln 43 in die gymnasiale Oberstufe. | |
| Viele von ihnen bewerben sich mit dem Abitur anschließend lieber auf eine | |
| Lehrstelle. So wie ihre Eltern. Wie ihre Großeltern. Nur 23 von 100 gehen | |
| das Wagnis ein und studieren. | |
| Die vielen Brüche und Übergänge im deutschen Bildungsystem sind eine der | |
| wichtigsten Erklärungen für diese Ungleichheit: Wenn ein Bildungsgang | |
| endet, scheiden sich die Wege zwischen den Schichten. Das setzt sich selbst | |
| an der Hochschule noch fort: Akademikerkinder wählen Prestigefächer wie | |
| Medizin und Jura, auch Psychologie, so die Sozialerhebung. Aufsteiger | |
| wählen eher Soziale Arbeit oder ein Lehramtsstudium. Nach dem Bachelor | |
| verzichten Nichtakademikerkinder wesentlich häufiger auf den Master. Nach | |
| dem Master verzichten Nichtakademikerkinder wesentlich häufiger auf eine | |
| Promotion. | |
| ## Du wirst einen guten Job bekommen | |
| Warum verzichten Kinder, deren Eltern nicht studiert haben, so viel | |
| häufiger auf ein Studium, auf einen Master, auf eine Promotion? Manche | |
| Bildungsforscher erklären das mit der Scheu der Eltern vor der | |
| Hochschulbildung, deren Wert sie nur schwer einschätzen können. Und mit der | |
| Angst der Kinder, sich von ihren Familien zu entfremden. | |
| Vielleicht ist das einer der Unterschiede zwischen den wenigen Kindern aus | |
| nichtakademischen Familien, die an die Uni gehen, und denen, die | |
| verzichten. Und vielleicht ist das auch eine der Gefahren eines Programms | |
| wie „Tandem“: dass Aufsteiger zu Helden verklärt werden, die so anders als | |
| die Etablierten gar nicht mehr sind, und der Blick auf die eigentlichen | |
| Hürden im System verschwimmt. | |
| Adamski hat zu Hause keine Skepsis gegenüber dem Studium erlebt, keine | |
| Angst vor der Entfremdung zwischen ihm, dem angehenden | |
| Politikwissenschaftler, und seiner Mutter, die als Verkäuferin arbeitet. | |
| „Was ich merke, ist, dass alle stolz sind.“ Du studierst, sagen sie, du | |
| wirst einmal einen guten Job bekommen. | |
| 3 Oct 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernd Kramer | |
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