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# taz.de -- Kolumne Zumutung: Fickt euch!
> Dass eine Ausbildung zum Hotelfachmann/-frau glücklich machen kann,
> können Akademikerkinder kaum glauben. Ihre Eltern auch.
Bild: Felix jetzt in Cambridge? Nein, er faltet Servietten.
Die Einssechzigblondine ist gut drauf. Das merke ich, wenn wir uns treffen.
Seit sie nicht mehr bei mir wohnt, lässt sie sich ausgesprochen gern zum
Essen einladen. Kürzlich hat es uns sogar in ein Outletcenter verschlagen,
wo ich mit ihr die aktuellen Sneakers-Kollektionen hochpreisiger
Sportartikelhersteller begutachten musste. Das, was ich da sah, hatten in
den Achtzigerjahren die Popper getragen. Aber egal, Hauptsache, das Kind
war froh.
Froh ist sie genau genommen, seit sie diese Ausbildung macht. Die Lehre.
Sie wird jetzt nämlich „Hotelfachmann/-frau“, wie die Bundesagentur für
Arbeit auf ihrer Website schreibt.
Bevor die Einssechzigblondine sich anschickte, Hotelfachmann/-frau zu
werden, hatte sie es mit einem Hochschul-/Universitätsstudium versucht. Sie
hatte sich etwas besonders Abseitiges ausgesucht, es ging da um ein
untergegangenes Wüstenvolk, dessen Dialekte sie trotzdem zu erlernen hatte.
Außerdem um Über-/Unterreligionsführer, deren wenige Gläubige heute über
den gesamten Globus verteilt sind und sich – vermutlich wegen der ganzen
Dialekte – untereinander kaum verständigen können.
Kurzum, die Einssechzigblondine hatte sich ein richtiges Orchideenfach
ausgesucht, dessen Unübersichtlichkeit und Nichtanwendbarkeit sich ihr
bereits nach wenigen Wochen erschlossen hatte.
Kurzerhand brach sie ab und suchte sich diesen Ausbildungsplatz als
Hotelfachmann/-frau. Und da ist sie jetzt glücklich. Schreibt gute Zensuren
in der Berufsschule, sieht beim Bankett betrunkenen Versicherungsvertretern
beim Immerbetrunkenerwerden zu, wundert sich über Gäste, denen im Hotel die
Fähigkeit abhanden gekommen zu sein scheint, eine Toilettenspülung zu
betätigen. Eine neue Welt. Eine weitaus strukturiertere Welt vor allem als
die des verblichenen Wüstenvolkes.
Unter älteren Eltern ist es ja üblich, sich über die Kinder auszutauschen.
Ach, Felix jetzt in Cambridge? Toll, dieses Erasmus-Programm! Luise hängt
doch noch den Master dran? Kluge Entscheidung, so ein Bachelor bringt’s ja
auf dem Arbeitsmarkt nicht.
Und dann bin ich an der Reihe. Ich erzähle von der Einssechzigblondine und
ihrer Ausbildung zur Hotelfachmann/-frau. Die Reaktion darauf ist
eigentlich immer folgende: „Na ja, sie kann ja später immer noch
studieren.“
Seltsam, diese Leute scheinen zu meinen, es handele sich bei einem
Lehrberuf um eine Art Niederlage. Um einen biographischen Lapsus, den es
alsbald zu korrigieren gilt. Sie sagen das, während ihnen im Restaurant
jemand den Kaffee serviert; verarbeitet, geliefert und zubereitet von
Leuten, die dafür eher keine Kaffeeuniversität/-hochschule besucht haben.
Ich erzähle der Einssechzigblondine davon. Sie weiß genau, was ich meine,
und deshalb erlaubt sie mir auch, darüber zu schreiben. Und dann diktiert
sie mir folgende Botschaft an alle, die meinen, nur ein Master könne ein
Master of life sein: „Fickt euch alle! Ich werde nie wieder studieren.“ Sie
muss ein bisschen lachen dabei. Das kommt von der ganzen guten Laune. Und
den bunten Schuhen.
16 Sep 2014
## AUTOREN
Anja Maier
## TAGS
Ausbildung
Studium
Bachelor
Eltern
Kinder
Spießer
Hunde
Universität
Studenten
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